Indien:"Ein Sohn Indiens erhebt sich über das Empire"

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Gratulation mit dem Pinsel: Der Kunstschullehrer Sagar Kambli malt in Mumbai ein Porträt des neuen britischen Premiers Rishi Sunak. (Foto: Indranil Mukherjee/AFP)

In der früheren Kolonie Großbritanniens zeigt sich die Freude über Rishi Sunak als neuen britischen Premier in einem Mix aus Pathos, Stolz und nationalistischem Anspruch.

Von Arne Perras

Es herrscht Freude in Delhi und andernorts über diese Nachricht aus London: Rishi Sunak, ein Mann mit indischen Wurzeln, wird die ehemalige Kolonial- und Weltmacht Großbritannien regieren. Wo hat es so was schon mal gegeben? Es ist die Ironie der Geschichte, die nun Indiens Seele streichelt.

"Ein Sohn Indiens erhebt sich über das Empire", wirft der Sender NDTV als Schlagzeile auf die Bildschirme. Das bringt pathetisch zum Ausdruck, was viele Inder bewegt. Sie empfinden eine gewisse Genugtuung darüber, dass einer der ihren in das oberste Regierungsamt jener Nation aufsteigt, die als Imperialmacht einen großen Teil der Welt kolonisierte und auch lange über den indischen Subkontinent herrschte. Nun zeigt also mal ein Inder den Briten, wo es langgeht.

Sunak wird als Symbol beansprucht

Rishi Sunak hat zwar indische Wurzeln, seine Familie stammt aus Punjab. Doch der Weg seiner Vorfahren nach Großbritannien führte über einen weiteren Kontinent: Sunaks Eltern wanderten aus dem Osten Afrikas ein, dort war sein Vater im heutigen Kenia, seine Mutter im heutigen Tansania geboren worden. In Ostafrika lebten Inder in einigen britischen Kolonialgebieten als Minderheit, hatten sich zumeist eine Existenz als Händler aufgebaut. Besonders zahlreich strömten indische Migranten in den Sechziger- und Siebzigerjahren nach Großbritannien, angetrieben durch den Diktator Idi Amin, der in Uganda begann, indische Bürger zu enteignen und aus dem Land zu jagen.

Ungeachtet dieser Vorgeschichte wird der neue britische Premier in Indien von gleich zwei politischen Lagern als Symbol beansprucht. Da ist zunächst die breite, religiös-nationalistische Bewegung hinter Premier Narendra Modi, die Sunaks Erfolg als Triumph der Hindu-Gemeinschaft deutet. So erklärte Priti Gandhi, eine führende Politikerin der hindu-nationalistischen BJP, sie habe mit großer Freude wahrgenommen, dass nun ein "stolzer Hindu" ins Londoner Regierungsamt rückt. Einer, der "seine Kultur und seine Wurzeln anerkennt und respektiert".

Freilich hat Sunak diese Deutung selbst stark befördert. Er inszeniert seine Religiosität gern öffentlich, im Rennen um die Führung der Tories im Sommer verschickte er Bilder, die zeigen, wie er Lord Krishna huldigt. Und auch er selbst bezeichnet sich als stolzen Hindu, was manche Kreise in Indien begierig aufnehmen.

Würde auch Indien das Mitglied einer Minderheit ins mächtigste Amt heben?

Aber auch jenseits religiös-nationalistischer Positionen versuchen Politiker, sich der Symbolik Sunaks zu bemächtigen, etwa in liberalen und linken Kreisen, die einen säkularen Staat wollen. Als seine Nachfolge auf Truss absehbar war, schrieb Shashi Tharoor, Politiker der oppositionellen Kongresspartei und Bestsellerautor: "Wenn es so kommt, dann werden wir alle anerkennen müssen, dass die Briten etwas sehr Seltenes in dieser Welt gemacht haben." Dann hätten sie mutig "ein Mitglied einer Minderheit in das mächtigste Amt gehoben". Als Tharoor dann seine Glückwünsche übermittelte, stellte er zugleich seinem eigenen Land die Frage: "Könnte das auch hier geschehen?"

Tharoor ist nicht der einzige, der in der Sache einen liberalen Ton anschlägt. Denn Indien hat einen starken Schwenk nach rechts vollzogen, hin zur wachsenden Dominanz der Hindu-Mehrheit. Ethnische und religiöse Minderheiten fühlen sich deshalb vermehrt als Bürger zweiter Klasse und klagen immer häufiger über Diskriminierung und Verfolgung. Der Pluralismus, für den Indien früher oft gerühmt wurde, hat unter Modi nicht mehr die alte Spannweite.

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Natürlich schickte auch der Premier Glückwünsche nach London. In seiner Gratulation an Sunak würdigte Modi die britischen Inder als eine "lebende Brücke". Er freue sich darauf, mit dem neuen Premier in London die "historische Beziehung in eine moderne Partnerschaft" zu verwandeln - auch das eine Anspielung auf die imperiale Rolle der Briten, die viele Inder befremdet.

Modi erwähnte dann noch die "Roadmap 2030", mit der Delhi und London in vielen Bereichen ihre Kooperation ankurbeln wollen. Der Plan reicht vom Klima über Handel, Gesundheit und Verteidigung bis zur Bildung, wie der Indian Express schrieb.

Die Brexiteers betonten gern, dass sie alte Verbindungen des Commonwealth - dem Club aus Großbritannien und seinen ehemaligen Kolonien - nach der Loslösung von Europa ausbauen wollten. Allerdings hatten Wirtschaftsexperten nie einen Zweifel daran gelassen, dass die Rückbesinnung auf postkoloniale Netzwerke den wirtschaftlichen Schaden durch den Brexit kaum kompensieren können. Das Schlagwort Global Britain ist deshalb vage geblieben. Es wäre eine große Überraschung, wenn Rishi Sunak das maßgeblich ändern könnte.

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