Prozess:"Ein hilfloser Versuch, ein eindeutiges Symbol umzudeuten"

Prozess: Am 24. April 2018 erließ Bayerns neuer Ministerpräsident Markus Söder den sogenannten Kreuzerlass, nach dem in jeder Landesbehörde ein Kruzifix im Eingangsbereich hängen soll. Söder schritt in der Staatskanzlei sogleich zur Tat.

Am 24. April 2018 erließ Bayerns neuer Ministerpräsident Markus Söder den sogenannten Kreuzerlass, nach dem in jeder Landesbehörde ein Kruzifix im Eingangsbereich hängen soll. Söder schritt in der Staatskanzlei sogleich zur Tat.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Es war eine der ersten Amtshandlungen von Markus Söder als Ministerpräsident: der Kreuzerlass in Bayerns Behörden. Nun wird vor Gericht über dessen Rechtmäßigkeit gestritten - und darüber, wofür das Kreuz heute eigentlich steht.

Von Thomas Balbierer

Na hoppla! Eben hatte die Homepage der Bayerischen Staatskanzlei noch einwandfrei funktioniert, doch nach dem Klick auf einen ganz speziellen Link streikt die Seite plötzlich: "404" steht da, Inhalt nicht gefunden. Und darunter: "Himmel nochmal! Was ist denn hier kaputt?" Eine sehr gute Frage, die die Webdesigner der Staatskanzlei da in ihre Fehlermeldung getextet haben. Eigentlich wollte man zur Gedächtnisauffrischung nur durch den Kabinettsbericht vom 24. April 2018 scrollen - jenem Tag, an dem Bayerns neuer Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den mittlerweile berüchtigten "Kreuzerlass" auf den Weg brachte. Und ein noch berüchtigteres Foto in die Welt setzte.

Doch ausgerechnet dieses Foto, auf dem Söder in unvorteilhaftem Licht ein Bronzekreuz an die Wand seiner Staatskanzlei montiert, wird online nicht mehr angezeigt. Der Link ist kaputt, Error. Womit zur jüngsten Entwicklung rund um Söders Kreuzpflicht schon viel gesagt wäre. Denn die könnte, wenn es schlecht für ihn läuft, demnächst auch verschwunden sein. Himmel nochmal!

Prozess: Diese Fehlermeldung erscheint auf der Homepage der Staatskanzlei, wenn man das Foto von Markus Söder abrufen will, auf dem er ein Kreuz an die Wand montiert.

Diese Fehlermeldung erscheint auf der Homepage der Staatskanzlei, wenn man das Foto von Markus Söder abrufen will, auf dem er ein Kreuz an die Wand montiert.

(Foto: Thomas Balbierer)

Am Mittwoch verhandelte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München über zwei Klagen. Diese wollen den Beschluss, im Eingangsbereich aller bayerischen Landesbehörden ein Kreuz anzubringen, kippen und alle bereits aufgehängten Kreuze wieder entfernen lassen. Der religionskritische Bund für Geistesfreiheit (BfG) Bayern und sein Münchner Ableger waren bereits im Oktober 2018 mit 25 Privatpersonen, darunter zum Beispiel der Musiker Konstantin Wecker, vor Gericht gezogen.

Sie vermuten in der öffentlichen Zurschaustellung des Kreuzes in staatlichen Gebäuden "einen Verstoß gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit". Die Vertreter des Freistaats sehen das anders und argumentieren, dass das Kreuz als "Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" zu verstehen sei - nicht als rein religiöses Symbol. Eine zumindest gewagte Argumentation, schließlich bezeichnete das Bundesverfassungsgericht das Kreuz schon 1995 als christliches "Glaubenssymbol schlechthin". Und was die Richter in Karlsruhe entscheiden, ist für andere Gerichte in Deutschland Gesetz.

Der Freistaat sieht das Kreuz als Symbol der kulturellen und geschichtlichen Prägung

Eine Entscheidung über die Zulässigkeit des "Kreuzerlasses" traf der VGH am Mittwoch nach einer knapp dreistündigen Verhandlung nicht, der Beschluss wird innerhalb der nächsten zwei Wochen schriftlich mitgeteilt. In der Sitzung ließ Gerichtspräsidentin Andrea Breit beide Seiten ausführlich zu Wort kommen, eine Annäherung in der Sache gab es allerdings nicht.

