Foto-Ausstellung: "Noch mal leben":"Das wird schon wieder"

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Der Unfähigkeit der Gesellschaft, mit ihren Sterbenden umzugehen, setzt Fotograf Walter Schels erstaunlich ästhetische Bilder entgegen - von Menschen vor und unmittelbar nach ihrem Tod.

Charlotte Frank

Als der Tod endlich kam, muss Edelgard Clavey ihn begrüßt haben wie einen alten Freund, der verspätet zu einer Verabredung erschienen ist. Ein bisschen gequält und durchgefroren, aber doch zu froh, um ihm Vorwürfe zu machen. "Ein Glück, er hat mich nicht vergessen", scheint ihr letzter Gedanke gewesen zu sein, dann hat sie ihren Freund in Empfang genommen und ist gestorben - das Gesicht sanft und erleichtert, den Mund auf verlegene Art verzogen, als sei es ihr peinlich, dass sie zuletzt hinter seinem Rücken über den Tod und sein Trödeln geschimpft hatte.

So hat der Fotograf Walter Schels die Sterbende Edelgard Clavey festgehalten - ein Foto, das den Reiz seiner Ausstellung "Noch mal leben" zusammenfasst. Der Künstler schafft es darin, das Unsichtbare abzubilden: Gedanken - die letzten Ideen von Sterbenden, die sie nicht mehr aussprechen konnten und die sie deshalb, tief ins Gesicht eingeschrieben, mit ins Grab nehmen.

Zusammen mit der Journalistin Beate Lakotta hat Schels ein Jahr lang todkranke Menschen begleitet und großformatige Schwarzweißporträts von ihnen angefertigt - jeweils eins kurz vor dem Tod und eines unmittelbar danach. Seit drei Jahren wandert die Ausstellung durch die ganze Welt. Nach Stationen in London und Haifa gastiert sie derzeit im niederbayerischen Landshut, in Schels' Geburtsstadt.

In gefühlvollen, ästhetischen Fotografien von 25 Sterbenden im Alter von 17 Monaten bis zu 89 Jahren lässt der Künstler die Todgeweihten ein letztes Mal zu Wort kommen und rückt ihre letzten Momente ins Bild. Mit gestochen scharfer Kamera und deutlichen Kontrasten hält er jedes verwuschelte Haar fest, jedes tränende Auge, jede unegale Kontur. Er beschönigt nichts, ist frei von Voyeurismus und Dramatik - und reißt das Sterben so aus der Unwahrscheinlichkeit heraus, in das die moderne Gesellschaft es gerne verdrängt. Damit widerlegt er das Vorurteil, tote Menschen sähen aus, als ob sie sich nur kurz entspannen würden. Tote haben eben nicht bloß diesen entspannten Gesichtsausdruck von Schlafenden. Tote können erstaunt aussehen. Erleichtert. Amüsiert. Friedlich und zufrieden. Auch wenn Angehörige und Freunde ihnen bis zuletzt eingeredet haben: "Das wird schon wieder."

"Ich habe wahnsinnig gerne gelebt"

Zum Beispiel Michael Lauermann: "Ich habe wahnsinnig gerne gelebt", hat der Manager zuletzt von sich erzählt, so steht es im Text neben seinen Fotos. Lauermann hat in Paris studiert, 1968 Straßenschlachten ausgefochten, und vielleicht hat er sich dort das amüsierte, schiefe Lächeln zugelegt, das seinen Mund stets umspielte. Als nehme er das Leben schon lange nicht mehr so ernst. Mit 56 Jahren erfuhr Lauermann von seinem Hirntumor. Binnen weniger Wochen starb er daran. Schels hat ihn fotografiert - vor und nach dem Tod, mit diesem Lächeln im Gesicht. Schief und amüsiert.

Es gibt auch Menschen wie Roswitha Pachollek, die im Tod sich selbst nicht mehr ähnlich sehen. Das Porträt der Lebenden zeigt eine sommersprossige Frau mit Brille und rundem Gesicht. Eine, die bis zuletzt, als ihr nur noch wenige Tage blieben, an ihre Heilung geglaubt hat. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Mit 42 Jahren ist Roswitha Pachollek gestorben. Ohne Sommersprossen, ohne Brille, die Nase ein bisschen spitzer, das Kinn ein bisschen länger. Wie ein asketischer Künstler, der mit geschlossenen Augen eine kleine Melodie vor sich hin summt.

Schels ist es gelungen, sterbende Menschen aller Altersgruppen in ihrer ganzen Schönheit, Würde und Ästhetik zu fotografieren, sie trotz des nahenden Todes von ihrem Leben erzählen zu lassen, von Fahrten auf dem Bananendampfer, von Whiskey mit Eis am Äquator, von Heimorgeln und den Halbschuhen ihrer längst verstorbenen Mütter. Er und Beate Lakotta haben dafür den Preis für World Press Photo bekommen, den Lead Award, den Deutschen Fotobuchpreis und zahlreiche weitere Auszeichnungen.

"Noch mal leben" ist noch bis zum 25. Oktober in der Großen Rathausgelarie in Landshut zu sehen, montags bis samstags von 11 bis 13.30 Uhr und von 16 bis 19 Uhr. Dann zieht die Ausstellung weiter: nach Straubing, Bern und Innsbruck.

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