Energiekrise:Der Winter rückt näher - und mit ihm der Krieg

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Ab kommendem Jahr sollen neue Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden - um die Details wird noch gerungen. (Foto: Armin Weigel/DPA)

Energie wird künftig knapp und teuer sein. Wie kommt Deutschland durch diesen Winter?

Von Michael Bauchmüller

Der Winter rückt näher, und mit ihm der Krieg. "Wir befinden uns in einem Energiekrieg", so sagt das Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Freitag im Bundestag. "Es soll unser Wohlstand erschüttert werden." Zur gleichen Zeit laufen in Moskau die letzten Vorbereitungen zur Annexion der ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja, und in Brüssel und Washington laufen Gespräche über weitere Sanktionen gegen Russland an. Der Winter rückt näher, die Lage spitzt sich zu.

Und sie wird ungemütlich, auch in Deutschland. Erst am Donnerstag hatte die Bundesregierung ihren "Abwehrschirm" aufgespannt: Bis zu 200 Milliarden Euro, um Gasimporteure zu stützen, Mittelständler zu retten, den Anstieg der Strom- und Gaspreise zu bremsen. "Wirklich nötig" sei das, um Existenzen zu retten, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Freitag der SZ, Wladimir Putin habe Deutschland und Europa mit seinem Krieg in eine Notlage gebracht. "Aber man darf da jetzt auch keine falschen Versprechen machen: Es wird nicht einfach so wie vor dem Krieg sein." Am sparsamen Umgang mit Energie führe kein Weg vorbei: "Denn Energie ist knapp und wir müssen diese Zeit solidarisch überstehen", sagt Habeck.

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Ob das gelingt, verrät keine Glaskugel. Aus Russland wird kein Gas mehr nach Mitteleuropa fließen, dazu brauchte es die mysteriösen Anschläge auf die Ostsee-Pipelines nicht. Seit Monaten nutzt Gazprom auch die Leitungen durch die Ukraine nicht. Auf russisches Gas darf niemand hoffen. Norwegen, die Niederlande, Belgien liefern am Limit. Und die Menge an Flüssigerdgas, die derzeit über die Weltmeere verschifft wird, ist begrenzt. Mag Deutschland noch so viele Terminals bauen - auf die Schnelle mangelt es an Schiffen und an Anlagen, das Gas zu verflüssigen. Das verflüssigte Gas ist knapp und nach den Regeln der Marktwirtschaft deshalb teuer.

So stehen die Dinge, wenn mit diesem Wochenende der Oktober beginnt, der erste Monat der kalten Jahreszeit. Einen ersten Vorgeschmack liefert just am Freitag die Bundesnetzagentur. Seit einem halben Jahr überwacht sie täglich, wie sich die Füllstände der deutschen Gasspeicher entwickeln. Diese Speicher sollen die Wärmeversicherung der Deutschen im Winter sein - wenn es kalt wird, sollen sie die russische Lieferlücke stopfen. Ein halbes Jahr lang zeigte die Speicherkurve quasi ununterbrochen nach oben. Bis zu diesem Freitag. Da meldete die Bonner Behörde einen Knick - ein statistischer Effekt. Aber in Zukunft muss sich das Land häufiger auf solche Knicks einstellen. Es wird kälter.

"Letztendlich kommt es auf die Verbraucher an"

Die Kälte, das ist die eine maßgebliche Größe für die kommenden Monate. Die andere ist, wie warm es die Deutschen gerne haben wollen. "Letztendlich kommt es auf die Verbraucher an", sagt Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur. "Es wird 20 Millionen Diskussionen am Morgen geben, ob die Heizung im Bad nicht doch etwas wärmer sein kann, und das an 180 Tagen." Weil sich aber schwer abschätzen lasse, wie Familien solche Fragen entscheiden, lasse sich kaum prognostizieren, wie gut das Land über den Winter kommt.

Doch jetzt, wo die Tage kürzer und kälter werden, stellen sich diese Frage Millionen Haushalte noch ganz anders: Wie viel Wärme werden sie sich noch leisten können? Das 200-Milliarden-Paket des Bundes soll ihnen einen Teil dieser Sorgen nehmen, allen voran die geplanten Preisbremsen für Strom und Gas. Schon wächst die Sorge, derlei Bremsen könnten dem Sparen zuwiderlaufen. Das viele Geld könne dazu führen, "dass die Nachfrage nach Strom und Gas steigt und die Preise in die Höhe getrieben werden", warnt etwa Clemens Fuest, der Präsident des Münchner Ifo-Instituts. "Darin liegt eine Gefahr."

Diese Sorge plagt offenbar auch jene Expertenkommission, die Vorschläge für eine "Gaspreisbremse" entwickeln soll, und das schon bis Mitte Oktober. Die Bundesregierung hatte das Gremium vor gut zwei Wochen eingesetzt, viel ist seither nicht nach außen gedrungen. Doch nun melden sich die drei Kommissionsvorsitzenden mit einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung zu Wort. "Was bisher erreicht ist, ist nicht genug", mahnen die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, BDI-Chef Siegfried Russwurm und Michael Vassiliadis, Chef der Chemie- und Energiegewerkschaft IGBCE. Und: "Die aktuellen Sparerfolge beim Gasverbrauch sind zu gering, um eine Zuspitzung der Versorgungslage in den kommenden Monaten auszuschließen." Es gehe also darum, Bürger und Unternehmen rasch zu entlasten, "gleichzeitig jedoch Anreize zum Gassparen aufrechtzuerhalten". Es hat etwas von einer Quadratur des Kreises.

Und auch der Erfolg dieser Operation setzt voraus, dass die Lage sich nicht verschlechtert. Dass der Krieg nicht noch auf andere Weise näher rückt. Vor einem Treffen des UN-Sicherheitsrats am Freitag meldeten dänische und schwedische Behörden neue Erkenntnisse zu den Anschlägen auf die beiden Ostsee-Pipelines. Es habe sich, so hieß es, um "Sprengladungen von mehreren Hundert Kilo" gehandelt. Wer sie angebracht hat, ist ungewiss. Ungewiss wie der Verlauf dieses Winters.

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