Bürgergeld:Vertrauen ist gut . . .

Bürgergeld: "Hartz-IV-Update": Die Union findet, dass der Verzicht auf die Vertrauenszeit beim Bürgergeld ein Erfolg ist - Schlange bei der Münchner Tafel.

"Hartz-IV-Update": Die Union findet, dass der Verzicht auf die Vertrauenszeit beim Bürgergeld ein Erfolg ist - Schlange bei der Münchner Tafel.

(Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/Imago)

Für die Einigung beim Bürgergeld hat die Union der Koalition den Verzicht auf einen wesentlichen Teil der Reform abgerungen. Besonders die Grünen tun sich nun schwer, das als Erfolg darzustellen.

Von Boris Herrmann und Roland Preuß, Berlin

Wenn zwei sich einigen, die sich eigentlich uneinig sind, dann nennt man das einen Kompromiss. Es liegt in der Natur der Sache, dass dabei beide Seiten Zugeständnisse machen müssen. Eine Besonderheit des politischen Kompromisses ist aber, dass von solchen Zugeständnissen hinterher meist niemand mehr etwas wissen will, damit sich alle als Sieger fühlen können. So gesehen hat das lange und zähe Ringen um das Bürgergeld praktisch nur Gewinner hervorgebracht.

In der Nacht zu Dienstag haben die Vertreter der Ampelkoalition und der Union in informellen Vorgesprächen vier Stunden lang über die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes verhandelt. Und kaum waren sie damit fertig, schienen sie schon all ihre Kräfte in die Interpretation des Ergebnisses zu stecken. Dienstagvormittag auf der Fraktionsebene des Deutschen Bundestags. Die Union hat soeben ein erstes öffentliches Statement ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz für 12 Uhr angekündigt. Kurze Irritation auf der Gegenseite. Wenige Minuten später gehen die Einladungen für ein Pressestatement der Ampel-Vertreter raus. Und zwar für 11.45 Uhr. Das Wettrennen um die Deutungshoheit ist eröffnet.

Friedrich Merz ist seine Genugtuung anzusehen

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, spricht von einem "tragfähigen Kompromiss", der dennoch die Grundfesten des Bürgergeldes nicht antaste. Deutlich schwerer fällt es ihrer Kollegin Britta Haßelmann von den Grünen, der Einigung ein Lächeln abzuringen. Sie verweist auf die "Instrumentalisierung" der Debatte in den vergangenen Wochen, ohne die Union beim Namen zu nennen. Der "Kern des Gesetzes" sei dennoch erhalten geblieben, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende.

Des Gesetzes Kern - darüber hat sich offenbar auch Friedrich Merz viele Gedanken gemacht. Dem CDU-Chef fällt es am Dienstag sichtlich schwer, seine Genugtuung über das Ergebnis der nächtlichen Verhandlungsrunde nicht allzu offensichtlich zur Schau zu stellen. "Die Vertrauenszeit wird komplett gestrichen. Und damit ist im Grunde auch der Kern des Bürgergeldes, so wie die Koalition das geplant hat, komplett gestrichen", sagt Merz.

Haßelmann und Merz sprechen im Abstand von etwa zehn Minuten und fünfzehn Metern. Wer ihre Ausführungen so knapp nebeneinander und kurz hintereinander verfolgt, der muss sich unweigerlich die Frage stellen: Reden beide über dasselbe Gesetz?

Die Ampelkoalition wollte eine sechsmonatige "Vertrauenszeit" einführen, in der nur wiederholt versäumte Termine beim Jobcenter mit einer Geldkürzung von höchstens zehn Prozent geahndet werden. Im alten Hartz-IV-System waren bis zu 30 Prozent möglich. Dies soll nun im Bürgergeld ebenfalls gelten, wenn auch mit einer wichtigen Änderung: Die Sanktionen dürfen nur stufenweise verschärft werden, erst zehn, dann zwanzig, dann dreißig Prozent. Die Vertrauenszeit allerdings wird gestrichen.

Auf Seiten von CDU und CSU scheint vollumfängliche Zufriedenheit zu herrschen. Die klare und entschlossene Haltung der Union habe offenbar dazu geführt, dass die Ampel zu sehr weitgehenden Kompromissen bereit gewesen sei, sagt Merz. Es sei zwar noch nichts entschieden, bevor alles entschieden sei, stellt er mit Blick auf die Sitzung des Vermittlungsausschusses am Mittwochabend klar. Dort müssen die inoffiziellen Vorverhandlungen noch offiziell bestätigt werden. Aber über das Ergebnis freut sich Merz trotzdem schon mal: "Da, wo jetzt Bürgergeld draufsteht, ist eine steuerfinanzierte Sozialleistung unverändert drin", sagt er.

Die zweite große Korrektur, welche die Union für sich reklamiert, ist die der Vermögensgrenzen. Hier wollte die Koalition Hilfebeziehern viel mehr Vermögen belassen als bisher. In den ersten zwei Jahren 60 000 Euro plus 30 000 für jede weitere Person im Haushalt. Nun soll die Karenzzeit mit den großzügigeren Regelungen auf zwölf Monate gekürzt werden. Das Schonvermögen beträgt demnach nur noch 40 000 Euro statt 60 000. Für jede weitere Person im Haushalt würde es auf jeweils 15 000 beschränkt, eine Halbierung gegenüber den geplanten 30 000.

Wenn die Union in diesem Kompromiss aus ihrer Sicht überhaupt irgendwelche Zugeständnisse machen musste, dann weniger beim Inhalt, sondern bei der Verpackung. Beim Namen also. Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach leicht verächtlich von einem "Hartz-IV-Update", das stets missverständlich als Bürgergeld bezeichnet werde.

Für die Sozialdemokraten symbolisch wertvoll: Hartz IV ist bald Geschichte

Während die Union triumphiert, referiert die Grüne Haßelmann, was von der Bürgergeldreform doch Wichtiges übrig geblieben sei. Immerhin, eine gewisse Entschärfung lässt sich noch finden. Es wird mehr wert gelegt auf eine Aus- und Weiterbildung der Menschen. "Wir hören auf damit, dass Menschen in irgendeine Arbeit vermittelt werden", sagt Haßelmann. Und auch das viel beschworene stärkere Vertrauen Hilfebeziehern gegenüber sieht Haßelmann in die Jobcenter einziehen. Das werde der neue Schlichtungsmechanismus bewirken, den auch die Union nicht wegverhandelt hat.

Während sich Haßelmann sichtlich müht, legen die Koalitionspartner neben ihr einen vergleichsweise entspannten Auftritt hin. Er sei "sehr guter Dinge", dass das Bürgergeld die nötigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat finde werde, sagt Johannes Vogel, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Um dann gleich zum Zuverdienst überzugehen. Wer im Bürgergeld arbeitet, darf künftig mehr davon behalten, ein Herzensanliegen der Liberalen, das nun genau so kommt, wie ursprünglich vorgesehen. Und seine SPD-Kollegin Katja Mast rückt das große Ganze in den Vordergrund, das, was für die Sozialdemokraten symbolisch wertvoll ist. "Hartz IV gehört damit der Geschichte an", sagt Mast. Vermutlich ist das für die Sozialdemokraten, die Hartz IV 2005 in der damaligen rot-grünen Koalition eingeführt und sich darüber zerstritten hatten, der Kern des Ganzen.

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