Klimaschutz in München:Wenn der Acker plötzlich Millionen wert ist

Klimaschutz in München: Die Frischluftschneise im Hachinger Tal - hier nördlich von Infineon - ist besonders für die Stadt München von Bedeutung.

Die Frischluftschneise im Hachinger Tal - hier nördlich von Infineon - ist besonders für die Stadt München von Bedeutung.

(Foto: Claus Schunk)

Das Hachinger Tal bringt kalte Luft aus den Alpen nach München. Doch die Umlandgemeinden haben andere Begehrlichkeiten als die Stadt. Sie wollen die Ackerflächen zu Gewerbegebiet umwandeln.

Von Daniela Bode, Lea Kramer und Sebastian Krass

München wird die Hitze nicht los. Zu Jahresbeginn war es in der Stadt wärmer als in Mailand. 2022 hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) so warme Herbstmonate für Bayern erhoben, wie sie in den fast 150 Jahren der Wetteraufzeichnung nur selten gemessen worden sind. Die Temperaturen steigen, die Hitzetage werden mehr. Die Wärme ist vor allem nachts für die Bewohner von dicht besiedelten Gebieten eine Belastung. Weshalb die Hitze im Münchner Stadtgebiet schon heute deutlicher zu spüren ist als in den kleineren Nachbargemeinden.

Frische Luft bekommen Münchens südöstliche Stadtviertel derzeit noch über das unbebaute Hachinger Tal. Doch die Ackerflächen sollen zum Gewerbegebiet umgewandelt werden. Während die einen das Stadtklima bedroht sehen, ist für die anderen eine wichtige Einnahmequelle in Gefahr.

Aus dem Jahr 2014 stammen erste konkretere Überlegungen der Gemeinde Neubiberg, den nahezu an die bayerische Landeshauptstadt angebauten Ortsteil Unterbiberg durch neue Gewerbeflächen aufzuwerten. Da auch die Stadt München in unmittelbarer Nähe bauen wollte, entschlossen sich die Kommunen zur Zusammenarbeit und ließen ein "Interkommunales Strukturkonzept Hachinger Tal" ausarbeiten. Zusätzlich gab die Landeshauptstadt ein mikroklimaökologisches Gutachten in Auftrag, das die Auswirkungen einer Bebauung auf das Stadtklima untersuchen sollte. Vorläufige Ergebnisse aus dem Gutachten liegen seit März vergangenen Jahres vor. Entschieden worden ist bislang allerdings nichts. Jetzt soll sich der Stadtrat mit der Sache befassen.

Durch das Hachinger Tal werden die Winde nicht nur geleitet, sie entstehen auch dort

Während ein Teil der Planungen keine großen Auswirkungen zu haben scheint, wird es in der Debatte nun vor allem um die Entwicklungen auf dem Kapellenfeld gehen. Der Erhalt der bislang für Landwirtschaft genutzten Flächen sei dringend angeraten, auch wenn eine lockere Bebauung möglich erscheine, heißt es im Gutachten. "Es zeigt, wie wichtig es ist, diese Kaltluftschneise mit dem Alpinen Pumpen zu erhalten, diese kostenlose natürliche Klimaanlage für die Stadt", sagt Mona Fuchs, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Münchner Stadtrat.

Der Münchner Südosten wird durch das Hachinger Tal über die Kleingärten an der Hochäckerstraße und die Autobahn 8 mit kalter Luft aus den Alpen versorgt. "Das Alpine Pumpen ist ein thermisches Windsystem, das sich vor allem an windschwachen Tagen im Sommer auswirkt", sagt eine Sprecherin des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Durch das Hachinger Tal werden die Winde aber nicht nur geleitet, sie entstehen vielmehr auch dort. Eine "hohe Klimawirksamkeit" wird dem Grünzug daher aus dem Münchner Referat für Stadtplanung und Bauordnung zugesprochen, das dem Stadtrat in seiner Vollversammlung Anfang März einen Beschluss dazu vorlegen wird.

