Privatsphäre:Was Smartphones über Abtreibungen verraten können

Privatsphäre: Nach dem Richterspruch gingen viele Frauen in Washington auf die Straße, um zu demonstrieren. Ein grünes Halstuch ist ihr Erkennungszeichen.

Nach dem Richterspruch gingen viele Frauen in Washington auf die Straße, um zu demonstrieren. Ein grünes Halstuch ist ihr Erkennungszeichen.

(Foto: Sue Dorfman/imago/Zuma Wire)

Nach dem folgenreichen Urteil zu Abtreibungen in den USA löschen Frauen aus Angst vor der Polizei ihre Zyklus-Apps. Dabei gibt es noch ganz andere Denunzianten.

Von Jannis Brühl

In einem gespaltenen Land sind die Sorgen der beiden Lager sehr unterschiedlich. So steht in den USA einerseits die App Tiktok im Kreuzfeuer. Republikanische Senatoren machen Druck auf das Unternehmen Bytedance aus Peking, weil der chinesische Staat dessen beliebte Video-App wohl nutzen kann, um an private Daten von US-Nutzern heranzukommen.

Auf der anderen Seite fürchten sich viele Frauen statt vor China eher vor dem eigenen Staat und seinem Überwachungsapparat. Denn wo Abtreibung eben noch legal war, ist sie seit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs in vielen konservativen Staaten ein Verbrechen - egal, wie verzweifelt eine Schwangere ist. Das bedeutet auch, dass der Umgang mit persönlichen Daten im Smartphone nochmals auf den Prüfstand gestellt wird.

Denn Telefone gelten als "Fenster zur Seele": Mit der richtigen Auswertungs-Software können Außenstehende nicht nur rekonstruieren, ob eine Frau schwanger war, sondern auch, wann diese Schwangerschaft endete. Viele Frauen löschen deshalb ihre Zyklus-Apps, in der Daten zu Eisprung, Sex - ob ungeschützt oder nicht - oder ausbleibender Periode erfasst werden. Ihre Furcht: Die Polizei in einem Bundesstaat, der Abtreibungen unter Strafe stellt, könnte Daten von den Anbietern solcher Apps auswerten. Ein Staatsanwalt könnte dann anhand der Daten vor Gericht argumentieren, dass die Frau ja bis zu einem bestimmten Zeitpunkt schwanger gewesen sei. So müssen Ermittler nicht den wenig erfolgversprechenden Versuch unternehmen, sich besonders geschützte Daten aus Kliniken oder von Ärzten zu beschaffen.

Die Geschichten von den verräterischen Zyklus-Apps gehen um die Welt. Aber womöglich ist der Fokus auf diese Apps fehlgeleitet. Das Problem sei viel größer, schreibt Cory Doctorow, bei der Electronic Frontier Foundation einer der profiliertesten Aktivisten für den Schutz der digitalen Privatsphäre, in seinem Blog. Er gesteht zwar zu, dass viele Zyklus-Apps in Sachen Datenschutz Vollkatastrophen seien. Dennoch dürften sich Frauen nicht der Illusion hingeben, das Löschen einer solchen App würde ihnen Sicherheit bieten.

Die Vollkatastrophe sei eine grundsätzliche, in Form praktisch aller Apps, die über die App-Stores von Google und Apple verbreitet würden - von solchen für Distanzunterricht bis zu jenen, mit denen Muslime an ihre Gebete erinnert würden. Der gesamte Techsektor spioniere seine Nutzer aus. Das zeige sich vor allem bei den Standortdaten, in denen erfasst wird, wo sich ein Gerät und damit sein Nutzer aufgehalten hat. Ermittler könnten sich diese Daten von den Unternehmen aushändigen lassen und so herausfinden, wer eine Abtreibungsklinik besucht hat. Oder sie gehen zu einem Datenhändler, der Daten aus Apps zusammenführt und verkauft.

Mithilfe von Standortdaten hat ein katholischer Newsletter-Dienst einen Priester geoutet

So konnte ein Reporter der Website Motherboard für 160 Dollar beim Datenhändler Safegraph einen Datensatz kaufen, der Besuche bei 600 Einrichtungen von Planned Parenthood enthielt. Die gemeinnützige Organisation hilft Schwangeren und bietet auch Abtreibungen an. Einzelne Besucher sind relativ leicht zu identifizieren, da die "Anonymisierung" der Daten diese Bezeichnung meist nicht verdient. Safegraph verkündete daraufhin, keine Daten über Abtreibungskliniken mehr zu verkaufen.

Dass die religiöse Rechte nicht davor zurückschreckt, Standortdaten zu nutzen, um Menschen zu outen, zeigte sich vergangenes Jahr. Der katholische Newsletter-Dienst The Pillar legte anhand solcher Daten dar, dass ein Priester, der in leitender Position bei der US-Bischofskonferenz arbeitete, sich in Schwulenbars aufgehalten und die Dating-App Grindr für Homosexuelle genutzt hatte. Er trat zurück.

Google reagierte am Wochenende und schlug sich auf die Seite der Frauen: Standortdaten, die Aufschluss über den Besuch medizinischer Einrichtungen geben, werde man automatisch löschen. Das gelte explizit auch für Abtreibungskliniken. Im Ringen mit den republikanischen Bundesstaaten versucht auch Präsident Joe Biden nun, solche Daten besser zu schützen und hat die Verbraucherschutzbehörde FTC um entsprechende Schritte gebeten.

Andere Fachleute verweisen darauf, dass es nicht nur um Standortdaten gehe. In Anklagen gegen Mütter wegen vermeintlicher illegaler Abtreibungen habe die Polizei in der Vergangenheit vor allem Suchanfragen und Textnachrichten der angeklagten Frauen ausgewertet, die auf ihren Computern und Handys gespeichert waren. Die sollten Überlegungen der Frauen zu möglichen Abtreibungen belegen.

IT-Forscherin Maggie Delano argumentiert, es sei zwar grundsätzlich sinnvoll, zu einer der wenigen datensparsamen Zyklus-Apps zu wechseln. Allerdings seien die größten Denunzianten, die Frauen nach Abtreibungen bislang vor Gericht gebracht hätten, keine Algorithmen gewesen. Sondern Krankenhauspersonal, Freunde und Verwandte, die die Polizei gerufen hätten.

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