Ukraine-Reise:Pistorius verspricht in Kiew mehr als 100 "Leopard 1"-Panzer

Ukraine-Reise: Verteidigungsminister Boris Pistorius besucht am Morgen in Kiew den Sophienplatz mit zerstörtem russischen Kriegsgerät, das hier ausgestellt wird.

Verteidigungsminister Boris Pistorius besucht am Morgen in Kiew den Sophienplatz mit zerstörtem russischen Kriegsgerät, das hier ausgestellt wird.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Reise war aus Sicherheitsgründen geheim gehalten worden. Der neue Verteidigungsminister hat für die Ukraine Nachrichten über mehr Waffenlieferungen im Gepäck.

Von Georg Ismar, Berlin

Die Reise galt im Vorfeld als geheime Kommandosache; dass Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in der Ukraine ist, machte schließlich sein ukrainischer Amtskollege Oleksij Resnikow auf ungewöhnliche Weise öffentlich. Er twitterte am Dienstag ein Foto von sich und Pistorius, beide halten ein Modell eines Leopard-Kampfpanzers in der Hand. "Der erste Leopard 2 ist in Kiew angekommen" schreibt Resnikow dazu.

Pistorius war es wichtig, gleich zu Beginn seiner Amtszeit in das Kriegsgebiet zu reisen. Der Aufenthalt war aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten worden, der Minister kam am Dienstagmorgen an. Und er hatte eine wichtige Ankündigung im Gepäck: Die Ukraine soll neben rund 60 Leopard-2-Kampfpanzern von einer Gruppe mehrerer europäischer Länder auch mehr als 100 Kampfpanzer des älteren Typs Leopard 1A5 erhalten. Laut Verteidigungsministerium wollen sich auch Dänemark und die Niederlande mit Leopard-1-Panzern aus Industriebeständen beteiligen, auch Belgien habe Interesse gezeigt.

Wie das Verteidigungsministerium mitteilte, hat das Bundesministerium für Wirtschaft als formal zuständige Genehmigungsbehörde Ausfuhrgenehmigungen an deutsche Rüstungsunternehmen für bis zu 178 Leopard 1A5-Kampfpanzer für die Ukraine erteilt. Wie viele Kampfpanzer tatsächlich geliefert werden, hänge von den erforderlichen Instandsetzungsarbeiten ab. Der Rheinmetall-Konzern hat der Ukraine 88 Leopard-1-Kampfpanzer angeboten, auch die Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft könnte solche Panzer für eine Abgabe an die Ukraine ertüchtigen.

Neben Resnikow traf Pistorius auch Präsident Wolodimir Selenskij. Laut Pistorius soll die Lieferung der Leopard 1 in Etappen erfolgen. Bis zum Sommer sollten 20 bis 25 Panzer geliefert werden, bis Ende des Jahres bis zu 80. Ziel sei, im Laufe des ersten oder zweiten Quartals 2024 auf mehr als 100 zu kommen, sagte Pistorius laut einem mitgereisten dpa-Reporter. Mindestens drei Bataillone sollen einschließlich Ersatzteilen und Munition ausgerüstet werden. Zudem habe man mit der Ausbildung von 600 Soldaten begonnen, so der Minister.

Der Leopard 1 ist der erste Kampfpanzer, der für die Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurde. Von 1965 an wurden 4700 Exemplare produziert. Die Bundeswehr hat ihre letzten Leopard 1 bereits vor 20 Jahren ausgemustert. Vergangene Woche hatte die Bundesregierung der Lieferung von Leopard 1 aus Industriebeständen generell die Zustimmung erteilt, zuvor hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bereits der Lieferung der moderneren und schlagkräftigeren Leopard-2-Kampfpanzer zugestimmt, hier will Deutschland 14 Stück aus Beständen der Bundeswehr vom Typ A6 liefern. Allerdings hapert es hier bisher mit festen Zusagen anderer europäischer Staaten.

Eine Lieferung von Kampfflugzeugen steht laut Pistorius nicht zur Debatte

Ziel ist in diesem Fall, zwei ukrainische Bataillone mit je 31 Leopard-2-Panzern zu bestücken, also rund 60 Stück. Pistorius sagte in Kiew, er habe die große Hoffnung, dass die Hilfe beitragen könne, "dass die Ukraine weiter verteidigungsfähig bleibt und dem Angriff standhält". Es dürfe keinen Zweifel daran geben, dass Deutschland sowie die anderen Partner in Europa und darüber hinaus "auch in Zukunft fest an der Seite der Ukraine stehen werden und wir sie weiter unterstützen werden mit allem, was nötig ist". Bis Ende des Monats soll die Ukraine nach Pistorius' Angaben weitere Lenkflugkörper für die Flugabwehr erhalten, zudem fünf Gepard-Flugabwehrpanzer und weitere fünf Dachs-Pionierpanzer. Fünf Brückenlegepanzer vom Typ Biber würden im März geliefert. Eine Lieferung von Kampfflugzeugen steht laut Pistorius nicht zur Debatte.

Seit Wochen konzentrieren sich die Kämpfe auf den Osten des Landes, die ukrainischen Truppen drohen die strategisch wichtige Stadt Bachmut zu verlieren. Nach Angaben der Regierung in Kiew und westlicher Staaten verstärkt Russland die Truppen in der Region. Befürchtet wird zum ersten Jahrestag des Einmarschs am 24. Februar eine verstärkte Offensive. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu warnte wegen der westlichen Waffenlieferungen erneut vor einer "unvorhersehbaren" Eskalation.

Der Besuch von Verteidigungsminister Pistorius fällt in eine Phase, in der die Regierung in Kiew von Turbulenzen erschüttert wird. So hieß es zunächst, sein Amtskollege Resnikow solle nach Korruptionsvorwürfen abgelöst und vom Chef des Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow ersetzt werden, dann hieß es, eine Kabinettsumbildung stehe noch nicht an. Pistorius hat in den ersten Wochen als Nachfolger der zurückgetretenen Christine Lambrecht einen Eindruck von der Komplexität der Lage gewinnen können. Die geplante Leopard-2-Kampfpanzerkoalition kommt nicht richtig in Gang, er telefonierte in der Sache viel herum. Hinzu kommt die Ausbildung der ukrainischen Soldaten in Deutschland. Zudem soll in der Slowakei ein Wartungszentrum für westliche Waffen und Panzer entstehen, das verzögert sich wegen Detailfragen bisher. Zudem mangelt es der Ukraine zunehmend an Munition - die Verluste im Osten des Landes sind auf beiden Seiten enorm.

Der Militärökonom Marcus Matthias Keupp, tätig an der Militärakademie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wir sehen derzeit einen reinen Landkrieg, zugespitzt gesagt: Erster Weltkrieg reloaded." Daraus ergebe sich ein großer Bedarf an Artilleriemunition. Was auffalle: Russland setze derzeit deutlich weniger Feuerkraft ein. "Wie waren zu Beginn des Krieges bei etwa 50 000 Artilleriegranaten pro Tag, das ging dann Mitte des Jahres auf 30 000 herunter, jetzt sind wir nur noch bei rund 6000, das ist auch in etwa die Feuerfrequenz der Ukraine." Das zeige: Russland führe diesen Krieg aus seinen Reserven. "Jetzt ist die Frage, wer kann neue Munition schneller und zuverlässiger produzieren? Das ist keine militärische Frage, es ist primär eine industrielle Frage."

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