SZ-Serie: "Platz da" Kreativorte in Bayern" Folge 4:Das Kunst-Tempelchen am Main

SZ-Serie: "Platz da" Kreativorte in Bayern" Folge 4: Kunst im Kirchenschiff: Die Sommerlaune-Ausstellung "Kunst besitzen" 2021 im Würzburger Spitäle machte Liegestühle zu Kunstobjekten, ob aufgestellt oder flach zusammengeklappt als gerahmte Bilder an der Wand.

Kunst im Kirchenschiff: Die Sommerlaune-Ausstellung "Kunst besitzen" 2021 im Würzburger Spitäle machte Liegestühle zu Kunstobjekten, ob aufgestellt oder flach zusammengeklappt als gerahmte Bilder an der Wand.

(Foto: privat)

Vor mehr als 500 Jahren wurde das Spitäle den 14 Nothelfern geweiht, nach der Würzburger Bombennacht 1945 war die Kirche lange eine Ruine- dann haben Künstler das Baudenkmal in eine der schönsten und meistbesuchten Galerien der Stadt verwandelt.

Von Jutta Czeguhn

Ob man sie noch zusammenbekommt, alle 14 Nothelfer? Die Heilige Barbara, die war bestimmt dabei, der Christophorus auch, und was ist mit Georg, dem Drachentöter? So grübelt man vor sich hin beim Überqueren der Alten Mainbrücke, während Touristen rechts und links Erinnerungsfotos schießen und sich vielleicht ein klein wenig an Prag, an die Karlsbrücke erinnert fühlen, nur dass hier über dem Fluss nicht der Hradschin, sondern die Marienfeste thront. Am westlichen Brückenkopf angekommen, stößt man quasi direkt auf die Kirche, die der heiligen Task-Force einst geweiht war: das Spitäle.

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(Foto: SZ-Grafik)

Das ist natürlich ein unterfränkisches Diminutiv, denn in Würzburg, dieser Stadt der Kirchen, gibt es durchaus größere Gotteshäuser als das "Hofspital zu den 14 Nothelfern", wo einst auch Kranke gepflegt wurden. Und steht man erst vor dem recht weltlichen, klassizistischen Säulenportikus mit der großen Uhr im Dreiecksgiebel, ist klar, Weihwasserbecken oder Gesangbücher wird man hinter der Glasschwingtür vergeblich suchen. Schmiedeeisern Schwarz auf Ocker heißt es da unmissverständlich: "Spitäle Kunst-Galerie".

Gerade geht hier die Sommerausstellung "Collage 22" zu Ende. Besucher zirkeln im hellen Langschiff, stoppen immer wieder vor einer kühnen Assemblage: ein Esstisch, eine hellblaue Steppdecke, eine Pickelhaube, Westernstiefel, eine russische Schürze, eine zu Himmel und Hölle gefaltete chinesische Zeitung und ein Button mit der Aufschrift "St. Petersburg". Die Arbeit von Christine Wehe-Bamberger trägt den Titel "Zivilisation". Zu deren konstanten Begleiterscheinungen wohl die Kriege gehören. Und diese profanierte, altarlose kleine Kirche kann einiges davon erzählen. Oder besser Andi Schmitt, mit dem man hier verabredet ist.

SZ-Serie: "Platz da" Kreativorte in Bayern" Folge 4: Andi Schmitt, Vorsitzender der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens, dem Trägerverein des Würzburger Spitäles.

Andi Schmitt, Vorsitzender der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens, dem Trägerverein des Würzburger Spitäles.

(Foto: privat)

Den Vorsitzenden der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens (VKU) darf man wahrscheinlich mit einigem Recht den Mesner vom Spitäle nennen, denn Vereinsarbeit bedeutet nun mal, alles am Laufen zu halten, "immer im Korsett der Gedanken zu stecken, die um den Laden hier kreisen", beschreibt er das. Viel Arbeit, aber auch viel Ehr'. Denn das Spitäle kam unlängst auf die Shortlist beim Wettbewerb "Kreativorte in Bayern" der Staatsregierung, unter die Top 12 also von immerhin 180 Teilnehmern. Und zum 100. Geburtstag der Künstler- Vereinigung 2019 prasselten Würdigungen von allen Seiten auf eine der wichtigsten Kulturinstitutionen der Region. Oberbürgermeister Christian Schuchardt befand in seiner Laudatio auf das Spitäle: "eine der schönsten und meistbesuchten Galerien in Würzburg und Umgebung."

