Brasilien:So viele Scherben

Brasilien: "Wir werden die Leute finden, die es finanziert haben", verspricht Präsident Lula da Silva.

"Wir werden die Leute finden, die es finanziert haben", verspricht Präsident Lula da Silva.

(Foto: Mauro Pimentel/AFP)

Die Verwüstungen durch Bolsonaro-Anhänger in Brasílias Regierungsviertel sind bald aufgeräumt. Die Aufarbeitung wird das Land aber noch lange beschäftigen.

Von Benedikt Peters

Der Mob ist weg, jetzt kommt die Putzkolonne. Sie fahren mit Hochdruckreinigern über die dreckigen Teppichböden, wischen Schmierereien von den Wänden, kehren Scherben auf. Eine Frau im blauen Overall kann nur den Kopf schütteln. Seit 20 Jahren arbeite sie hier, in der Reinigungstruppe des Regierungspalasts, aber "so ein Sache", die habe sie noch nie gesehen, so sagt sie es in einem Video auf Twitter.

Es ist tatsächlich ein gigantisches Ausmaß der Zerstörung, das der fanatisierte Mob von Bolsonaro-Anhängern am Sonntag im Regierungspalast, im Kongress und im Obersten Gerichtshof hinterlassen hat: Tische sind zerschlagen, Kunstwerke zerbrochen, kaputte Drucker und Computerbildschirme liegen wie verstreute Felsbrocken in der Gegend herum. Aber bald schon sei alles wieder "limpo", aufgeräumt, sagt Janja Lula da Silva dann noch in die Kamera, sie ist die Frau des neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Das Chaos, das der Mob angerichtet hat, werde sich nicht noch einmal wiederholen.

Dass es Sponsoren gegeben haben muss, daran besteht kaum ein Zweifel

Die Aufräumarbeiten in Brasília mögen bald abgeschlossen sein, die Aufarbeitung des Angriffs auf die brasilianische Demokratie ist es noch lange nicht. Es stellen sich immer drängendere Fragen, auf welche die brasilianischen Behörden und allen voran Präsident Lula noch keine Antwort haben. Zum Beispiel die nach den Drahtziehern: "Wir werden die Leute finden, die es finanziert haben", verspricht Lula im Fernsehen. Dass es Sponsoren gegeben haben muss, daran besteht kaum ein Zweifel. Die Randalierer vom Sonntag kampierten nämlich schon seit etwa zwei Monaten auf einem Platz vor der Hauptkaserne des Militärs in Brasília; dort wollten sie die Armee überzeugen, Lula abzusetzen. Über tausend Menschen, wochenlang in einem Camp: Ohne Geldgeber wäre das nicht möglich gewesen, glaubt die brasilianische Exekutive.

Das Zeltlager, das am Montag geräumt wurde, nachdem viele Randalierer zunächst unbehelligt dorthin zurückgekehrt waren, spielt auch eine Rolle bei einer zweiten Frage, auf welche die brasilianische Regierung unbedingt eine Antwort haben will. Neun Kilometer sind es von dem Zeltlager ins Regierungsviertel, und die Bolsonaristas, wie die Anhänger des Expräsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien genannt werden, lagen dort wie erwähnt schon lange auf der Lauer. Außerdem war die Attacke offenbar schon seit Tagen geplant, der Geheimdienst ABIN hatte Berichten zufolge vor "Angriffen auf Regierungsgebäude" gewarnt.

Die Polizei hatte also - anders als die US-amerikanischen Kollegen beim Sturm aufs Kapitol vor zwei Jahren - reichlich Zeit, um sich zu wappnen. Eigentlich. Trotzdem schoben nur wenige Polizisten vor den Institutionen Dienst, und einige wurden dabei gefilmt, wie sie mit Menschen aus dem Mob plauderten, Fotos machten und sie durchließen.

Inwieweit war das Umfeld Bolsonaros in die Angriffe verwickelt?

Für die Sicherheit verantwortlich war die Regionalregierung des Hauptstadtdistrikts, der Gouverneur Ibaneis Rocha und sein Sicherheitschef Anderson Torres wurden nach dem Angriff suspendiert. Beide sind enge Verbündete des Ex-Präsidenten Bolsonaro. Torres hatte im Kabinett des Rechtsaußen als Justizminister gedient.

Spekulationen, inwieweit das Umfeld Bolsonaros in die Angriffe verwickelt sein könnte, werden zusätzlich dadurch angeheizt, dass Torres trotz der prekären Sicherheitslage am Sonntag im Urlaub weilte, ausgerechnet im US-Bundesstaat Florida - also eben dort, wohin sich Bolsonaro kurz vor der Amtseinführung seines Nachfolgers Lula verzogen hatte. Die Präsidentschaftswahl im Herbst hatte Bolsonaro knapp verloren, seine Niederlage nie eindeutig anerkannt und immer wieder von Manipulationen geraunt, obwohl alles dagegen sprach.

Der Verdacht, dass die Polizei den Angriff kommen sah und trotzdem nicht reagierte, wird auch durch eine Audioaufnahme erhärtet, die brasilianische Medien veröffentlichten. Demnach schickte Torres' Stellvertreter Fernando Oliveira noch kurz vor den Ausschreitungen eine Sprachnachricht an den Gouverneur: "Es ist eine sehr friedliche Demonstration. Bis jetzt", sagte Oliveira demnach. Dieses "bis jetzt" zeige, dass die Regionalregierung durchaus eine Eskalation für möglich hielt, argumentieren Kritiker.

Ob sein Umfeld damit zu tun hat oder nicht - geschadet haben dürften die Angriffe Bolsonaro in jedem Fall. Seine Zustimmungswerte brachen einer Umfrage zufolge ein. Am Ende hielt es auch der mächtige brasilianische Fußballverband CBF für geboten, sich zu distanzieren - denn die Bolsonaro-Anhänger tragen meist die gelben Nationaltrikots, und so taten es auch die Randalierer vom Sonntag. Das Trikot sei "ein Symbol für die Freude unseres Volkes", teilt der Verband mit. "Wir regen dazu an, dass es getragen wird, um die Brasilianer zu vereinen und nicht zu trennen."

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