Pipers Welt:Gefangenendilemma

Nikolaus Piper

Nikolaus Piper schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Freitag. Zeichnung: Bernd Schifferdecker

Es ist höchste Zeit, sich mit radikalen Vorschlägen aus der Ökonomie für die Klimapolitik zu befassen.

Von Nikolaus Piper

Noch nie hat das Thema Klimawandel einen Wahlkampf so sehr bestimmt wie in diesem Jahr. Alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, mit Ausnahme der AfD, sind sich einig, dass auch Deutschlands Zukunft davon abhängt, ob und wie schnell die Erwärmung der Erdatmosphäre gestoppt wird. Die Frage allerdings bleibt: Warum erst jetzt? Das Problem ist seit mindestens drei Jahrzehnten bekannt, ebenso, was dagegen zu tun wäre. Tatsächlich jedoch ist weltweit der Ausstoß von Treibhausgasen laufend weiter gestiegen. Erst in allerjüngster Zeit ist in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür gewachsen, dass es in der Klimapolitik eine Minute vor zwölf sein dürfte.

Auf die Frage, wer Schuld daran trägt, dass es so weit kommen musste, gibt es sehr viele, sehr einfache Antworten: Schuld ist zum Beispiel die Generation der Babyboomer, die die Ressourcen der Erde verprasst haben und der Jugend einen zerstörten Planeten hinterlässt. Schuld ist der Kapitalismus. Schuld ist Armin Laschet, weil er zu spät aus der Braunkohleförderung aussteigen.

Wem das alles zu simpel ist, dem empfiehlt sich der Rückgriff auf die Klimaökonomie. Jedenfalls trifft es sich gut, dass der Verein für Socialpolitik (VfS), der Club deutschsprachiger Ökonomen, seine (coronabedingt virtuelle) Jahrestagung kommende Woche der Klimaökonomie widmet. Hauptredner am Montag ist William Nordhaus. Dem heute 80-jährigen Professor von der Universität Yale sollte man gut zuhören, wenn man nach Fortschritten in der Klimapolitik sucht. Nordhaus hatte bereits 1975 in einem Aufsatz vor den katastrophalen Folgen gewarnt, die die wachsende Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre haben würde. Er gilt als Erfinder des "Zwei-Grad-Ziels", also des Versuchs, den menschengemachten Anstieg der Erdtemperatur auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. (Der Weltklimarat IPCC strebt heute an, den Temperaturanstieg gegenüber dem Beginn der Industrialisierung auf 1,5 Grad zu begrenzen.) Nordhaus wurde 2018 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet.

Der Ökonom hat sich seither ausgiebig mit der Frage beschäftigt, warum denn die Erderwärmung immer weiter geht, trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse und trotz aller Klimakonferenzen. Seine Position hat er vorigen Jahres in der Zeitschrift Foreign Affairs niedergeschrieben. Das Problem liegt darin, so Nordhaus, dass das Weltklima ein Gemeingut ist. Gemeingüter zeichnen sich dadurch aus, dass sie allen gehören und von allen genutzt werden können. Weitere Beispiele sind die Weltmeere oder der Weltraum. Weil es unmöglich ist, ein Land von den positiven Folgen einer ehrgeizigen Klimapolitik oder von Maßnahmen zur Erhaltung von Fischgründen auszuschließen, ist der Anreiz groß, einfach als Trittbrettfahrer der Klimapolitik anderer mitzulaufen. Mit anderen Worten: selbst nichts zu tun und von den Fortschritten anderer zu profitieren. Und weil alle dies wissen, passiert nichts, oder viel zu wenig. Deutschland ist nur für ungefähr zwei Prozent des weltweiten Ausstoßes von CO₂ verantwortlich. Selbst wenn der nächste Kanzler, ob er nun Olaf Scholz oder Armin Laschet heißt, alles richtig machen würde, wäre das für das Weltklima fast irrelevant, solange die Volksrepublik China ein Kohlekraftwerk nach dem anderen baut.

Nordhaus bezeichnet dies in den Kategorien der Spieltheorie als "Gefangenendilemma", als eine Situation also, in der kooperatives Verhalten - konkret: eine ehrgeizige Klimapolitik - systematisch bestraft wird. Die bisherigen Klimaabkommen, das Kyoto-Protokoll von 1997 und das Pariser Abkommen von 2015, seien zum Scheitern verurteilt gewesen, weil sie freiwillig waren. Eine Regierung, die die Vorgaben missachtet, hat außer einer schlechten Presse nichts zu befürchten. Das Ergebnis sei ein "nicht-kooperatives Gleichgewicht der Trittbrettfahrer", was man frei mit "Club der Klima-Schmarotzer" übersetzen könnte. Solange es bei der Freiwilligkeit bleibt, wird die globale Klimapolitik daher scheitern, glaubt Nordhaus.

Die Idee: Wer nicht im Klimaclub ist, soll einen Strafzoll zahlen

Die Lösung liegt nun darin, das Geschäft der Trittbrettfahrer zu zerstören. Nordhaus nennt seine Idee "Klimaclub": Staaten, die zu einer konsequenten Klimapolitik bereit sind, schließen sich zusammen und gehen eine bindende Verpflichtung ein, das Klimagift Kohlendioxid mit einem bestimmten Preis zu belegen und diesen dann kontinuierlich zu steigern. Nordhaus nennt als Beispiel 50 Dollar für die Tonne. In Deutschland gelten seit Januar 25 Euro. Im weltweiten Durchschnitt lag der Preis nach Schätzungen der Weltbank vom vergangenen Jahr bei zwei Dollar. Länder, die nicht Mitglied im Klimaclub sind, müssten einen Strafzoll auf ihre Exporte in die Mitgliedstaaten des Clubs zahlen. Nordhaus rechnet mit einem Zoll von fünf Prozent. Damit müssten die Anreize groß genug sein, dem Club beizutreten.

Nordhaus räumt selber ein, dass es nicht einfach werden wird, seine Idee durchzusetzen, schließlich propagiert er die Idee seit vielen Jahren vergeblich. Sie wären ein radikaler Bruch mit der bisherigen Politik, wie sie sich im Pariser Klimaabkommen manifestiert. Offen ist auch, welche Rolle in dem Modell Marktmacht spielt. Hat China nicht Druckmittel, sich den Pflichten zu verweigern? Und was ist, wenn in Washington mal wieder ein Donald Trump regieren sollte?

Die Idee der Klimaclubs bedeutet nicht, dass Deutschland auf eine entschlossene Klimapolitik verzichten sollte. Die wäre schon deshalb geboten, weil nur so die Innovationen für eine klimaneutrale Zukunft entstehen können. Trotz wäre es an der Zeit, die Ideen des Nobelpreisträgers einmal ernsthaft zu prüfen.

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