Koalition:Die neue Widerborstigkeit

Koalition: Anfangs war es so etwas wie Liebe: Koalitionspartner (von links) Robert Habeck (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP).

Anfangs war es so etwas wie Liebe: Koalitionspartner (von links) Robert Habeck (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP).

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Lässige Gruppen-Selfies, kein böses Wort, vertrauliche Vereinbarungen: Das ist fürs Erste vorbei im Regierungsbündnis. Vor allem ein Partner sucht sein Profil.

Kommentar von Henrike Roßbach

Von einer Liebesheirat wollte niemand sprechen, als SPD, Grüne und FDP sich Anfang Dezember das Ja-Wort gaben. Aber ein bisschen verliebt waren sie schon - in ihre Idee einer "Fortschrittskoalition" und in dieses neue Miteinander, bei dem "Respekt" ungefähr so großgeschrieben wurde wie zuvor auf den Wahlplakaten von Olaf Scholz. Lässige Gruppen-Selfies, kaum ein böses Wort und vertrauliche Sitzungen, die vertraulich blieben: Für Abzüge in der B-Note gab es wenig Anlass.

Sechs Monate, einen Krieg und drei Landtagswahlen später ist es damit vorbei.

Da ist zum Beispiel FDP-Finanzminister Christian Lindner, der sich derzeit im Wochenrhythmus Kabinettskollegen vorknöpft. Zunächst SPD-Sozialminister Hubertus Heil, dessen Vorschlag eines sozialen Klimageldes Lindner öffentlich "noch nicht so richtig durchdacht" nannte. Dann den grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, über dessen Tierwohl-Label Lindner lästerte: "Jetzt ist nicht die Zeit für künstliche Verteuerung, jetzt ist die Zeit, ernst zu nehmen, dass die Menschen in den eigenen Kühlschrank schauen und dabei Sorgen haben."

Dass ein FDP-Minister besonders sichtbar die Krallen ausfährt, ist kein Wunder, denn die Liberalen sind am stärksten unter Druck. Drei Wahlen haben sie in den Sand gesetzt, und gerade fällt ihnen der grandios gescheiterte Versuch auf die Füße, die Autofahrer beim Tanken zu entlasten. Lindner wehrt sich damit, dass er ja ein anderes Instrument gewollt habe, einen echten "Tankrabatt", der an der Kasse abgezogen würde. Das mit der Steuersenkung auf Benzin und Diesel seien die Grünen gewesen.

Doch die Vorstellung, auf diese Weise davonzukommen, ist politisch so naiv, dass Lindner ziemlich sicher selbst nicht dran glaubt. Und auch, wenn Erfolge und Misserfolge in der Politik nicht immer mit den Richtigen nach Hause gehen: Dass die Tankrabatt-Empörung bei der FDP landet, ist nur gerecht. Denn die Initiative ging von Lindner aus, Modell hin oder her. Würde das Theater nicht drei Milliarden Euro kosten, wäre es ein lustiger Treppenwitz, dass ausgerechnet die marktwirtschaftlich codierte FDP eine derartige Subvention angestoßen hat.

Nun könnte die FDP natürlich einfach den Kopf einziehen, bis der Tankrabatt Geschichte ist. Daraus aber wird nichts, denn der Profilierungsdruck ist auch bei den Partnern groß. SPD und Grüne versuchen längst, die Gunst der Stunde zu nutzen, um durchzukriegen, was sie schon immer wollten: Steuererhöhungen, mehr Umverteilung und Schnitzarbeiten an der Schuldenbremse. Herausgekommen ist dabei schon mal die Debatte um eine Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne. Lindner ist dagegen, und in der Tat würde sich eine solche Steuer zwar gut anfühlen, wäre aber willkürlich und rechtlich problematisch. Der Finanzminister aber ist dabei in einer schlechten Ausgangsposition. In der FDP dürften sich die Ersten bereits mit Grausen fragen, ob der Tankrabatt ihre neue Hotelsteuer wird. Auf deren Senkung hatten die Liberalen bei ihrer letzten Regierungsbeteiligung mit einer Borniertheit gepocht, die sie am Ende, zusammen mit anderen Unzulänglichkeiten, aus dem Bundestag katapultierte.

Die entscheidende Frage aber ist, wie sehr die neue Widerborstigkeit in der Ampel das Bündnis insgesamt blockiert. Das nämlich kann sich die Regierung angesichts von Inflation, Krieg und Transformationsdruck nicht leisten.

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