Lugano:40 Länder beraten über den Wiederaufbau der Ukraine

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Ignazio Cassis, Bundespräsident der Schweiz (Mitte), mit dem ukrainischen Premierminister Denys Schmyhal und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: Michael Buholzer/AFP)

Fachleute wie Politiker sind sicher: Das Land kann jede Hilfe gebrauchen. Dafür sind Milliarden nötig - womöglich auch von russischen Oligarchen.

Von Nicolas Freund, München

Viele Bilder aus dem Krieg in der Ukraine sind Bilder der Zerstörung. Flüchtende Menschen, die durch eiskalte Flüsse waten, weil Brücken zerstört wurden. Oder Satellitenbilder von Städten wie Mariupol, auf denen zu erkennen ist, dass ganze Viertel durch russische Artillerie zerstört wurden. Obwohl im Osten noch immer erbittert gekämpft wird und das ganze Land nach wie vor Ziel russischer Raketenangriffe ist, wird an diesem Montag und Dienstag in Lugano in der Schweiz bereits über einen Wiederaufbau gesprochen.

Die ukrainische Regierung stellt einen Plan dazu vor. Und neben Vertretern von 40 Ländern, die sich am Wiederaufbau beteiligen wollen, sind auch internationale Organisationen und Finanzinstitutionen wie die Europäische Investitionsbank (EIB) anwesend. Außer dem Wiederaufbau stehen auch Reformprojekte wie Klimaschutz, Digitalwirtschaft und Diversifizierung von Energiequellen auf der Agenda.

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Wie teuer all das wird, lässt sich derzeit kaum seriös angeben, zumal zu den noch nicht in ihrer Gänze erfassbaren Zerstörungen auch große wirtschaftliche Schäden hinzukommen. Der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal sagte in Lugano, er gehe von mindestens 720 Milliarden Euro aus. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, die ebenfalls anwesend ist, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Der Wiederaufbau der Ukraine wird eine immense Aufgabe sein, die Jahrzehnte dauern und mehrere Hundert Milliarden Euro kosten wird. Genau deshalb müssen wir schon jetzt über den Wiederaufbau sprechen."

Den größten Anteil des neuen "Marshallplans" will die EU tragen

Im Vorfeld hatte Achim Steiner, Chef des UN-Entwicklungsprogramms, die Weltgemeinschaft um Hilfe für die Ukraine gebeten. Das sei im Eigeninteresse Europas, um "nicht in eine noch katastrophalere Situation zu kommen". Als Deutscher appellierte Steiner besonders an seine eigene Nation: "Wir haben in Deutschland selbst in unserer Geschichte Solidarität erfahren."

Er spielt damit auf den Marshallplan an, das Wirtschaftsförderungsprogramm, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg halfen, Europa wieder aufzubauen. Das Programm gilt als Erfolgsmodell, ohne das der wirtschaftliche Aufschwung in den folgenden Jahrzehnten nicht möglich gewesen wäre.

Ein ähnlicher Plan wird schon länger auch für die Ukraine gefordert. Offenbar wollen allein die EU-Staaten dafür 500 Milliarden Euro bereitstellen, heißt es. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nimmt ebenfalls an dem Treffen teil.

Auch Korruptionsbekämpfung soll in Lugano Thema sein. Ministerin Schulze betonte: "Natürlich muss der Aufbau so laufen, dass das Geld auch da ankommt, wo es hin soll." Dafür soll eine internationale Plattform eingerichtet werden, über die Hilfen koordiniert und in die richtigen Kanäle geleitet werden können.

Achim Steiner von den UN brachte zur Finanzierung all dessen die Möglichkeit russischer Reparationen ins Spiel. Über UN-Resolutionen könne dafür ein Fonds etabliert werden. Der ukrainische Regierungschef Schmyhal forderte bei der Konferenz am Montag, die rund 300 bis 500 Milliarden US-Dollar Vermögenswerte des russischen Staates und von Oligarchen heranzuziehen, die derzeit weltweit eingefroren seien. Juristisch gilt dies allerdings als schwierig.

Auch wenn der Krieg sich womöglich noch Monate oder Jahre hinzieht, halten Fachleute wie Politiker es für sinnvoll, Teile der Infrastruktur schon jetzt wieder aufzubauen. Markus Berndt von der EU-Bank EIB warnte vor einem Kollaps des ukrainischen Staates, der sonst drohe. Ohne Investitionen bräche die Wirtschaft komplett zusammen. "Dann würden wir die wichtigste Säule für den Wiederaufbau verlieren."

Zwar könnten etwa Wasserwerke und -leitungen erneut zerstört werden. "Aber wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Städte wieder funktionieren und die Menschen dort leben können, dann sind die Kosten langfristig deutlich höher, als wenn wir eine Wasserversorgung zweimal finanzieren."

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