Bulgarien:Bewegung im Veto-Land

Bulgarien: Etwa 40.000 Ukraine-Flüchtlinge zählt Bulgarien derzeit an seiner Schwarzmeerküste. Hier hilft ein bulgarischer Soldat einer Familie in der Hafenstadt Burgas.

Etwa 40.000 Ukraine-Flüchtlinge zählt Bulgarien derzeit an seiner Schwarzmeerküste. Hier hilft ein bulgarischer Soldat einer Familie in der Hafenstadt Burgas.

(Foto: Hristo Rusev/Getty)

Bulgarien streitet über einen EU-Beitritt Nordmazedoniens. Kaum hat der liberale Premier Entgegenkommen signalisiert, droht seine Koalitionsregierung zu zerfallen. Muss das Land schon wieder neu wählen?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Vergangene Woche erst hatte der deutsche Bundeskanzler auf seiner Tour durch den Balkan auch in Skopje haltgemacht und die sofortige Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien gefordert. "Die vor zwei Jahren fest zugesagten" Gespräche müssten "jetzt beginnen", sagte Olaf Scholz. Das Land habe alle Bedingungen erfüllt.

Scholz dürfte das auch und vor allem mit Blick auf Bulgarien gefordert haben. Denn das blockierte bislang mit seinem Veto just diese Verhandlungen über einen EU-Beitritt mit dem Nachbarland. Die frühere, konservative Regierung unter Bojko Borissow hatte den Erweiterungsprozess mit der Forderung gestoppt, Nordmazedonien müsse zuerst die genuin bulgarischen Wurzeln in seiner Sprache, Bevölkerung und Geschichte sowie die Rechte der bulgarischen Minderheit anerkennen.

Schon damals ging es Borissow, der längst nicht mehr an der Regierung ist und mittlerweile durch eine Viererkoalition unter dem reformorientierten Premier Kiril Petkow ersetzt wurde, vor allem darum, innenpolitisch Punkte zu sammeln. Die kulturelle Eigenständigkeit Nordmazedoniens blieb aber auch danach ein Streitthema, mit dem man hervorragend Schaufensterpolitik betreiben konnte. Die zielt auf den nationalistisch gesinnten Teil der Öffentlichkeit und die Klientel einiger Regierungsparteien, der russlandfreundlichen Sozialisten und von "Es gibt so ein Volk" (ITN) des Populisten und Entertainers Slawi Trifonow.

Unlängst hat der liberale Regierungschef Petkow, wohl auch angesichts des Drucks aus der EU, überraschend angedeutet, man könne das Veto aufheben - und vorgeschlagen, das Parlament über die Nordmazedonien-Politik abstimmen zu lassen. Petkow hat sich damit zwar, mehr oder minder elegant, selbst der Verpflichtung entzogen, als Ministerpräsident eine Linie vorzugeben, doch allein die Andeutung einer Aufweichung der Position gegenüber Skopje reichte aus: Trifonow sprach prompt vom "Verrat an nationalen Interessen", auch die Sozialisten-Chefin Kornelia Ninova legte scharfen Widerspruch ein.

Trifonow, nur Schattenchef einer Mafia-Partei?

Nun hat Trifonow angekündigt, ITN werde sich deswegen aus der Regierung zurückziehen. Mehrere Urnengänge nach der Abwahl von Borissow vor gut einem Jahr könnte das schon wieder Neuwahlen bedeuten. Offensichtlich ist der Kurswechsel bezüglich des Vetos gegen den EU-Beitritt Nordmazedoniens - bei allem Lavieren - also ein hohes politisches Risiko für Petkow. Das stellt auch eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung fest: Noch sei unklar, so der Bulgarien-Experte der FES, Boris Popiwanow, ob der Premier mit viel Druck versuchen könnte, seine nicht abgesprochene Abkehr vom Veto zu erzwingen. Oder ob Petkow nur die Ausrede gegenüber den europäischen Partnern brauche, dass seine Regierung zerbrechen werde, falls er das Veto tatsächlich kassiere.

Die Verwirrung wurde noch größer, als am Dienstag bekannt wurde, dass ein Minister sowie fünf Abgeordnete die Partei des Entertainers verlassen haben. Die ITN, so klagten sie öffentlichkeitswirksam, sei von der bulgarischen Mafia übernommen worden und Trifonow nur eine Marionette. ITN sei ein "Geschäftsmodell", keine Partei, ihr Schattenmann Trifonow habe sich seit zwei Jahren nicht mehr sehen lassen. Petkow nannte den Minister und die Parlamentarier demonstrativ "Helden"; die Mafia habe gerade einen "Koalitionspartner verloren".

Auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg werden Verwerfungen in der labilen Vier-Parteien-Koalition öffentlich, weil auch hier viel Klientelpolitik betrieben wird. Bulgarien ist traditionell russlandfreundlich. Petkow hatte sich früh für Sanktionen gegen Moskau ausgesprochen, aber immer interne Kompromisse gesucht. So liefert Sofia offiziell keine Waffen an Kiew, sondern setzt nur Kriegsmaterial instand. Bei den Energielieferungen ist Bulgarien zu 90 Prozent von russischem Gas abhängig, aber eine Pipeline nach Griechenland und aserbaidschanisches Gas sollen die Importe aus Moskau künftig stark reduzieren. Beim kollektiven Öl-Embargo der EU hatte Sofia einen zweijährigen Aufschub gefordert und letztlich vom ungarischen Veto profitiert.

Die Bevölkerung ist gespalten darüber, wie stark die Parteinahme für die Ukraine ausfallen soll, die Premier Petkow eindeutig als Opfer der russischen Aggression benennt. Er spielt seine neue Sichtbarkeit und stärkere Rolle innerhalb der EU aus und kritisiert den Versuch russischer Interventionen. Bisher hat sich die Koalition über die Haltung zum Krieg nicht öffentlich zerstritten, immerhin. Petkow gibt - noch - den Ton an: "Wenn das Land in der EU, das am meisten abhängig von Russland ist, gegen Russland aufstehen kann, dann können das andere auch."

Am Mittwoch beantragte die Opposition nun ein Misstrauensvotum gegen die Regierung wegen deren "Versagen in der Wirtschafts- und Steuerpolitik", wie Dessislawa Atanassowa, eine Spitzenvertreterin der konservativen GERB-Partei, erläuterte. Konkret wirft die Opposition der Regierung vor, keine ausreichenden Maßnahmen gegen den durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Anstieg der Inflation ergriffen zu haben. Sollte es gelingen, mit dem Misstrauensvotum die Regierung Petkow zu stürzen, dürfte das Land wieder in Richtung Moskau driften. Und das Veto gegen einen EU-Beitritt Nordmazedoniens würde wohl bestehen bleiben.

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