Erderwärmung:Es wird immer extremer

FILE PHOTO: California faces its worst drought since 1977

Kleine Veränderungen, sehr große Auswirkungen: Eine Kunstinstallation am kalifornischen Saltonsee, der durch Dürren seit 1977 weiter geschrumpft ist.

(Foto: Aude Guerrucci/REUTERS)

Dürren und Starkregen, Waldbrände, Wirbelstürme, Überschwemmungen - krasse Wetterereignisse dürften sich häufen in den kommenden Jahren, weil die globalen Temperaturen steigen. Doch noch ließe sich etwas dagegen tun.

Von Benjamin von Brackel, Christoph von Eichhorn und Marlene Weiß

Jetzt oder nie, so ließe sich die Botschaft des Weltklimarats auch zusammenfassen. Seinen sechsten Bericht seit seiner Gründung 1988 hat der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) vorgelegt. Darin warnt das zwischenstaatliche Gremium unter dem Dach der Vereinten Nation, dass es bald unmöglich sein wird, die Erwärmung der Erde unter zwei Grad, geschweige denn 1,5 Grad Celsius zu halten, wenn nicht umgehend begonnen wird, die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Die Erde habe sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durch menschliche Aktivitäten bereits um 1,07 Grad Celsius erwärmt. Im Mittel der kommenden zwei Jahrzehnte dürfte die Erwärmung 1,5 Grad erreichen oder überschreiten. Hitzewellen werden häufiger, Niederschlagsmuster verändern sich. Dennoch betonen die Forscherinnen und Forscher: Noch hat die Menschheit Spielraum zum Handeln.

Worum es geht

Es ist der erste umfassende Report zum Zustand des Weltklimas, seit 2013 und 2014 die drei Teile des fünften Sachstandsberichts erschienen sind. Auch der aktuelle, sechste Bericht hat drei Teile, der erste wurde nun veröffentlicht. Er befasst sich mit den physikalischen Grundlagen des Klimawandels. In den weiteren Teilen, die 2022 erscheinen sollen, wird es um Folgen, Anpassung und Klimaschutz gehen. Für den aktuellen Bericht werteten 234 ehrenamtliche Autorinnen und Autoren rund 14 000 Studien aus, das Ergebnis kann als Konsens der Forschung betrachtet werden. Die "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" wurde Satz für Satz mit den Delegierten der 195 IPCC-Mitgliedstaaten abgestimmt. Das Ziel dieses Verfahrens ist es, auch auf politischer Ebene Einigkeit über die Fakten herzustellen.

Szenarien und Temperatur

Die Wissenschaftler haben beispielhaft fünf Szenarien betrachtet. Das Schreckensszenario namens SSP5-8.5 gilt aus heutiger Sicht als unrealistisch. Das mit den niedrigsten Emissionen, SSP1-1.9, allerdings ebenso. Bislang deutet viel darauf hin, dass die Welt sich etwa auf einem mittleren Pfad befindet. Für das entsprechende Szenario rechnen die Forscher mit zwei Grad Erwärmung bis Mitte des Jahrhunderts und 2,7 Grad bis 2100. Die benachbarten Szenarien landen bei 1,8 Grad beziehungsweise 3,6 Grad bis 2100. Kein Szenario bleibt unter 1,5 Grad, nur das optimistischste erreicht bis zur Mitte des Jahrhunderts 1,6 Grad und fällt bis 2100 auf 1,4 Grad zurück.

Einen deutlichen Fortschritt gibt es bei der sogenannten Klimasensitivität. Sie gibt die Erwärmung an, die eintritt, wenn sich die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre im Vergleich zum vorindustriellen Wert verdoppelt. Es ist ein Maß dafür, wie empfindlich die Erde auf mehr Treibhausgase reagiert. Im fünften Sachstandsbericht war sie noch mit 1,5 bis 4,5 Grad Celsius angegeben worden. Inzwischen berechnen die Forscher sie genauer auf wahrscheinlich 2,5 bis vier Grad Celsius, die beste Schätzung liegt bei rund drei Grad.

Eis und Ozeane

Der IPCC konstatiert, dass der menschengemachte Klimawandel sehr wahrscheinlich hinter dem Rückgang von arktischem Meereis, Gletschern, Schneebedeckung im Frühjahr und Grönlands Eisschild steht, weniger klar sei die Lage beim antarktischen Eisschild. Seit 1901 ist der Meeresspiegel um rund 20 Zentimeter gestiegen, zuletzt um 3,7 Millimeter jährlich. Das wird sich fortsetzen: Über Jahrhunderte bis Jahrtausende, so die Forscher, werde das Eis weiter schmelzen, egal was passiert. Bis 2100 dürfte der Meeresspiegel je nach Emissionen um weitere 28 bis 101 Zentimeter steigen. Allerdings könne man aufgrund von Unsicherheiten über Schmelzprozesse bei hohen Emissionen selbst zwei Meter bis 2100, fünf Meter bis 2150 und 15 Meter bis 2300 nicht ausschließen. Über die kommenden 2000 Jahre dürfte der Meeresspiegelanstieg mindestens zwei, im Extremfall bis zu 22 Meter erreichen.

