Konjunktur:Gut, dass die Inflation steigt

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Weil die Inflation immer den Vorjahresmonat als Referenzwert nutzt, steigt der Wert nun, genau zwölf Monate später, auch aus rein statistischen Gründen. (Foto: INA FASSBENDER/AFP)

Die Teuerungsrate liegt im August bei 3,9 Prozent. Aber keine Sorge: Hinter den vermeintlich schockierenden Zahlen verbirgt sich eine positive Entwicklung. Die Angst vor der Inflation ist unbegründet.

Kommentar von Bastian Brinkmann

Was ist nur mit diesem Menschen los? Völlig außer Atem, knallrot im Gesicht, das Herz wummert. Muss ein Arzt gerufen werden, besteht gar Lebensgefahr? Nein: Der Mensch ist nur vom Rudergerät abgestiegen, hat kräftig Sport getrieben. Der Körper ist auf Touren gekommen. Das ist gesund, nicht gefährlich.

So ergeht es gerade auch der deutschen Volkswirtschaft. Nach den Corona-Lockdowns fahren Unternehmen die Produktion so richtig hoch - und kommen ins Schnaufen. Der Wirtschaftskreislauf dreht auf wie der menschliche beim Cardiotraining. Dieser Anstieg ist der wichtigste Grund für die derzeit mitunter stark anziehenden Preise. An diesem Montag hat das Statistische Bundesamt die neuen Inflationswerte für August veröffentlicht: Die Preissteigerung steigt nach vorläufiger Schätzung auf 3,9 Prozent - den höchsten Stand seit 1993.

Ein so hoher Wert erschreckt viele Deutsche. Dabei besteht dafür kein Grund. Die momentan erhöhte Inflation ist eine gute Nachricht, keine schlechte, denn sie bedeutet: Es geht wirtschaftlich wieder voran. Wer sich dem entgegenstellt und jetzt von der Europäischen Zentralbank (EZB) verlangt, den Leitzins zu erhöhen, gefährdet diese nötige wirtschaftliche Erholung und damit den Wohlstand.

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Nach der Flaute kommt der Konsumhunger

Die aufregte Debatte über die Inflation wird oft fern der ökonomischen Realitäten geführt, die zu den steigenden Preisen führen. Jetzt wollen die Leute wieder alles, worauf sie so lange verzichten mussten. Diesen Heißhunger auf Konsum spüren viele. Ökonomen nennen das ganz unpoetisch Nachfragedruck. Und der steigt, nicht nur in Deutschland, sondern global. Die Welt öffnet, hereinkommen sollen Rohstoffe und Vorprodukte, die dann von der heimischen Industrie verarbeitet werden. Die Nachfrage steigt vielerorts schneller als das Angebot, also steigen auch die Preise. Mehr ist hier eigentlich nicht los.

Besonders deutlich ist der Effekt des Ölpreises auf die Inflationsrate. Mit Ausbruch der Coronakrise kollabierte der, rutschte kurzzeitig sogar auf die Negativ-Seite. Jetzt braucht die Welt wieder Öl, der klimaschädliche Rohstoff ist deutlich teurer geworden - und treibt somit die Inflation. Dazu kommt noch der Sondereffekt, dass Deutschland für die zweite Jahreshälfte 2020 die Mehrwertsteuer gesenkt hat. Weil die Inflation immer den Vorjahresmonat als Referenzwert nutzt, steigt der Wert nun, genau zwölf Monate später, auch aus rein statistischen Gründen. Umgekehrt lässt sich bei aller Unsicherheit schon jetzt für Januar 2022 sagen: Der Mehrwertsteuereffekt wird als Inflationstreiber dann von selbst verschwinden.

Viele Inflationswarner übersehen diese wirtschaftlichen Hintergründe, absichtlich oder aus Versehen, weil sie die Geldpolitik der EZB ablehnen. CDU-Wahlkämpfer Friedrich Merz prognostizierte dieser Tage in der TV-Show Maybritt Illner eine Inflation von "fünf Prozent im nächsten Jahr". Diese Vorhersage ist verblüffend, weil sie meilenweit entfernt liegt von den Prognosen führender Wirtschaftsexperten: Bundesbank und Ifo-Institut rechnen für 2022 jeweils mit knapp weniger als zwei Prozent. Beide Häuser sind nicht bekannt als Inflationsbejubler, die diese Entwicklung absichtlich unterschätzen würden.

Vorsicht: Inflationsangst kann die Inflation schüren

Geschwätz über eine angeblich drohende hohe Inflation vor einem Millionenpublikum ist gefährlich. Die ökonomische Forschung weiß mittlerweile recht genau, dass die Inflation stark davon abhängt, welche Preissteigerungen die Menschen erwarten. Es herrscht ein Kreislauf: Wenn alle glauben, dass die Preise stark steigen, fordern Menschen mehr Lohn, um das auszugleichen, und Firmen wagen saftige Preisaufschläge, weil die anderen Unternehmen das ja auch machen würden - was dann die Inflation tatsächlich steigen lässt.

Natürlich ist Inflation kein Kinderspielzeug. Das zeigt die Lage in den USA. Dort wird ernsthaft und zu Recht diskutiert, ob die amerikanischen Preise zu schnell steigen, so auch am Wochenende auf dem Notenbankertreffen in Jackson Hole. Jerome Powell, der Chef der US-Zentralbank Fed, gab sich ein bisschen unbeeindruckt, ein bisschen wachsam, ein bisschen kämpferisch.

Notenbanken haben mittlerweile Instrumente zur Hand, um gegen hohe Inflation vorzugehen, falls das nötig wird. Das ist ein großer Unterschied zur Hyperinflation vor einhundert Jahren. Die EZB ist nicht die Reichsbank.

Die Europäische Zentralbank muss daher jetzt nicht den Leitzins erhöhen. Das würde die wirtschaftliche Erholung der Euro-Zone gefährden. Die Coronakrise zu verlängern, nur um einen geldpolitischen Fetisch zu bedienen, lässt Menschen unnötig leiden. Immer auf Sport zu verzichten, weil irgendwann womöglich eine Verletzung drohen könnte, ist auch nicht gesund. Und jetzt ist die Zeit zum Schwitzen gekommen.

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