Klimaschutz-Maßnahmen:Der Preis des Zögerns

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Auch in Deutschland werden weiter reichlich Treibhausgase ausgestoßen, etwa durch das Braunkohlekraftwerk Neurath im Rheinland, das noch bis 2038 laufen soll. (Foto: Jochen Tack via Imago/imago images/Jochen Tack)

Jedes weitere Jahr, in dem die Emissionen nicht sinken, erhöht die Kosten des Gegensteuerns enorm. Die Optionen für künftige Generationen schwinden.

Von Marlene Weiß

Wenn man die Aussagen mancher Politiker hört, wirkt es zwar manchmal so, als sei das Klimaproblem plötzlich über die Welt gekommen. Tatsächlich aber ist die Realität des Klimawandels nicht nur seit Jahrzehnten bekannt, sondern wird auch schon ähnlich lange politisch diskutiert. In seinem berühmten Text "Losing Earth" im New York Times Magazine hat der US-Autor Nathaniel Rich vor einigen Jahren beschrieben, wie es schon in den 1980er-Jahren fast zu einem internationalen Klimaabkommen gekommen wäre - und wie der Plan dann doch scheiterte. Das Tragische daran ist, dass es mit jedem Jahrzehnt sehr viel schwieriger wird, die Sache in den Griff zu bekommen.

Hätte man früh angefangen, die Emissionen zu bremsen und spätestens im Jahr 2000 das Maximum erreicht, so hätten langsame Reduktionen von wenigen Prozent pro Jahr ausgereicht, um die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten. Aus heutiger Sicht nahezu ein Spaziergang. "Fast nichts stand in unserem Weg", schreibt Rich. "Nichts außer uns selbst."

Mit jedem Jahr der Untätigkeit wächst die Rechnung um mehrere Billionen Dollar

Seither sind Schwierigkeiten und Kosten dramatisch gestiegen. Laut einer 2020 in Scientific Reports erschienenen Studie haben sich die inflationsbereinigten Kosten dafür, das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, seit 1980 nahezu verdoppelt. Mit jedem Jahr der Untätigkeit geht die Summe, die für dieses Ziel nötig wäre, demnach momentan um mehrere Billionen Dollar nach oben. Und das sind nur die Kosten für die Verringerung der Emissionen. Nicht einberechnet sind durch Klimaschäden verursachte Kosten, etwa durch Hurrikans, Überflutungen, Dürren oder Hitzewellen.

Irgendwann ist es dann nicht mehr unwahrscheinlich, sondern schlichtweg unmöglich, Ziele wie die 1,5-Grad-Grenze noch zu erreichen. Schließlich hat sich die Erde bereits heute um deutlich mehr als ein Grad erwärmt. Das CO₂-Budget, um die Erwärmung mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit unter 1,5 Grad zu halten, wäre beim heutigen Tempo in rund sieben Jahren aufgebraucht. In diesem Sinne schränkt, wer das Handeln auf die Zukunft verschiebt, die Optionen nachfolgender Generationen tatsächlich stark ein.

Sind langfristige Klimaziele sogar schädlich?

Die Debatte, wie genau man umsteuern sollte, wird auch unter Wissenschaftlern und Aktivisten geführt. Reicht es, so wie immer mehr Staaten dies tun, für Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität anzupeilen? Das wäre zumindest mit der Zwei-Grad-Grenze einigermaßen vereinbar. Oder wären sofortige, drastische Einschnitte in allen Lebensbereichen geboten? Kürzlich veröffentlichten drei Klimaforscher um James Dyke von der University of Exeter auf dem Portal "The Conversation" einen viel diskutierten Text, in dem sie das Konzept der Klimaneutralität als "gefährliche Falle" bezeichnen. Es verschiebe das Problem in die Zukunft und schaffe die Illusion, dass es sich mit künftiger Technik lösen lasse - und führe so doch nur zu Untätigkeit. "Einer der wichtigsten und informativsten Texte", die sie je zum Thema gelesen habe, schrieb Greta Thunberg auf Twitter.

Unter Forschern ist der Beitrag allerdings höchst umstritten. "Natürlich müssen wir sofort handeln. Aber wenn es nur um kurzfristige Reduktionen ginge, müssten wir nicht alles umbauen, auch Infrastruktur, Mobilität und Landwirtschaft", sagt Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. "Wir müssen lernen, vom Ende her zu denken: Wenn ich 2050 klimaneutral sein will, wo muss ich 2030, wo 2040 sein?" Darum seien auch langfristige Klimaneutralitätsziele so wichtig.

So gesehen ist es durchaus vernünftig, sich ein Ende des Netto-Treibhausgasausstoßes für 2050 vorzunehmen. Aber eben nicht nur das: "Es braucht eine glaubwürdige Selbstbindung, das ist für mich das Entscheidende am Urteil. Die Politik muss nicht nur Ziele definieren, sondern auch die Instrumente, um sie zu erreichen", sagt Edenhofer. Dabei könnte unter anderem ein steil ansteigender CO₂-Preispfad eine wichtige Rolle spielen. Aber wofür man sich auch entscheidet: Den geplanten Weg zum Ziel sollte man schon heute ausbuchstabieren - sonst wird das nichts.

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