Bundeswehr in der Pandemie:Corona-Befehlshaber sieht "großen Nachholbedarf"

Bundeswehr in der Pandemie: Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr helfen in einem bayerischen Impfzentrum.

Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr helfen in einem bayerischen Impfzentrum.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Seit zwei Jahren helfen Soldaten in Gesundheitsämtern oder Testzentren. Nun beklagt der verantwortliche Generalleutnant Mängel im Krisenmanagement - nicht nur beim Personal.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die Bundeswehr sieht nach fast zwei Jahren Amtshilfe in der Corona-Pandemie noch deutlichen Verbesserungsbedarf im Krisenmanagement. Generalleutnant Martin Schelleis, der als Nationaler Territorialer Befehlshaber Soldatinnen und Soldaten auf Bitten der Länder und Kommunen etwa in Altenheime schickt, in Gesundheitsämter und Impf- sowie Testzentren, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Beinahe alle relevanten staatlichen Instrumente müssen geschärft werden, und wir haben in vielen Bereichen großen Nachholbedarf."

Als Beispiel führte er unter anderem die Situation in den Gesundheitsämtern an. Im Zuge der Amtshilfe sind Tausende Soldaten in den Behörden eingesetzt, um etwa bei der Kontaktnachverfolgung Infizierter zu helfen oder die Ämter bei den Meldungen ans RKI zu unterstützen. Auf diesem Weg hat Schelleis Einblicke in die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes gewonnen.

Bei seinen Besuchen in den Gesundheitsämtern habe er gesehen, "dass es dort oftmals immer noch am nötigen Personal fehlt, um bei dynamischem Infektionsgeschehen ein klares Corona-Lagebild zeichnen zu können." Wie folgenreich sich dieser Mangel auswirkt, zeigt sich derzeit. Auch gut eine Woche nach den Feiertagen hat die Politik Mühe, verlässliche Corona-Zahlen zu bekommen, auf die Entscheidungen im Kampf gegen das Virus aufbauen könnten.

Schon wieder muss die Bundeswehr ihr Kontingent für die Amtshilfe aufstocken

Zu wenig passiert sei auch bei der Digitalisierung. Ämter waren untereinander, aber auch mit den Laboren und dem Robert-Koch-Institut nicht vernetzt. Vielerorts wurde zu Beginn der Krise noch mit Faxgeräten hantiert. Wo digital gearbeitet wurde, kam unterschiedliche Software zum Einsatz.

Der Bund hatte noch im ersten Jahr der Pandemie ein vier Milliarden Euro schweres Förderprogramm aufgesetzt, um im öffentlichen Gesundheitsdienst mehr Leute anstellen und die IT modernisieren zu können. Schelleis sagte: "Bei der Digitalisierung gibt es deutliche Fortschritte, aber noch keinen flächendeckenden Standard. Auch deshalb müssen wir zwei Jahre nach Beginn der Pandemie zurzeit wieder mit etwa 3500 Soldatinnen und Soldaten aushelfen."

Auch mit Blick auf die deutlich ansteckendere Omikron-Virusvariante und rasant steigende Infektionszahlen hat die Bundeswehr ihr Einsatzkontingent für die Corona-Hilfe wieder deutlich aufgestockt: Es stehen abermals 17 500 Soldatinnen und Soldaten bereit, mehr als 8500 helfen bereits aus.

Bundeswehr in der Pandemie: Natürlich helfe die Bundeswehr, sagt Generalleutnant Martin Schelleis. Doch längst müsse sie deshalb Einschränkungen bei der Ausbildung und bei Übungen hinnehmen.

Natürlich helfe die Bundeswehr, sagt Generalleutnant Martin Schelleis. Doch längst müsse sie deshalb Einschränkungen bei der Ausbildung und bei Übungen hinnehmen.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

"Die Bundeswehr kann helfen, sie will helfen, und sie tut es auch", sagte Schelleis. Sie sei auch noch nicht am Limit, allerdings müssten bei der Ausbildung und bei Übungen längst Einschränkungen hingenommen werden. "Unser Fokus liegt darauf, die laufenden Einsätze und die einsatzgleichen Verpflichtungen sicherzustellen", sagte Schelleis. "Solange wir nicht mehr als etwa 20 000 Soldaten für die Corona-Hilfe bereithalten müssen, kommen wir diesbezüglich nicht in Schwierigkeiten."

Kritischer hatte sich zu Weihnachten die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), zum Einsatz Tausender Soldaten in der Amtshilfe geäußert. "Das war am Anfang völlig gut und richtig", sagte Högl. Landkreise und alle anderen, die auf ziviler Ebene eigentlich zuständig seien für Katastrophenhilfe und Bevölkerungsschutz, hätten die Zeit aber nutzen können und müssen, um Strukturen so aufzustellen, dass "man nicht jedes Mal, wenn es eng wird, wieder die Bundeswehr ruft". Högl sagte: "Jetzt sind Zivile gefragt."

Generalleutnant Schelleis sieht die Bundeswehr noch vor arbeitsreichen Wochen. "Natürlich verfolge ich die Einschätzungen führender deutscher Virologen mit großer Aufmerksamkeit. Demnach können wir von einer Entspannung etwa nach Ostern ausgehen", sagte Schelleis. Das Ende der Pandemie sei dann aber womöglich immer noch nicht erreicht. Im Herbst müsse wohl wieder mit einer Welle gerechnet werden. Schelleis hofft, dass Deutschland bis dahin besser gerüstet ist.

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