Klimawandel:So kann die Welt die Erderwärmung in den Griff bekommen

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Autos auf der A100 in Berlin. (Foto: Florian Gaertner/photothek.de via www.imago-images.de/imago images/photothek)

Was muss im Verkehr, in der Landwirtschaft, in den Städten passieren, damit der Klimawandel gestoppt wird? Ein umfassender Bericht des Weltklimarats IPCC gibt darauf Antworten.

Von Benjamin von Brackel, Christoph von Eichhorn und Marlene Weiß

Diesmal war es besonders spannend: Eigentlich sollte der aktuelle Berichtsteil des Weltklimarats IPCC schon am Montagvormittag veröffentlicht werden. Doch die politisch entscheidende Zusammenfassung des Berichts, das sogenannte "Summary for Policymakers", muss Satz für Satz zwischen den am Bericht beteiligten Forschern und den Vertretern der 195 IPCC-Mitgliedsstaaten abgestimmt werden. Dass diese Verhandlungen länger dauern als geplant, ist normal. In diesem Fall war die Verzögerung aber extrem, statt Freitag ein Ende zu finden, gingen die Gespräche das ganze Wochenende lang, zum Schluss rund um die Uhr. Auch die offizielle Veröffentlichung musste auf Montagnachmittag verschoben werden, und eine Menge Leute werden jetzt einiges an Schlaf nachzuholen haben. Hat es sich gelohnt? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Bericht.

Worum geht es im aktuellen Klimabericht und warum ist er so wichtig?

Es handelt sich um den dritten und letzten Teil des sechsten Sachstandsberichts. Seit 1990 erscheinen diese umfassenden Berichte etwa alle fünf bis sieben Jahre, zuletzt 2014. Im vergangenen Jahr war bereits der erste Teil des aktuellen sechsten Berichts zum Zustand des Klimas erschienen, der zweite zum Thema Anpassung folgte Ende Februar. Im nun vorliegenden dritten Teil geht es um Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels. Da die Zeit zur Einhaltung der im Klimavertrag von Paris vereinbarten Ziele angesichts immer noch rekordhoher globaler Emissionen definitiv abläuft, ist der Inhalt des Berichts hoch relevant. Der IPCC stellt allerdings keine eigenen Forschungen an, sondern sammelt und bewertet den aktuellen Forschungsstand auf der Basis Tausender bereits veröffentlichter Arbeiten.

Wie entwickeln sich die Treibhausgasemissionen derzeit?

Die Corona-Pandemie hat den weltweiten energiebedingten CO₂-Emissionen im Jahr 2020 einen beispiellosen Dämpfer verpasst. Ebenso beispiellos war aber der anschließende Wiederanstieg auf das höchste je erreichte Niveau im Jahr 2021. Um das Zwei-Grad-Ziel, erst recht das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, müssten die Emissionen aber schleunigst sinken. Problematisch sind auch die Emissionen des starken Treibhausgases Methan, die zunächst stagnierten, aber seit Jahren steil ansteigen.

Wie groß ist die Klimaschutzlücke?

Der Bericht unterscheidet zwischen mehreren Lücken im globalen Klimaschutz. Da ist zunächst die Umsetzungslücke: Geht man nach den Maßnahmen, die Ende des Jahres 2020 umgesetzt waren - spätere Änderungen flossen nicht mehr in den Bericht ein - wäre im Jahr 2030 mit Emissionen von ungefähr 57 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalenten zu rechnen, ähnlich viel wie heute. Versprochen haben die Staaten im Vorfeld der Klimakonferenz 2021 in Glasgow aber, sich in der Summe auf rund 50 Milliarden Tonnen zu beschränken, die Umsetzung der Zusagen ist also mangelhaft. Aber zwischen den nationalen Versprechungen und dem gemeinsamen Ziel, deutlich unterhalb von zwei Grad Erwärmung zu bleiben, klafft eine weitere Lücke; für zwei Grad dürften 2030 in den meisten Szenarien nur noch rund 40 Milliarden Tonnen emittiert werden. Für 1,5 Grad wären es sogar nur ungefähr 30, rund halb so viel wie heute.

Ist das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, noch erreichbar?

