Klimabilanz 2022:Kohlendioxid in Hülle und Fülle

Klimabilanz 2022: Wegen der hohen Strompreise liefen Deutschlands Kohlekraftwerke 2022 auf vollen Touren.

Wegen der hohen Strompreise liefen Deutschlands Kohlekraftwerke 2022 auf vollen Touren.

(Foto: Julian Stratenschulte/DPA)

Um teures Gas zu sparen, haben viele Menschen zuletzt weniger geheizt. Doch Deutschland erreicht seine Klimaziele trotzdem nicht. Wie kann das sein?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Für die deutschen Klimaziele hätte 2022 ein wirklich interessantes Jahr werden können. Die Spritpreise hoch wie nie, der Nahverkehr immerhin drei Monate lang billig wie nie. Die Industrie zieht die letzten Effizienzschrauben an, und in deutschen Wohnzimmern wird erprobt, welche Außentemperaturen sich ohne Heizung so aushalten lassen. Doch die Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes bleiben einmal mehr in weiter Ferne. Nicht mal das Treibhausgas-Minus um 40 Prozent, das schon für 2020 galt, springt raus.

Das jedenfalls legen erste Zahlen nahe, die der Thinktank Agora Energiewende am Mittwoch in Berlin vorgelegt hat. Danach stagnierte der Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen 2022. Er sank nicht, wie eigentlich angestrebt, auf 756, sondern nur ganz geringfügig auf 761 Millionen Tonnen. Dass dies trotz der Mühen in Haushalten und Betrieben so gekommen sei, "ist ein Alarmsignal im Hinblick auf die Klimaziele", sagt Agora-Direktor Simon Müller.

Schuld daran ist vor allem die Renaissance der Kohle.

Deutschlands Kohlekraftwerke liefen 2022 auf vollen Touren. Grund dafür war der hohe Strompreis - und damit indirekt auch der hohe Preis für Gas. Die Kohlekraft rechnete sich, und obendrauf kamen noch Reservekraftwerke, die den Ausfall von Gaskraft kompensieren sollten. Die Folge waren 255 Millionen Tonnen Kohlendioxid, ein Plus von acht Millionen im Vergleich zum Jahr davor.

"Das Rekordjahr ist wetterbedingt"

So frisst das Plus bei der Kohle alle Einsparungen beim Heizen auf. Selbst ein gutes Ökostrom-Jahr konnte das nicht verhindern. Die Bundesnetzagentur kommt in einem Bericht, den sie am Mittwoch vorgelegt hat, auf einen Anteil von 48,3 Prozent am deutschen Stromverbrauch - so viel wie nie. Aber: "Das Rekordjahr ist wetterbedingt", sagt Müller. "Insbesondere die Ausbaukrise bei der Windenergie dauert an."

Für die Koalition in Berlin bricht damit ein ungemütliches Jahr an. Denn die Klimabilanz einzelner Bereiche, etwa von Gebäuden, Verkehr, Energie und Industrie, sind Dreh- und Angelpunkt des deutschen Klimaschutzgesetzes. Verfehlt ein Bereich seine Ziele, muss das jeweils zuständige Ministerium nachlegen. Das Verkehrsministerium hängt damit jetzt schon hinterher - für 2021. Im Jahr 2022 aber sah es nicht besser aus.

Die offizielle Abschätzung legt das Umweltbundesamt zwar erst Mitte März vor, doch nach den Agora-Zahlen lag der Verkehr im vorigen Jahr abermals um elf Millionen Tonnen über dem Soll. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) wird sich also rasch etwas einfallen lassen müssen.

Das sieht auch Klimaschutzminister Robert Habeck so. Zwar habe man in vielen Bereichen den richtigen Kurs eingeschlagen. Aber der Verkehrsbereich sei "unser Sorgenkind", sagt der Grünen-Politiker. Anders als im Gebäudebereich, der auch seinen Zielen hinterherhinkt, sei es "bisher nicht gelungen, eine Perspektive zu entwickeln, die das ändert".

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