Die Künstler rührten selbst den Mörtel an und renovierten die Kirchenruine

Dass man hier überhaupt mit Andi Schmitt zwischen Kunstwerken herumspazieren kann und nicht still in einer Kirchenbank sitzt, hat - so pervers ist der Lauf der Geschichte - mit jenem 16. März 1945 zu tun, als beim verheerenden Bombenangriff auf die Stadt auch Würzburgs Kirchen in Schutt und Asche sanken. Das Spitäle, ursprünglich 1498 als Hofspital erbaut und dann 1793/94 im klassizistischen Stil neu errichtet, wurde ebenfalls getroffen. "Das Verblüffende war, dass die Fassade nahezu unbeschädigt blieb, aber das Dach, das war natürlich kaputt", erzählt der Künstler. Die Stadt, der die Kirchenruine nun gehörte, ließ das Baudenkmal verfallen. Auch ringsumher im sogenannten Mainviertel ("Meeviertel") klaffte lange eine Wunde.

Das Kirchlein war eine von vielen Schrottimmobilien in Würzburg, bis Ende der Sechzigerjahre Mitglieder der VKU auf den Gedanken kamen, den Saalbau zu einem Ort der Kunst zu machen. Die Stadt gab ihr Go und los ging's. "Das war damals eine Künstlergeneration, die konnten alle noch Mörtel anmischen, verputzen, zudem gab es viele Architekten im Verein", weiß Andi Schmitt aus den Annalen. Den fragmentarischen Charakter des Raums haben sie dann bewusst belassen, die gotisierenden Spitzbogenfenster an der Nordseite zugemauert, ein Behelfsdach eingezogen.

"Bei der ersten Ausstellung im Juni 1968 waren die Fenster auf der Südseite noch ohne Glas, da sollen während der Schau die Tauben hereingeflogen sein", sagt er. Doch wen kümmerte es, die Künstlervereinigung hatte endlich einen festen Ort. Diesen notdürftigen Instandsetzungen sollten erst in den 80er- und Nuller-Jahren substanziellere Renovierungen folgen. Und Pläne für ein Hotel samt Personenaufzug hinauf zum Husarenkeller der Feste, mit dem Spitäle als Foyer. Riesenprotest! "Daraus wurde dann nichts, die Vernunft hat am Ende gesiegt", sagt Andi Schmitt dazu.

SZ-Serie: "Platz da" Kreativorte in Bayern" Folge 4: Zitat einer Kirchen-Empore: Diese schlichte, fahrbare Konstruktion an der Ostseite der Galerie schafft zusätzlichen Ausstellungsraum.

Zitat einer Kirchen-Empore: Diese schlichte, fahrbare Konstruktion an der Ostseite der Galerie schafft zusätzlichen Ausstellungsraum.

(Foto: privat)

Trotz seiner jahrhundertealten Geschichte hat das Spitäle mit den hohen, weißen Wänden heute alle Eigenschaften einer modernen, funktionalen Galerie. Beeindruckend schlicht ist die Empore, eine Konstruktion aus Stahl und Glas über dem Eingang, die sich fast bis zum Chor ziehen lässt. Über dem Langschiff schweben zudem riesige Deckensegel. Andi Schmitt klatscht in die Hände. "Hören Sie das?" Genau hat man nicht mitgezählt, aber vier Sekunden Nachhallzeit dürften es schon gewesen sein. "Ein Schlagzeug-Duo würde ich hier nicht spielen lassen, da platzt einem das Trommelfell", sagt er. Wunderbar aber sei der Raum für Kammermusik, für stille, leise Klänge.

Schmitt kümmert sich in Personalunion um das Musikprogramm im Spitäle, das einfach zu besonders sei, um nur Bilder an die Wände zu hängen. Für knapp 100 Menschen kann er hier bestuhlen. Die Musik ist ihm, das hört man, eine Herzenssache, die während der Pandemie allerdings nur eingeschränkt stattfinden konnte. Nun gebe es viel nachzuholen, "die Pipeline für Konzerte ist total verstopft, ich könnte hier täglich eines veranstalten". Die Preise für Konzerte im Spitäle sind übrigens moderat, über die Kultur-Tafel Würzburg vergibt der Verein regelmäßig Freikarten.

Es gibt auch Musik im Spitäle, denn es wäre zu schade, hier nur Bilder aufzuhängen

SZ-Serie: "Platz da" Kreativorte in Bayern" Folge 4: Das mehrfach preisgekrönte Geschwisterpaar Richard und Roberta Verna bei einem Konzert im Spitäle. Die Violinistin ist seit März 2020 Mitglied der Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters.

Das mehrfach preisgekrönte Geschwisterpaar Richard und Roberta Verna bei einem Konzert im Spitäle. Die Violinistin ist seit März 2020 Mitglied der Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters.

