Bundesverfassungsgericht:Letzte Mahnung

AfD-Vorsitzende Alice Weidel und Erika Steinbach

"Das ist eine schallende Ohrfeige für den Bundestag und die Bundesregierung": AfD-Vorsitzende Alice Weidel (links) und Stiftungschefin Erika Steinbach.

(Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa)

Formal ist das Karlsruher Urteil erst einmal ein Sieg für die AfD. Politische Stiftungen der Parteien dürfen nur noch Zuschüsse bekommen, wenn ein Gesetz die Sache regelt. Doch heißt das, dass die Rechten künftig auch Geld vom Staat erhalten müssen? Das steht auf einem anderen Blatt.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Karlsruher Anhörung hatte sich bis tief in die Abendstunden hingezogen. Wer lange genug aushielt, lernte viel über das paradoxe Verhältnis der politischen Stiftungen zu "ihren" Parteien, das einiges von einer modernen Paarbeziehung hat: Im Geist fühlt man sich verbunden, trotzdem bestehen beide Seiten auf Eigenständigkeit. Doch eine Frage vernachlässigte das Bundesverfassungsgericht an jenem 25. Oktober auf geradezu aufreizende Weise: Nach welchen Kriterien - wenn überhaupt - darf eine politische Stiftung von der staatlichen Finanzierung abgeschnitten werden, wenn Zweifel an ihrer Verfassungstreue bestehen? Das war der Elefant im Sitzungssaal, denn schließlich war es die AfD, die mit ihrer Klage in Karlsruhe auf Gleichbehandlung ihrer geistesverwandten Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) pochte. Warum war der Zweite Senat so ostentativ desinteressiert?

Nun, inzwischen weiß man es. Das Gericht hat mit seinem Urteil den gordischen Knoten Stiftungsfinanzierung kurzerhand in zwei Teile gehauen. Das heikle Thema der Verfassungstreue ist vertagt. Oder präziser, dieser Verfahrensteil wurde abgespalten. Denn erst im Haushalt 2022 fand sich zum ersten Mal die Formulierung, Globalzuschüsse an politische Stiftungen "dürfen nicht gewährt werden, wenn begründete Zweifel an der Verfassungstreue bestehen". Das war ein klares "No" in Richtung DES, das die AfD freilich erst in letzter Minute ins Karlsruher Verfahren einbrachte, zu kurzfristig für Bundestag und Regierung, um darauf zu reagieren. Also wird Karlsruhe später darüber entscheiden - irgendwann und sicherlich erst, nachdem der Bundestag ein Gesetz verabschiedet hat.

Der Ball liegt jetzt im Feld des Gesetzgebers, sagt das Gericht

Denn dies war die eigentliche Botschaft an diesem Aschermittwoch: Verfassungstreue der DES hin oder her, erst einmal muss der Bundestag überhaupt ein Stiftungsgesetz erlassen. "Unabhängig davon liegt der Ball jetzt im Feld des Gesetzgebers", fasste Vizepräsidentin Doris König zusammen. Es genügt nicht, den Geldsegen, wie bisher, diskret über einen Haushaltstitel auszuschütten. Die Parteien müssen sich der - ihnen offenkundig unangenehmen - Verteilung der Gelder in parlamentarischer Debatte stellen, das ist eine Frage der Transparenz: Nur so könne gewährleistet werden, dass die Öffentlichkeit Gelegenheit habe, "ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten", schreibt das Gericht.

Das Urteil ist eine Zäsur in der Förderung parteinaher Stiftungen, die bis in die 60er-Jahre zurückgeht. Damals war die Landschaft noch übersichtlich. Schon seit 1925 setzte die SPD auf die Friedrich-Ebert-Stiftung, 1958 rief die FDP die Friedrich-Naumann-Stiftung ins Leben. 1964 und 1967 folgten die Konrad-Adenauer- und die Hanns-Seidel-Stiftung, die Counterparts von CDU und CSU. Sie sollten zur Sammelstelle für Zuschüsse zur politischen Bildung werden, weil die Parteien selbst solche Gelder nicht annehmen durften.

Mit dem Karlsruher Grundsatzurteil von 1986 wurde der Geldfluss in geordnete Bahnen gelenkt. Danach war die Förderung verfassungsrechtlich erlaubt, vorausgesetzt, die Stiftungen wahrten eine gewisse Distanz zu den Parteien. Bei dieser Linie ist das Gericht auch im neuen Urteil geblieben, wenngleich es das "besondere Näheverhältnis" deutlicher hervorhob als früher. Gemeinsame Grundwerte verbinden eben, und personelle Verflechtungen ebenfalls.