Auf diese Frage gibt es zwei Antworten, das ist schon länger so: Theoretisch und technisch ja, praktisch und politisch eher nein. Bislang hat sich die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um rund 1,1 Grad erwärmt. Wenn die Emissionen aufhören, wird nach heutigem Stand der Forschung auch die Erwärmung nahezu anhalten. Demnach wäre das Ziel noch einzuhalten, wenn die Emissionen von sofort an steil sinken, bis 2030 um mehr als 40 Prozent und bis etwa 2050 auf null fallen würden, wobei selbst in diesem Fall damit zu rechnen wäre, dass die Temperatur die 1,5-Grad-Grenze vorübergehend überschreitet. Bis zum Ende des Jahrhunderts würde sie aber wieder sinken, sodass dann das Ziel erreicht wäre. Aber ist das realistisch? Es würde radikale, weltweite Klimaschutzmaßnahmen erfordern, die weit über alles bislang Umgesetzte oder Geplante hinausgehen. Aus heutiger Sicht ist das möglich, aber sehr schwer vorstellbar. "Es ist jetzt oder nie, wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen", sagt Jim Skea, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die für den dritten Berichtsteil zuständig war. "Ohne unmittelbare und starke Emissionsverringerungen in allen Sektoren wird es unmöglich."

Lassen sich Treibhausgase auch wieder aus der Atmosphäre entfernen?

Ja, und das muss auch passieren, will die Welt klimaneutral werden, so die Klimaforscher. Es sei schon deswegen "unumgänglich", um die Restemissionen auszugleichen, die sich bis zur Mitte des Jahrhunderts nicht vermeiden lassen, sei es aus der Luftfahrt oder der Landwirtschaft. Sogenannte negative Emissionen brauche es aber auch, wenn sich die Welt um mehr als 1,5 Grad Celsius erwärmt und diese Schwelle irgendwann wieder unterschritten werden soll. "Die CO₂-Entnahme mit einzukalkulieren hat den Geruch des Dubiosen, aber wir brauchen das, um netto keine Treibhausgase mehr auszustoßen", sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik, einer der Hauptautoren des Teilberichts. Potenziell ließen sich rund 1000 Gigatonnen CO₂ in der Erde speichern. Angemessen ausgewählt und verwaltet, könnte CO₂ "permanent von der Atmosphäre isoliert werden". Allerdings stünden nicht überall auf der Welt geologische Speicher zur Verfügung. Bevor eine Methode hochskaliert wird, müsste man zuerst die jeweiligen Risiken und Nutzen abwägen. "Die klassische Emissionsreduktion muss aber Vorrang haben", macht Geden klar. Es dürfe kein System zur CO₂-Entnahme aufgebaut werden, um weitermachen zu können wie bisher. Ebenfalls zum Bereich "negative Emissionen" zählen die Aufforstung von Wäldern sowie ein verbessertes Waldmanagement.

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Wie schnell geht der Umstieg auf erneuerbare Energien voran?

Hoffnung macht, dass die Kosten für saubere Energien seit 2010 kontinuierlich gefallen sind, wie der Bericht betont. So wurden Solarmodule seitdem um 85 Prozent günstiger, Windenergie verbilligte sich um 55 Prozent, Lithium-Ionen-Batterien um 85 Prozent. Das hat etwa zu einer beispiellosen Ausweitung der Photovoltaik geführt. "Die Kostenreduktionen bei vielen Technologien sind sehr zentral, das bringt viel", sagt Felix Creutzig, Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport am Mercator-Klimaforschungsinstitut MCC in Berlin. An vielen Orten weltweit seien erneuerbare Energien konkurrenzfähig gegenüber fossilen Brennstoffen, heißt es im Bericht. Mehr noch: "Emissions-intensive Systeme" zu erhalten, könne in manchen Regionen sogar teurer werden als der Umstieg auf saubere Alternativen. Die bieten neben Treibhausgas-Einsparungen weitere Vorteile, etwa Verbesserungen bei der Luftqualität. Dennoch hinke der Einsatz von Niedrigemissionstechnologien in den meisten Entwicklungsländern hinterher, vor allem in den am wenigsten entwickelten Staaten der Welt. Dies liege vor allem am mangelnden Zugang zu Finanzmitteln und zu wenig Technologietransfers. Mancherorts brächten erneuerbare Energien auch negative Nebeneffekte mit sich, etwa eine Abhängigkeit von ausländischem Know-how und Lieferanten. Letztlich dient der Umstieg auf die Erneuerbaren dazu, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen bei der Energieerzeugung zu minimieren. Allerdings zählt der IPCC-Bericht zu einem CO₂-neutralen Energiesystem auch den Einsatz von CCS (Carbon Capture and Storage) etwa bei Kohlekraftwerken. Hierbei wird das entstandene CO₂ aufgefangen, unter die Erde geleitet und dort verwahrt.

Müssten die Menschen sparsamer leben als bislang, um die Klimaziele zu erreichen?

Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnten sich dem neuen Teilbericht zufolge 40 bis 70 Prozent der Treibhausgasemissionen in den Sektoren Ernährung, Verkehr und Gebäude einsparen lassen, wenn die Politik die Menschen zu einem kohlenstoffärmeren Lebensstil bewegt. Etwa mit einer kompakteren Bauweise, mehr Fahrradwegen, energiesparenden Gebäuden und mehr Anreizen für eine fleischärmere Ernährung. "Das ist ein signifikantes, unerschlossenes Potenzial", sagt Priyadarshi Shukla von der Ahmedabad-Universität in Indien, der den Bericht koordiniert hat. "Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass diese Veränderungen im Lebensstil unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden verbessern können." Die Autoren empfehlen, zuerst bei den Wohlhabenden mit einem hohen sozioökonomischen Status anzusetzen. Diese würden unverhältnismäßig stark zum Treibhausgasausstoß beitragen.

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Wie kann die Landwirtschaft klimafreundlicher werden?

Im Idealfall könnte die Landwirtschaft 1,8 bis 4,1 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr einsparen, wenn auf nachhaltige Weise Getreide angebaut und Vieh gehalten und dabei auch CO₂ gespeichert wird - etwa durch Agroforstwirtschaft oder Ausstreuen von Biokohle auf Äckern. Eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft könnte sogar mehr Platz für Natur oder Erneuerbare schaffen. Ausführlicher als frühere Ausgaben geht der Bericht auf Ernährung ein und listet die Vorteile einer pflanzenbasierten Ernährung für die menschliche Gesundheit und Umwelt auf.

Welchen Beitrag kann nachhaltige Mobilität zum Klimaschutz leisten?

In Klimaszenarien, in denen es gelingt, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, fallen die meisten verbleibenden fossilen CO₂-Emissionen noch in zwei Bereichen an: in der Industrie sowie im Verkehr. Dass den Emissionen einzelner Verkehrsmittel schwer beizukommen ist, liegt teils schlicht an ihrem Gewicht - Schwertransporter lassen sich kaum batterieelektrisch betreiben, Jumbojets und Containerschiffe schon gar nicht. Dennoch gibt es auch hier Optionen, etwa nachhaltigen Biosprit sowie Treibstoffe auf Basis von grünem Wasserstoff. Leichter geht es bei Autos sowie im öffentlichen Nahverkehr und Warentransport auf kurzen Strecken: Elektroautos böten das größte Potenzial zur Dekarbonisierung im Transportbereich, so die Klimaforscher - vorausgesetzt, der Strom dafür stammt auch aus sauberen Quellen. Damit das 1,5-Grad-Ziel eingehalten wird, müssten die Emissionen aus dem Verkehrssektor bis 2050 um 59 Prozent sinken - auch hier muss also möglichst schnell möglichst viel passieren.

Sind die Städte Klima-Vorreiter?

Städte spielen in dem Bericht eine zwiespältige Rolle. Einerseits werden sie als Klimasünder erwähnt: Mit inzwischen zwei Dritteln kommt ein immer größerer Anteil des Treibhausgasausstoßes aus Städten. Das liegt nicht nur daran, dass mehr als die Hälfte der Menschheit mittlerweile in städtischen Gebieten lebt, sondern auch an deren Einkommen und der Gestaltung der Städte.

Zugleich aber können Städte auch einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Menschen dort müssen weniger Energie verbrauchen und weniger konsumieren, zum Beispiel indem sie stärker den öffentlichen Nahverkehr nutzen oder Fahrrad fahren, was sich in der Stadt leichter bewerkstelligen lässt als auf dem Land. Statt Öl oder Gas in Autos und Heizungen zu verbrennen, sollte auf erneuerbaren Strom umgestellt werden. Und schließlich können Städte auch als Kohlenstoffspeicher dienen, zum Beispiel indem Häuser aus Holz gebaut werden statt aus Beton, Dächer begrünt werden und Platz für Grünanlagen, Flüsse und Seen bleibt. Hinzu kommt: Während die nationalen Klimaschutzmaßnahmen und -ziele noch immer arg zu wünschen übrig lassen, ergreifen immer mehr Städte selbst die Initiative und setzen sich Klimaziele.

Wie kann die Industrie klimafreundlicher werden?

Die Industrie auf einen klimafreundlichen Pfad zu bringen, sei "herausfordernd, aber möglich", heißt es im Bericht. Herausfordernd, da die Nachfrage etwa nach Stahl, Zement oder Plastik global betrachtet weiter ansteigt - und bislang bilden fossile Rohstoffe meist die Basis, um den Bedarf zu decken. Um dies zu ändern, bedürfe es einer ganzen Palette an Maßnahmen, etwa einer effizienteren Verwendung von Materialien und einer Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Plastik müsse vermehrt recycelt, chemische Ausgangsstoffe aus der Natur statt aus Erdöl gewonnen werden. Für viele Industrieprozesse gibt es laut IPCC umweltfreundliche Optionen. So stehe die Stahlherstellung auf Basis von Wasserstoff kurz vor dem kommerziellen Einsatz.

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