Gemeinnützigkeit:Demokratie braucht Vielfalt

Gemeinnützigkeit: Wie politisch dürfen zum Beispiel Sportvereine sein? Einige Finanzämter beurteilen die Frage zunehmend restriktiv.

Wie politisch dürfen zum Beispiel Sportvereine sein? Einige Finanzämter beurteilen die Frage zunehmend restriktiv.

(Foto: imago sportfotodienst)

Das Steuerrecht erschwert politisches Engagement abseits der Parteien - dabei müsste es gefördert werden. Ein Vorschlag für ein neues Gesetz.

Gastbeitrag von Ulf Buermeyer und Vivian Kube

"Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Dieses Zitat des früheren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde bringt die Verletzlichkeit der Demokratie auf eine griffige Formel - eine Verletzlichkeit, die wir in Osteuropa derzeit wieder schmerzlich vor Augen geführt bekommen: Eine lebendige Demokratie braucht nicht nur eine Verfassung, sondern auch eine demokratische Kultur. Und zu dieser Kultur gehört ein vielfältiger Diskurs, in dem möglichst viele Gruppen zu Wort kommen, ihre Sichtweisen einbringen, aber auch für unterschiedliche Interessen eintreten. Ohne diese Vielfalt gibt es keine Demokratie.

Wichtige Akteure in diesem Diskurs sind die politischen Parteien. Doch haben sie nach dem Grundgesetz kein Monopol, sondern "wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit". Neben den Parteien spielen andere gesellschaftliche Gruppen eine wesentliche Rolle bei der Meinungsbildung, insbesondere Vereine engagierter Bürgerinnen und Bürger, für die sich die Bezeichnung "Zivilgesellschaft" etabliert hat. Gerade neue Ideen oder Anliegen brauchen meist einige Zeit, ehe sie in den etablierten Parteien eine Stimme finden. Dieses Defizit bei der Repräsentation können Organisationen der Zivilgesellschaft beheben helfen.

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Ulf Buermeyer

Ulf Buermeyer ist Richter am Landgericht Berlin, jedoch seit Oktober 2020 beurlaubt und hauptamtlicher Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

(Foto: Daniel Moßbrucker/oh)

Solche Nichtregierungsorganisationen wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), bei der sich Autorin und Autor engagieren, finanzieren sich meist überwiegend durch Spenden und Mitgliedsbeiträge von Einzelpersonen. Die Spendenden können ihre Zuwendungen steuerlich geltend machen, wenn die Organisation als gemeinnützig anerkannt ist. Die Abzugsfähigkeit ist ein wichtiger Anreiz für Unterstützung, weil sie die Netto-Belastung für die Spendenden je nach persönlichem Einkommensteuersatz fast halbieren kann.

Unternehmen können PR-Kosten als Betriebsausgaben geltend machen

Außerdem dient die Gemeinnützigkeit dazu, faire Bedingungen im Wettstreit der Meinungen zwischen Wirtschaft und Privaten sicherzustellen: Unternehmen können ihre PR-Kosten als Betriebsausgaben geltend machen - ganz egal, ob sie (auch) der Allgemeinheit nützlich sind oder lediglich der Gewinnmaximierung dienen. Privatpersonen hingegen werden nur dann steuerlich begünstigt, wenn sie an eine gemeinnützige Organisation spenden. Um wenigstens ansatzweise ein Gleichgewicht zu erreichen, kommt der Gemeinnützigkeit daher eine Schlüsselstellung zu.

Umso gefährlicher für die demokratische Kultur ist daher die zunehmend restriktive Tendenz der Finanzverwaltung bei der Anerkennung der Gemeinnützigkeit. In Folge der Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Fall der globalisierungskritischen Organisation Attac verlangen einige Finanzämter inzwischen de facto eine völlige politische Profillosigkeit. So droht beispielsweise ein Kulturzentrum im schwäbischen Ludwigsburg seine Gemeinnützigkeit zu verlieren, weil Rechtsextremisten dort nicht willkommen sind.

