Öffentlicher Dienst:Pass, Visum, Paragraf 22

Bundesinnenministerium Berlin DEU Deutschland Germany Berlin 05 02 2015 Bundesministerium des In

Draußen das System der Architekten, drinnen das der Paragrafen: das Bundesinnenministerium in Berlin.

(Foto: imago stock&people/imago/IPON)

Der schnellen Aufnahme von Ortskräften aus Afghanistan stand wohl auch ein Umstand entgegen: dass Beamte so sind, wie sie sind.

Kommentar von Detlef Esslinger

"Durchführungszeitpunkt" ist ein Ausdruck, auf den man erst einmal kommen muss. Er fiel am Mittwoch in einer Antwort des Verteidigungsministeriums auf die Frage, warum es im Juni zwei Flüge storniert hatte. Mit denen sollten ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr aus Afghanistan gebracht werden. "Zu dem geplanten Durchführungszeitpunkt konnten die Voraussetzungen wie Pass und Visa für die sichere Abfertigung der möglichen Passagiere vor Ort nicht mehr erfüllt werden."

Grundsätzlich kann man über die Bediensteten des deutschen Staates viel Gutes sagen; erst recht, wenn man sie mit jenen in manch anderen Gegenden vergleicht. In einer Umfrage, die der Beamtenbund jedes Jahr in Auftrag gibt, äußert jeweils eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an, dass sie Beamte für pflichtbewusst und zuverlässig halten. Und dass man jemanden bestechen muss, um etwa eine Baugenehmigung zu erhalten, mag andernorts normal sein; hierzulande würde die Beamtin, die solch eine Gegenleistung schätzt, sich um Haus, Hof und Ruf bringen.

Was im öffentlichen Dienst nicht gepflegt wird: Beherztheit

Was man aber auch sagen muss: Die Bediensteten des öffentlichen Dienstes sind in ihrer Gesamtheit nicht fürs Vorpreschen berühmt - nicht dafür, ihre Chefs zu ermutigen, das Recht weit auszulegen (vor allem, wenn sie annehmen, dass der Chef oder die Chefin das Recht gern eng angewandt haben will). Und schon gar nicht sind sie dafür berühmt, dies selbst zu tun. Wenn man jetzt Visa auch erst nach Ankunft der Ortskräfte in Deutschland erteilen kann, hätte man dies natürlich auch im Juni schon tun können.

Doch die dafür nötige Beherztheit wird im öffentlichen Dienst kaum gepflegt. Wer geht dorthin? Zu großen Teilen handelt es sich um Menschen, die Sicherheit suchen: die des Jobs, die der geregelten Arbeitszeiten, die des Einkommens. Und zur Betriebskultur in jedem Rathaus gehört, die promovierte Dezernentin als "Frau Doktor Huber" anzureden. Spricht man im Ministerium über den Minister Huber, sagt man auch in dessen Abwesenheit "der Minister". Im Auswärtigen Amt gilt gar die leicht alberne, aber eherne Regel, "Minister hat entschieden" zu sagen, also ohne "der" davor.

Eine solche Betonung von Hierarchie gilt dort keineswegs als eigenartig, im Gegenteil. Das ganze System fußt auf sorgfältigstem Abschreiten von Dienstwegen: Das gibt jedem Maas und jedem Seehofer die Gewähr, dass die Führung bei ihnen, den Politikern, bleibt - und ihren Untergebenen Sicherheit. Ein Ding à la "§ 22 Satz 2 AufenthG" ist für diese keine Stelle irgendwo im Labyrinth, sondern eine Leitplanke. Und im Zweifel muss man nicht selbst entscheiden; Minister ist ja da. Mal so formuliert: Wer Beamter wird, für den käme die Gründung eines Start-ups, mit Risikokapital und dergleichen, nicht einmal theoretisch in Frage.

Ist das schlecht oder gut? Beides. Bürokratie garantiert verlässliche Abläufe - und wenn ein Politiker "unbürokratische" Hilfe verspricht, ist damit immer auch das Risiko verbunden, zum Betrug einzuladen; bei den Corona-Tests hat man's gesehen. Zudem sind Spielertypen weder im Liegenschaftsamt noch im Verteidigungsministerium zu gebrauchen. Aber sein Herz in die Hand nehmen darf man durchaus. Jener Hauptmann Marcus Grotian, der das "Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte" gründete, als andere noch mit dem Durchführungszeitpunkt haderten, wäre womöglich der Idealtyp des Staatsdieners: loyal, kompetent - und couragiert.

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Luftaufnahme von Afghanistan aus einer Transall Masar e Scharif Afghanistan View over Afghanis

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:Wie Bürokratie das Ausfliegen von Ortskräften verhinderte

Bereits für den 25. Juni hatte das Verteidigungsministerium zwei Charterflugzeuge organisiert, um bis zu 300 Bundeswehr-Helfer und ihre Angehörigen aus Masar-i-Scharif zu retten. Doch die Flüge wurden wieder storniert.

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