Krieg in der Ukraine:Putin setzt Atomwaffenvertrag aus

Rede von Wladimir Putin in Moskau

Fast zwei Stunden dauert Wladimir Putins Rede an die Nation, in der er seine Politik lobt und die Wirkung von Sanktionen klein redet.

(Foto: Reuters)

In einer Rede zur Lage der Nation behauptet Russlands Präsident erneut, der Westen sei für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. Ein Abrüstungsabkommen mit den USA will er nicht mehr einhalten. US-Präsident Joe Biden beschwört bei einem Auftritt in Warschau die Einheit des Westens.

Von Matthias Kolb

Kurz vor dem Jahrestag des von ihm befohlenen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin am Dienstag in einer Rede zur Lage der Nation angekündigt, den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA auszusetzen. Putin warf Frankreich und Großbritannien vor, ihre Atomwaffenarsenale weiterzuentwickeln und gegen Russland auszurichten. Washington hatte Moskau Ende Januar vorgeworfen, sich nicht mehr an die Inspektionsregeln des Abkommens zu halten. Dass die Nato in einer Erklärung Russland zur Einhaltung seiner Pflichten aufgerufen hatte, bezeichnete Putin als Einmischung und weiteren Grund, den "New Start"-Vertrag zu überdenken. Er war zu Beginn der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden bis 2026 verlängert worden.

Das "New Start"-Abkommen begrenzt die Zahl der strategischen Atomsprengköpfe auf 1550 pro Seite. Diese können auf bis zu 700 einsatzbereiten Trägersystemen montiert sein; darunter fallen landgestützte Interkontinentalraketen, auf U-Booten stationierte ballistische Raketen und schwere Bomber. Zudem erlaubt der Vertrag den USA und Russland gegenseitige Inspektionsbesuche und hält Informationspflichten fest. Wenige Stunden nach Putins Ankündigung teilte das Außenministerium in Moskau mit, zumindest die Obergrenzen für Waffensysteme weiter einhalten zu wollen - "um ein ausreichendes Maß an Vorhersehbarkeit und Stabilität im Atomraketen-Bereich zu wahren", wie es in der Mitteilung hieß.

In seiner Rede vor beiden Kammern des russischen Parlaments behauptete Putin erneut, der Westen sei für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. Russland versuche nur, die Kämpfe zu beenden. Die "militärische Spezialoperation", wie der Krieg in Russland genannt werden muss, werde fortgesetzt. Er habe diese "Spezialoperation" befohlen, weil das vom Westen gesteuerte "Neonazi-Regime" in Kiew einen Angriff auf die Krim geplant habe. Die Halbinsel am Schwarzen Meer hatte Russland 2014 völkerrechtswidrig annektiert.

Putin behauptet, die EU und die USA wollten das russische Volk "zum Leiden bringen"

Des Weiteren kündigte Putin eine Modernisierung der Armee an. Den Kriegsteilnehmern und ihren Familien sagte der 70-jährige Präsident finanzielle Hilfe zu. Ebenso versprach er den Bewohnern der vier annektierten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine Wiederaufbau und Arbeitsplätze. Die Wirkung der gegen Russland verhängten Sanktionen redete Putin klein. Die eigene Wirtschaft hätte sich als "viel stärker erwiesen als vom Westen erwartet". Er warf der EU und den USA vor, sie wollten "das Volk zum Leiden bringen, um so unsere Gesellschaft zu destabilisieren".

Putin hielt seine knapp zweistündige Ansprache einen Tag nach dem überraschenden Besuch von US-Präsident Joe Biden in der ukrainischen Hauptstadt Kiew - und einige Stunden vor dessen Rede am Dienstagabend in Warschau. Dort kündigte Biden für diese Woche neue Sanktionen gegen Russland an. Und er widersprach Putin: "Die Millionen Russen, die in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, sind nicht der Feind." Die Strafmaßnahmen sollen dem Kreml die Finanzierung des Krieges erschweren.

Der US-Präsident beschwor bei seinem Auftritt vor dem Warschauer Königsschloss die Einheit des Westens. Die Nato habe sich in dieser Krise als "die stärkste Allianz der Weltgeschichte" erwiesen. Biden betonte, dass die USA "felsenfest" zu ihrer Beistandspflicht nach Artikel 5 stünden. "Jedes Mitglied der Nato weiß es, und Russland weiß es auch: Ein Angriff gegen einen ist ein Angriff gegen alle", sagte er und sprach von einem "heiligen Eid". Die Demokratien dieser Welt seien heute stärker als vor einem Jahr, nicht schwächer, wie Putin sich das ausgemalt habe. Die Autokratien wiederum seien geschwächt. Biden spricht seit Längerem davon, dass in den kommenden Jahren entschieden werde, wie die Welt in den nächsten Jahrzehnten aussehen werde - und ob sich die Demokratien durchsetzen oder Länder mit autokratischen Herrschern.

Biden sagt nichts zum Atomwaffen-Vertrag - aber sein Außenminister

Biden fügte in Warschau noch an: "Die Ukraine wird niemals zu einem Sieg für Russland werden. Niemals." Bei einem Treffen mit Polens Präsident Andrzej Duda hatte Biden zuvor Polen für die "unglaubliche Unterstützung" der Ukraine und die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nachbarland gedankt. An der weiteren Hilfe der USA für Kiew ließ Biden vor Journalisten keine Zweifel: Wie er Präsident Wolodimir Selenskij persönlich erklärt habe, werde "unsere Unterstützung für die Ukraine unerschütterlich" bleiben. Beide ignorierten Fragen zum Inhalt von Putins Rede. Auch in seiner Rede am Abend ging Biden nicht weiter auf Aussagen des russischen Präsidenten oder dessen Ankündigung zum "New Start"-Abkommen ein.

US-Außenminister Antony Blinken nannte die angekündigte Aussetzung der Vereinbarung bei einem Besuch in Griechenland "zutiefst unglücklich und unverantwortlich". Die USA würden "genau beobachten", was Russland tue, und entsprechend reagieren, um "die Sicherheit unseres eigenen Landes und die unserer Verbündeten" zu garantieren.

In Brüssel warf Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Russland vor, "die gesamte Rüstungskontrollarchitektur zu demontieren". Er forderte Russland auf, die Entscheidung zu überdenken: "Mehr Atomwaffen und weniger Rüstungskontrolle machen die Welt gefährlicher." Leider gebe es keine Anzeichen dafür, dass sich Putin auf Frieden vorbereite, sagte Stoltenberg: "Im Gegenteil, heute hat er klargemacht, dass er sich auf mehr Kriege vorbereitet." Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bezeichnete Putins Rede während ihres Besuches in der Ukraine als "Propaganda".

In Peking erklärte Außenminister Qin Gang, China sei besorgt über die Eskalation des "Ukraine-Konflikts" und fürchte, dass die Situation außer Kontrolle geraten könnte. Die USA hatten am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor Konsequenzen gewarnt, falls China Russland militärisch unterstützen sollte. An diesem Freitag will China eine Friedensinitiative vorstellen.

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