Vivian Kube / Forum, Autorenbild (geschickt bekommen)
GGF

Vivian Kube ist Volljuristin und seit September 2020 bei der GFF tätig.

(Foto: Agata Szymanska-Medina/oh)

Neben einem allzu strikten Verbot der politischen Betätigung sorgt das Regelungskonzept der Abgabenordnung für Probleme: Sie kennt bisher nur einen kleinteiligen Katalog gemeinnütziger Zwecke - von der Förderung der Religion bis zum Schach. Damit ein neues Anliegen anerkannt wird, muss der Gesetzgeber den Katalog erst ergänzen. Wenig überraschend hinkt die Aufzählung der gesellschaftlichen Realität mitunter Jahrzehnte hinterher. Freifunk, also von Enthusiasten betriebene öffentliche Wlan-Hotspots, waren vor allem in der 2000er-Jahren wichtig, als das Datenvolumen in Mobilfunkverträgen noch knapp war. In den Katalog aufgenommen wurde Freifunk aber erst im Dezember 2020 - mindestens 15 Jahre zu spät.

Angesichts dieser und vieler anderer Unzulänglichkeiten hat die GFF einen Entwurf für ein zeitgemäßes Recht der Gemeinnützigkeit erarbeitet, ein "Gesetz zur Stärkung der Demokratie". Damit möchten wir deutlich machen, wie sich die demokratische Kultur in Deutschland insgesamt stärken und beleben lässt: Insbesondere mittels einer Novelle der Abgabenordnung sollte das Recht der Gemeinnützigkeit fit für die Zukunft gemacht werden, um die wirtschaftlichen Grundlagen und die demokratische Mitwirkung der Zivilgesellschaft zu sichern.

Der Zweckkatalog braucht dringend ein Update

Unser Entwurf setzt auf drei Kernelemente: eine Erweiterung des Katalogs der gemeinnützigen Zwecke um einige derzeit fehlende Punkte und eine zukunftssichere Generalklausel; eine rechtliche Absicherung des demokratischen Engagements gemeinnütziger Organisationen, um ihnen mehr Raum in der Debatte um politische Fragen zu geben, solange sie sich nicht parteipolitisch betätigen; sowie klare Regeln für mehr finanzielle Transparenz der Zivilgesellschaft, um wesentliche Einflüsse auf gemeinnützige Körperschaften offenzulegen und eine Umgehung der Regeln zu Parteispenden zu verhindern.

Ein "Update" des Zweckkatalogs ist unsere zentrale Forderung: Zum einen sollten Zwecke aufgenommen werden, deren gegenwärtiges Fehlen kaum noch verständlich ist, etwa die Förderung der Grund- und Menschenrechte, der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und das Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Auch die Presse ist ungeachtet ihrer fundamentalen Bedeutung für die Demokratie bisher nicht als gemeinnützig anerkannt. Zum anderen sollte der Zweckkatalog durch eine Generalklausel für künftige Entwicklungen geöffnet werden, damit nicht immer erst der Gesetzgeber tätig werden muss.

Auch im Detail enthält unser Gesetzentwurf wesentliche Vorschläge für eine lebendige Zivilgesellschaft. So haben Körperschaften derzeit keinen effektiven Rechtsschutz gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, wenn sie in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt werden: Inlandsgeheimdienste legen ihre Quellen normalerweise nicht offen. Natürlich darf eine tatsächlich verfassungsfeindliche Organisation nicht gefördert werden. Aber diese Frage kann nicht allein intransparenten Geheimdiensten überlassen werden. Wenn einer Organisation vorgeworfen wird, verfassungsfeindlich zu sein, dann muss sie diesen Vorwurf auch in vollem Umfang gerichtlich überprüfen lassen können.

Die GFF stellt ihren Gesetzentwurf deshalb zur öffentlichen Diskussion. Wir erhoffen uns von unserem Vorschlag, dass die nächste Bundesregierung eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts auf ihre Agenda setzt. Eine Lösung der drängendsten Probleme der Zivilgesellschaft wäre keine Zauberei.

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