Krieg in der Ukraine:Rückschlag in Sjewjerodonezk

Krieg in der Ukraine: Verzweifelte Verteidiger: Ein ukrainischer Soldat in Sjewjerodonezk.

Verzweifelte Verteidiger: Ein ukrainischer Soldat in Sjewjerodonezk.

(Foto: Oleksandr Ratushniak/dpa)

Die Ukraine verliert das Stadtzentrum an die russischen Angreifer. Präsident Wolodimir Selenskij wirft Deutschland vor, zu zögerlich mit Waffenlieferungen zu sein.

Von Nicolas Freund

Die ukrainischen Streitkräfte haben im umkämpften Sjewjerodonezk eine Niederlage erlitten. Wie der ukrainische Generalstab mitteilte, hätten die russischen Angreifer unter starkem Artilleriebeschuss das Stadtzentrum eingenommen und die Verteidiger zurückgedrängt. Die Stadt im Donbass ist seit Wochen schwer umkämpft. Offenbar ist sie nun fast völlig eingekreist. Mit der Nachbarstadt Lyssytschansk war sie letzter Teil der Region Luhansk, der noch nicht russisch besetzt ist. Die Eroberung der Region und des benachbarten Donezk gab Moskau zuletzt als Kriegsziel an. Präsident Wolodimir Selenskij erklärte, in Sjewjerodonezk werde "buchstäblich um jeden Meter gekämpft".

Selenskij forderte am Montag von Kanzler Olaf Scholz (SPD) "die Sicherheit, dass Deutschland die Ukraine unterstützt". Scholz und seine Regierung müssten sich entscheiden, sagte er dem ZDF: "Es darf kein Spagat versucht werden zwischen der Ukraine und den Beziehungen zu Russland." Selenskij beklagte Deutschlands Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen und forderte moderne Luftabwehrsysteme.

Scholz wies den Vorwurf zurück. Für die teils sehr komplizierten Waffensysteme sei es nötig, die ukrainischen Streitkräfte auszubilden: "Das findet in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig statt", sagte Scholz. Alle versprochenen Waffen würden geliefert. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, forderte von Scholz die Zusage von Leopard- und Marder-Panzern. Sonst werde es der Ukraine nicht gelingen, die "gewaltige militärische Überlegenheit Russlands zu brechen und das Leben von Soldaten und Zivilisten zu retten".

Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak twitterte, um den Krieg zu beenden, brauche die Ukraine unter anderem 1000 Artilleriegeschütze, 500 Panzer und 1000 Drohnen. Deutschland hat der Ukraine bis Anfang Juni Rüstungsgüter im Wert von mehr als 350 Millionen Euro geliefert, wie aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen hervorgeht.

Die letzte Brücke in die Stadt ist zerstört

Für die ukrainischen Verteidiger ist die Lage äußerst angespannt. Immer wieder betonen ukrainische Regierungsmitglieder die Überlegenheit der Angreifer. Laut einem nicht verifizierten Bericht des russischen Verteidigungsministeriums wurde bei einem Raketenangriff ein großes Depot mit ukrainischen Militärgütern zerstört.

In einem Industriegebiet halten sich laut dem Regionalgouverneur Hunderte Zivilisten auf, auch Kinder. Der Rückzug aus dem Gebiet ist zuletzt immer schwieriger geworden. Ein Großteil der Brücken über den Fluss, der Sjewjerodonezk und Lyssytschansk trennt, war bereits zerstört worden. Wie Gouverneur Serhiy Gaidai mitteilte, wurde am Montag auch die letzte Brücke zerstört, die noch aus Sjewjerodonezk führte. Laut dem britischen Militärgeheimdienst hätten ukrainische Truppen bei Rückzügen Brücken gesprengt, viele sollen aber auch durch die russische Artillerie zerstört worden sein, um die Verteidiger von ihrem Nachschub abzuschneiden.

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