Nahostkonflikt:Wie die muslimische Welt auf die Eskalation reagiert

Nahostkonflikt: Tausende demonstrierten in der Türkei gegen Israel, hier eine Szene aus Istanbul.

Tausende demonstrierten in der Türkei gegen Israel, hier eine Szene aus Istanbul.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

"Terror-Staat, der die Palästinenser gnadenlos und ohne jede Moral angreift": Der türkische Präsident poltert lautstark gegen Israels Vorgehen. Die arabischen Staaten halten sich eher zurück. Aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Von Tomas Avenarius

Wenn es um rhetorischen Donnerhall geht, gibt der türkische Präsident alles. Angesichts der ausufernden Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern am Tempelberg nannte Recep Tayyip Erdoğan Israel jetzt einen "Terror-Staat, der die Palästinenser gnadenlos und ohne jede Moral" angreife. Erdoğan, der gern im Superlativ denkt, fügte mit kalkuliertem Pathos hinzu: "Jerusalem ist die Welt, die Muslime stehen für die Menschheit." Auf Twitter ließ er die Türken und die gesamte Welt ein weiteres Mal wissen: "Wir verstehen jeden Angriff auf Muslime als einen Angriff auf uns alle."

Wie so oft versuchte Erdoğan, sich an die Spitze zu stellen, wenn es um Interessen der Muslime weltweit geht, um die Palästinenser im Heiligen Land oder um Islamophobie in Europa. Die Kritik der Türkei, anderer islamischer Staaten und von Gruppen in aller Welt am Vorgehen der israelischen Polizisten und Soldaten war erwartbar. Dem eingespielten Muster türkischer Verlautbarungspolitik folgend, stellte Erdoğan sich und sein Land aber erneut als Hüter der islamischen Sache dar: Jerusalem, Felsendom und Al-Aksa-Moschee sind allen Muslimen heilig, die Sache der Palästinenser ist ihm zumindest dem Wort nach wichtig.

Aber auch die arabischen Staaten können und wollen nicht schweigen, wenn der Palästina-Konflikt hochkocht, wieder einmal. Eine Reihe von Nahost-Staaten mag die Palästina-Frage inoffiziell abgehakt, die Beziehungen zu Israel "normalisiert" oder unausgesprochen ihren Frieden mit dem Staat gemacht haben. Aber äußern muss sich jeder arabische Führer, wenn es um Palästina geht und die bis heute von Israel besetzten Palästinensergebiete.

Anders als in den USA und in Europa wird von der arabischen und auch der türkischen Bevölkerung weniger die unbestreitbare Bedrohung Israels durch die als Terrororganisation eingestufte palästinensische Hamas gesehen. In der muslimischen Welt geht es immer um das ebenso wenig bestreitbare Unrecht, das den Palästinensern geschehen ist und geschieht, etwa durch die Siedlungspolitik.

Die Golfstaaten sorgen sich mehr um Iran als um die Palästinenser

Nur: Anders als in den Hochzeiten des Nahostkonflikts können Ägypter, Saudis, Bahrainer, Jordanier oder die Führer der Vereinigten Arabischen Emirate nicht mehr das ganz große Wort führen. Ägypten und Jordanien haben schon seit Jahrzehnten Friedensverträge mit Israel, Bahrain oder die VAE haben ihre Beziehungen zum jüdischen Staat normalisiert, auch die Saudis suchen diskret nach Ausgleich und Zusammenarbeit mit Israel. Die Golfstaaten sorgen sich weniger um die Palästinenser in Gaza und der Westbank, als um das nach militärischer Vormacht strebende Nachbarland Iran.

Während also vor der israelischen Botschaft in Ankara und dem Konsulat in Istanbul - offensichtlich mit Billigung der Regierung - Tausende Türken und arabische Flüchtlinge trotz des strengen landesweiten Corona-Lockdowns demonstrierten, protestierten Saudi-Arabien und Jordanien vehement, aber auf diplomatischem Wege. Das Vorgehen Israels an der Al-Aksa-Moschee und die Operationen der "israelischen Besatzungskräfte" verstießen "gegen alle internationalen Normen und Gesetze", so ließ das saudische Außenministerium wissen. Und fügte hinzu, was es seit Jahren hinzufügt, wenn es in Palästina wieder einmal brennt. Es bedürfe einer umfassenden Lösung der Palästinenserfrage: eines unabhängigen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Ähnlich klang, was der jordanische König Abdullah II. von sich gab.

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