Hubert Heinhold, Anwalt der Kläger, warf der Regierung vor, andere Weltanschauungsgemeinschaften durch die Hervorhebung des christlichen Kreuzes zu benachteiligen und damit gegen das Neutralitätsgebot des Staates zu verstoßen. Die Interpretation des Kreuzes als Symbol bayerischer Kultur und Geschichte sei "krude" und ein "hilfloser Versuch, ein eindeutiges Symbol umzudeuten". Oberlandesanwalt Marcus Niese gab sich davon als Verteidiger des Freistaats unbeeindruckt und hielt stoisch an der offiziellen Argumentationslinie fest. Anders als etwa in Frankreich schreibe die deutsche Verfassung keine scharfe Trennung von Kirche und Staat vor. "Entscheidend ist, dass das Kreuz von Seiten des Staates nicht mit appellativer, missionierender Wirkung verbunden wird", sagte Niese unter Bezug auf das Bundesverfassungsgericht. Bayern müsse seine christliche Prägung nicht verstecken. Das Kreuz könne bleiben.

Kardinal Marx kritisierte, man könne das Kreuz nicht "wie eine Waffe gegen andere" richten

Formal besteht der sogenannte Kreuzerlass aus nur einem Satz, der am 1. Juni 2018 als Paragraf 28 in die Allgemeine Geschäftsordnung für Bayerns Behörden aufgenommen wurde. Er lautet: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen." Ein schlichter Satz, aber einer mit Sprengkraft. Denn nicht nur Kirchenkritiker, Rechtsexperten und Vertreter anderer Religionen sehen darin bis heute eine unzulässige Vermischung von Kirche und Staat. Selbst der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, geißelte den Beschluss scharf: Das christliche Kreuz lasse sich "nicht von oben verordnen" oder "wie eine Waffe gegen andere" richten, so Marx. Sogar aus dem sonst so braven Beamtentum kam Widerspruch.

Das Kreuzgebot war eine der ersten Amtshandlungen von Markus Söder, nachdem er im März 2018 Ministerpräsident geworden war. Es geriet zum Symbol einer stramm konservativen, zum Teil populistischen Strategie, die Söder damals mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst fuhr. Aus Angst, zu viele Stimmen im rechten Lager an Freie Wähler und AfD zu verlieren, bediente sich der Regierungschef damals programmatisch bei der Konkurrenz - und kopierte sogar rechte Kampfbegriffe wie "Asyltourismus", den er im Streit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um die Aufnahme von Geflüchteten mehrmals nutzte und gegen Kritik verteidigte. Bis er sich unter großem Druck dafür entschuldigte.

Einen Wahlerfolg brachte ihm der Rechtskurs 2018 nicht. Die CSU verlor die Alleinherrschaft und Söder musste sich die Macht in Bayern fortan mit Hubert Aiwanger von den Freien Wählern teilen. Nach der Landtagswahl 2018, bei der die Grünen zur zweitstärksten Partei im Land aufgestiegen waren, entdeckte der Ministerpräsident plötzlich seine Liebe zu Bienen, Bäumen und Umweltpolitik. Und räumte nachträglich Fehler im Wahlkampf ein: "Manches würde ich heute anders machen, gerade auch in der Form." Womit er auch den Kreuzerlass meinte.

Die Klage dagegen war im Mai 2020 vom Verwaltungsgericht in München an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof weitergereicht worden, der höchsten Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Freistaat. Im Beschlusstext von damals finden sich Stellen, die man als Hinweis auf den Ausgang des Verfahrens lesen könnte. "Das Anbringen gut sichtbarer religiöser Symbole im Eingangsbereich einer Behörde stellt einen Eingriff in die Religionsfreiheit dar", steht da zum Beispiel. Oder: Das Behördenkreuz könne in Teilen der Gesellschaft einen "unausweichlichen Zwang" vermitteln, "entgegen eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen' unter dem Kreuz ein Verwaltungsverfahren zu betreiben". Eine Aussage über die Rechtmäßigkeit traf das Gericht damals nicht.

Assunta Tammelleo, Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München und Initiatorin der Klage, wertete den Beschluss trotzdem als Erfolg. Sie äußerte sich zuversichtlich, dass der Kreuz-Paragraf vom VGH kassiert werde. "Andernfalls werden wir die Klage gegen den Kreuzerlass bis zum Bundesverfassungsgericht fortführen."

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