Wetterextreme

Einer der größten Fortschritte gegenüber dem fünften Sachstandsbericht ist die Zuordnung einzelner Wetterereignisse zum Klimawandel. Vor allem für Hitzewellen lasse sich ein deutlicher Anstieg für alle Erdteile nachweisen und mit hoher Sicherheit die menschengemachte Erderwärmung als Ursache dafür ausmachen. Hitzeperioden kämen zudem immer öfter in Begleitung von Dürren und Feuer. Tropische Wirbelstürme seien heftiger geworden, wenn auch nicht unbedingt häufiger. Marine Hitzewellen hätten sich in ihrer Häufigkeit in etwa verdoppelt. "Die Daten zeigen ganz klar, dass Klimaextreme mit fortschreitender Erderwärmung zunehmen", sagt die Klimaforscherin Sonia Seneviratne von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) und Leitautorin des entsprechenden Kapitels. "Schon sehr kleine Veränderungen in der globalen Erwärmung können sehr große Auswirkungen haben."

Wasserkreislauf

Mit hoher Wahrscheinlichkeit führt der Klimawandel zu häufigerem und intensiverem Starkregen. Global betrachtet könnte sich Extremregen pro Grad Erwärmung um etwa sieben Prozent intensivieren. Seit 1950 wird in den meisten Regionen bereits ein solcher Trend beobachtet, darunter auch in Westeuropa. In Asien und Westafrika haben die Treibhausgase vermutlich zu einer Verstärkung des Monsuns geführt. Während die Niederschläge in hohen Breitengraden und in der Pazifikregion zunehmen dürften, werden Teile der Subtropen und Tropen wohl weniger Regen abbekommen. In schneereichen Landstrichen wird die Schneeschmelze früher beginnen. Insgesamt werde ein wärmeres Klima "sehr nasse und sehr trockene" Jahreszeiten hervorbringen und verstärken, mit Auswirkungen wie Dürren und Überschwemmungen.

Kipppunkte

Erstmals geht der neue Bericht genauer auf sogenannte Kipppunkte ein, deren Überschreiten eine irreversible Veränderung des Klimasystems bewirkt, wie das Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes. Oder die Abschwächung der sogenannten atlantischen meridionalen Umwälzströmung (AMOC), zu der auch der Golfstrom gehört. Sie dürfte sich im Laufe dieses Jahrhunderts fortsetzen. Einen kompletten Kollaps halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwar für relativ unwahrscheinlich, sollte die Erderwärmung auf 1,5 oder zwei Grad Celsius begrenzt werden. Sie können es aber auch nicht ausschließen.

Regionale Folgen

"Es gab einige Durchbrüche in der regionalen Klimamodellierung", sagt Douglas Maraun von der Uni Graz, ein Autor des entsprechenden Kapitels. In West- und Zentraleuropa, wozu auch Deutschland zählt, werden beispielsweise mehr Überschwemmungen infolge von Regen und über die Ufer tretender Flüsse erwartet sowie mehr Dürren. Im Mittelmeerraum kombinieren sich Erwärmung, Trockenheit, weniger Niederschläge und höhere Waldbrandrisiken zu einer besonders gefährlichen Mischung. In den Alpen werden sich die "starken Rückgänge bei Gletschern, Permafrost, Schneebedeckung" fortsetzen, die bereits beobachtet werden.

Zugleich können regional auch Effekte auftreten, die den globalen Trends kurzfristig zuwiderlaufen. "Klimaschwankungen spielen auf regionaler Ebene eine große Rolle", sagt Maraun. "Wenn wir die nächsten zehn bis 30 Jahre in die Zukunft schauen, kann regional genau das Gegenteil von dem passieren, was wir langfristig erwarten." Insbesondere der Jetstream und der Einfluss der Arktis auf das Wetter in mittleren Breiten seien aber noch nicht ausreichend verstanden.

Was noch zu retten ist

"Es gibt inzwischen viele Dinge, die wir nicht mehr verhindern können", sagt Dirk Notz von der Universität Hamburg, einer der Leitautoren für das Kapitel zu Eis und Meeresspiegel. "Aber der Bericht zeigt auch, dass es noch viel Gestaltungsspielraum gibt." Würde die Menschheit jetzt auf ehrgeizigen Klimaschutz umschwenken, würde sich das laut Bericht "binnen Jahren" auf die gemessenen CO₂-Konzentrationen auswirken. Innerhalb von 20 Jahren würde sich der Temperaturunterschied im Vergleich zu Szenarien mit hohen Emissionen zeigen. Andere Effekte würden länger brauchen, besonders lang ist die Reaktionszeit der Eisschilde. Doch spätestens zum Ende des Jahrhunderts hin sind die Unterschiede zwischen den Szenarien dramatisch.

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