1998 gaben die fünf Stiftungen - hinzugekommen war die Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht - dann eine "Gemeinsame Erklärung" zur Verteilung der Gelder ab, wenige Jahre später stieß von links die Rosa-Luxemburg-Stiftung hinzu. Soll heißen: Die Stiftungen teilten den Kuchen selbst unter sich auf, und die Parteien schauten wohlwollend zu. Kaum überraschend, dass die Kurve des Geldes steil nach oben wies. Zwischen 1999 und 2019 sind die Zuwendungen um 110 Prozent gestiegen, hatte der Steuerzahlerbund errechnet.

Das Karlsruher Urteil gibt nun eine neue Richtung vor, hin zu mehr Transparenz. Formal gilt es lediglich für die sogenannten Globalzuschüsse an die politischen Stiftungen, 2019 waren das immerhin 130 von insgesamt 660 Millionen Euro im Jahr. Nur darauf bezog sich der AfD-Antrag. Aber die Logik, dass die Stiftungsfinanzierung eine wesentliche und daher gesetzlich zu regelnde Materie ist, lässt sich jedenfalls auf diejenigen Töpfe der verstreuten Stiftungsförderung ausweiten, die für den Parteienwettbewerb relevant sind. Auf die Begabtenförderung zum Beispiel, die etwa im Jahr 2016 mit weiteren 80 Millionen zu Buche schlug.

Das Urteil ist erst einmal ein Sieg für die AfD. Formal ist er zwar lediglich auf das Jahr 2019 bezogen, alle anderen AfD-Anträge waren unzulässig - aber natürlich gilt der Gesetzesvorbehalt für alle Zukunft. "Das ist eine schallende Ohrfeige für den Bundestag und die Bundesregierung", sagte die DES-Vorsitzende Erika Steinbach nach der Urteilsverkündung. Und auch wenn die "schallende Ohrfeige" als Floskel schon sehr abgenutzt ist: Damit hat Steinbach völlig recht. Denn Fachleute fordern seit Jahrzehnten nachdrücklich eine gesetzliche Grundlage, selbst in der Politik sind zuletzt entsprechende Stimmen laut geworden - vergebens.

Allerdings dürfte sich der Erfolg der AfD vorerst nicht in Geld für sie auszahlen. Das Gericht beschränkte sich auf die Feststellung, dass die Parteienfreiheit der AfD verletzt worden sei, und verzichtete ausdrücklich auf eine "Vollstreckungsanordnung". Es obliege Bundestag und Bundesregierung, "einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden". Also kein Nachzahlungsbescheid aus Karlsruhe - und die Berliner Verfassungsorgane dürften das genauso halten: 2019 befand sich die AfD noch in ihrer ersten Legislaturperiode im Bundestag. Stiftungsgelder gibt es nach den bisherigen Regeln aber erst nach einem Wiedereinzug.

Die AfD-nahe Stiftung tritt offenbar mit dem Anspruch einer neurechten Kaderschmiede an

Diese Praxis hat der Zweite Senat - als Berichterstatter war Peter Müller zuständig - nun sogar ausdrücklich bestätigt. Es sei verfassungsrechtlich "unbedenklich", die staatliche Förderung auf jene parteinahen Stiftungen zu beschränken, die eine "dauerhafte, ins Gewicht fallende politische Grundströmung" repräsentierten. Maßgeblich seien hier die Wahlergebnisse; kurzlebige Parteien müssen nicht berücksichtigt werden. Was freilich mit Blick auf AfD und DES nicht weiterhilft. Diese "Grundströmung" scheint sich etabliert zu haben.

Das ist dann auch schon fast die einzige Amtshilfe, die Karlsruhe dem Gesetzgeber leistet. Zum Umgang mit der DES sagt das Gericht nur so viel: Eingriffe in die Chancengleichheit der politischen Parteien können zum Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter gerechtfertigt sein. "Dabei kommt als gleichwertiges Verfassungsgut insbesondere der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Betracht."

Das lässt zwar wahrscheinlich Raum für eine Regel, um die DES von den Finanztöpfen fernzuhalten; immerhin ist sie wesensverwandt mit einer vom Verfassungsschutz beobachteten Partei und tritt offenbar mit dem Anspruch an, sich als eine neurechte Kaderschmiede zu etablieren. Aber einfach wird das nicht, die DES agiert bereits deutlich vorsichtiger als noch vor wenigen Jahren. "Wir arbeiten für die Demokratie", beteuerte Steinbach im Gerichtssaal. Zudem ist für den Bundestag Eile geboten - viel Zeit zum Nachdenken bleibt da nicht. Ohne Gesetz fließen fortan keine Globalzuschüsse mehr an die Parteien. Das neue Regelwerk wird wohl noch dieses Jahr fertig werden müssen.

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