(Foto: VKU)

Seit 2017 ist Andi Schmitt Vorsitzender im vierköpfigen Vorstand. Obwohl die VKU das Spitäle längst nicht mehr kostenfrei nutzen kann, sondern Miete an die Stadt zu zahlen hat, leistet sich der Verein im Rahmen seiner Möglichkeiten ein paar Angestellte; Aufsichten, den Hausmeister, die Putzkraft. Vor allem aber eine Geschäftsstelle, die dem Vorstand viel abnimmt, so dass der sich auf konzeptionelle Arbeit konzentrieren kann. Die VKU hat heute an die 200 Mitglieder, eine Hälfte Förderer, die andere aktive Künstlerschaft. Überwiegend zeitgenössisch sind sie hier unterwegs in den klassischen Genres Bildhauerei, Malerei, Zeichnung, auch Fotografie ist stark vertreten. Medienkunst jedoch, sagt Schmitt, mag man im Spitäle vermissen. Es selbst hat dazu eine dezidierte Meinung, diese jungen Kreativen seien ihm zu unverbindlich, zu sehr mit sich selbst befasst. So sieht er es.

SZ-Serie: "Platz da" Kreativorte in Bayern" Folge 4: Der Aschaffenburger Jahrhundertkünstler Ernst Ludwig Kirchner, hier ein Selbstportrait von 1913-15, war nicht nur Gründungsmitglied der berühmten "Brücke", auch der Vereinigung unterfränkischer Künstler und Kunsthandwerker gehörte er eine Zeit lang an.

Der Aschaffenburger Jahrhundertkünstler Ernst Ludwig Kirchner, hier ein Selbstportrait von 1913-15, war nicht nur Gründungsmitglied der berühmten "Brücke", auch der Vereinigung unterfränkischer Künstler und Kunsthandwerker gehörte er eine Zeit lang an.

(Foto: privat)

Dabei hat es innerhalb des Vereins, Gründungsname 1919 Vereinigung unterfränkischer Künstler und Kunsthandwerker (Vukuk), immer schon stark auseinanderdriftende Strömungen gegeben, wie ein Blick in die Jubiläumschronik verrät. Noch weitgehend konservativ im 19. Jahrhundert verhaftet, tat man sich anfangs schwer mit Avantgardisten wie dem Impressionisten Max Slevogt oder der breitvernetzten Gertraud Rostosky, die sich an Ausstellungen der Neuen Münchner Sezession beteiligte. Auch der gebürtige Aschaffenburger Expressionist Ernst Ludwig Kirchner und die Würzburgerin Emy Roeder haben der Künstlervereinigung einmal angehört. Der Aufbruch in eine neue Kunstsprache fand 1933 auch in Würzburg ein jähes Ende. Um der Gleichschaltung zu entgehen, so lautete lange das Vereinsnarrativ, habe man sich in den braunen Jahren "schlafen gelegt". Neuere Recherchen brachten jedoch Verstrickungen von Mitgliedern mit der Reichskammer für Bildende Künste ans Licht.

SZ-Serie: "Platz da" Kreativorte in Bayern" Folge 4: Künstlerische Auseinandersetzung mit einem aktuellen Phänomen: Die Schau "Klima.Wandel.Jetzt" im vergangenen Januar im Spitäle.

Künstlerische Auseinandersetzung mit einem aktuellen Phänomen: Die Schau "Klima.Wandel.Jetzt" im vergangenen Januar im Spitäle.

(Foto: Michael Ehlers)

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es dann zur Neugründung unter dem Namen VKU. Heute sieht sich die Künstlervereinigung als Teil der Stadtgesellschaft, offen für aktuelle Diskurse etwa mit Ausstellungen zum Klimawandel. Das Spitäle ist auch ein Ort für Podien, sei es zur OB-Wahl oder zum Thema Doping, Studierende können hier ihre Semesterschauen zeigen, und die Begleitausstellung zum Würzburger Africa Festival fand über Jahre immer in der Galerie statt. Es gibt regelmäßig Lesungen und Filmreihen. Insgesamt sieht Andi Schmitt seinen Verein "auf Augenhöhe" mit den wichtigen Würzburger Politik- oder Kulturinstitutionen wie etwa dem Museum im Kulturspeicher.

Und auch der Klerus, in dieser alten Bischofsstadt immer noch ein Faktor, hat ein interessiertes, mildes Auge auf sein einstiges Nothelfer-Kirchlein geworfen, das jährlich bis zu 25 000 Menschen anlockt, mehr also als so manches Gotteshaus. "Drüben ist das Zentrum des klerikalen Würzburg, hier das weltliche, wir leben harmonisch miteinander", sagt Andi Schmitt. Er steht an der Galerie-Pforte, durch die Glastür geht der Blick kerzengerade über die Brücke zum Dom.

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