AKW-Laufzeitverlängerung:Scholz beendet Atomstreit mit Machtwort

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Bundeskanzler Scholz beendet den Streit in der Koalition mit einem Machtwort (Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP)

Der Bundeskanzler will drei Atomkraftwerke bis Mitte April weiterlaufen lassen und den Koalitionsstreit damit beilegen.

Von Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt, Berlin

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Koalitionsstreit um die Atompolitik mit einem Machtwort beendet und den Weg für eine befristete Weiternutzung der drei letzten deutschen Kernkraftwerke frei gemacht. Scholz teilte am Montagabend mit, man werde die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland wegen der Energiekrise über den vereinbarten Ausstiegstermin am 31. Dezember hinaus weiterlaufen könnten. Spätestens am 15. April 2023 werde der Betrieb aber endgültig eingestellt. Grundlage der Entscheidung sei die Geschäftsordnung der Regierung, nach der der Kanzler die Richtlinien der Politik bestimmt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) begrüßte den Beschluss und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärte, er akzeptiere die Entscheidung.

SPD, Grüne und FDP waren sich angesichts explodierender Energiekosten prinzipiell einig gewesen, über den eigentlich vereinbarten Ausstiegstermin hinaus vorübergehend an der Nutzung von Kernenergie festzuhalten. Die Grünen hatten allerdings auf ihrem Parteitag am Wochenende beschlossen, dass nur die beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 bei Bedarf am Netz bleiben sollen, und das längstens bis zum 15. April. Die FDP dagegen forderte wegen der Preissteigerungen und möglicher Stromengpässe im Winter, auch den niedersächsischen Meiler Emsland einzusetzen und alle drei Kraftwerke bis 2024 weiterzubetreiben.

Dass sich der Kanzler nun genötigt sah, von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, ist äußerst ungewöhnlich und ein Hinweis darauf, für wie fragil Scholz den Zustand des Ampelbündnisses zuletzt hielt. Zwar hatten alle Beteiligten wiederholt erklärt, an der Koalition festhalten zu wollen. Alle Versuche, den Streit in gegenseitigem Einvernehmen zu lösen, scheiterten jedoch. Zunehmend stand auch Scholz selbst in der Kritik, weil er zumindest in der Öffentlichkeit wochenlang zu dem Konflikt geschwiegen hatte.

Mit der jetzigen Entscheidung hat sich keiner der beiden Kontrahenten vollständig durchgesetzt. Habeck sprach von einer "unüblichen Lösung in einer verfahrenen Situation". Es sei aber ein "Vorschlag, mit dem ich arbeiten kann, mit dem ich leben kann". Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), zuständig für die Atomaufsicht in Deutschland, stellte sich hinter Scholz. "Das ist eine klare Entscheidung gegen eine Laufzeitverlängerung über den 15. April hinaus und gegen die Beschaffung neuer Brennelemente", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. "Das waren für mich die zentralen Punkte."

Umweltschützer üben massive Kritik an Laufzeitverlängerung

FDP-Chef Lindner begrüßte es, dass "der Bundeskanzler nun Klarheit geschaffen" habe. Es liege "im vitalen Interesse unseres Landes und seiner Wirtschaft, dass wir in diesem Winter alle Kapazitäten der Energieerzeugung erhalten". Die weitere Nutzung des Kernkraftwerks Emsland sei ein wichtiger Beitrag zu Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz, deshalb finde er "die volle Unterstützung" der Freien Demokraten. "Auch für den Winter 2023/2024 werden wir gemeinsam tragfähige Lösungen erarbeiten. Darauf können sich die Menschen nach der heutigen Entscheidung verlassen", erklärte der Finanzminister weiter. Ob er damit andeuten wollte, dass die FDP die Debatte um die Atomkraft im kommenden Jahr neu zu eröffnen gedenkt, blieb allerdings offen.

An diesem Dienstag müssen sich nun die Bundestagsfraktionen mit der Entscheidung des Kanzlers befassen. Anschließend ist ein Beschluss des Parlaments notwendig, um zu verhindern, dass die Betriebsgenehmigungen für die verbliebenen deutschen Kernkraftwerke auslaufen.

Scholz kündigte zudem an, die Koalition werde "ein ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz" vorlegen. Zudem werde man die politische Vereinbarung zwischen dem Bund, dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Energiekonzern RWE zur Verlängerung der Kohleverstromung bis 2024 und zum vorgezogenen Kohleausstieg im Westen im Jahr 2030 umsetzen. Um die Stromversorgung sicherzustellen, werde die Bundesregierung zudem die Voraussetzung für den Bau neuer, wasserstofffähiger Gaskraftwerke schaffen.

Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sprach von einem "klugen Kompromiss zur Versorgungssicherheit". Mit dem 15. April 2023 stehe nun ein klares Enddatum für die Nutzung der Kernkraft fest, zudem müssten keine neuen Brennstäbe angeschafft werden. Umweltschützer hingegen kritisierten Scholz' Ankündigung. "Die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke setzt uns alle einem nicht zu verantwortenden Risiko aus", sagte Greenpeace-Chef Martin Kaiser. Durch die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipeline und die Bahn habe sich die Bedrohungslage in Deutschland "drastisch verschärft". Die drei Meiler dürften deshalb keinen Tag länger am Netz bleiben. "Statt Ressourcen für den Weiterbetrieb veralteter Atomkraftwerke zu verschwenden, müssen alle Mittel in den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und das Energiesparen investiert werden, um die Energiekrise nachhaltig zu lösen", so Kaiser.

Kritik kam auch aus der Union - allerdings aus der anderen Richtung. "Was für eine Enttäuschung", schrieb der CSU-Vorsitzende Markus Söder bei Twitter. "Das Problem ist nur vertagt." Die "Gefahr eines Blackouts im kommenden Jahr" bleibe bestehen.

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