In München besteht Einigkeit darüber, dass man mit den Nachbargemeinden zusammenarbeiten müsse. "Das Prinzip Sankt Florian, das geht nicht mehr", sagt Hans Peter Mehling (Freie Wähler). Weitere Argumente für oder gegen die Bebauung des Kapellenfelds soll den Mitgliedern des Planungsausschusses zufolge eine zusätzliche - "vertiefende" - Studie bringen, die das städtische Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) erarbeiten wird.

Warum in der Sache mehr evaluiert statt entschieden wird, hat auch mit den Begehrlichkeiten zu tun, die rund um die Felder geweckt worden sind. Wie Auszüge aus dem Grundbuch zeigen, ist das Kapellenfeld mit weiteren kleineren Grundstücken Ende 2018 von den Eigentümern - Firmengeflechte, hinter denen die die Erben des verstorbenen Degussa-Milliardärs August von Finck sowie dessen entfernter Verwandter, der Privatier Wilhelm Winterstein, stehen - in zwei neue Gesellschaften überführt worden. Der Kaufpreis betrug etwas mehr als 160 Millionen Euro. Eine hohe Summe für ein paar Dutzend Hektar, die baurechtlich derzeit noch als "Ackerflächen" gelten. Heute gehören die Felder je zur Hälfte der A.M.T. Kapellenfeld GmbH & Co. KG und der EKW Kapellenfeld GmbH & Co. KG, die sie gemeinsam mit der Gemeinde Neubiberg entwickeln wollen.

Im Hachinger Tal wird die Debatte rund um das Gutachten daher mit großem Interesse verfolgt. Wenn alles klappt, könnte auf dem Kapellenfeld dem Neubiberger Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU) zufolge ein Technologie-Campus mit einer Geschossfläche von 150 000 bis 200 000 Quadratmetern entstehen. Ein öffentlich zugänglicher Landschaftspark im Norden des Grundstücks soll das Gewerbegebiet ergänzen. Pardeller sagt, die Gemeinde wolle dort neue Unternehmen ansiedeln, um wirtschaftlich unabhängiger zu werden. In der Gemeinde werden etwa 95 Prozent der Gewerbesteuer von nur fünf Unternehmen erwirtschaftet.

Klimaschutz in München: Für den Campeon von Infineon gibt es weiteres Baurecht.

Für den Campeon von Infineon gibt es weiteres Baurecht.

(Foto: Feiner/Eibner/imago images)

Eines davon ist der Halbleiterhersteller Infineon, dessen Firmenstandort "Campeon" direkt an das Kapellenfeld angrenzt. Der Dax-Konzern habe aber aktuell keine Ausbaupläne am Standort Neubiberg, heißt es auf SZ-Anfrage. Auf einem Parkplatz auf dem Campusgelände gibt es ohnehin bestehendes Baurecht. Das ist im vorliegenden Klimagutachten aber nicht berücksichtigt worden, weshalb aus München der Ruf nach einer weiteren Studie kommt. "Auf dem Parkplatz kann Infineon ein Gebäude mit einer Höhe bis zu 31 Metern errichten", sagt eine Sprecherin der Grünen im Münchner Stadtrat. Bereits der Bau des Campeon selbst sei nicht unumstritten gewesen. "20 Jahre später hat sich die Wahrnehmung der Bedeutung von Grünzügen und Frischluftschneisen endlich geändert."

Neubiberg setzt auf lockere Bebauung, Unterhaching wartet auf Gespräche

Die Gemeinde Neubiberg hat derweil die "Geo-Net Umwelconsulting GmbH" beauftragt, die auch das Gutachten der Stadt München erstellt hat, um sich die eigenen Planungen absichern zu lassen. "Bis jetzt liegt noch kein Entwurf vor, der allen Anforderungen genügt, es wird daran gearbeitet", sagt Bürgermeister Pardeller. Am Ende solle eine Planung mit lockerer Bebauung und größeren Abständen nach Norden stehen, die allen Voraussetzungen für den Kaltluftstrom und die Frischluftzufuhr gerecht werde. Ihre Flächen an der Unterhachinger Straße wolle die Gemeinde erst einmal nicht weiter entwickeln.

Da auch Unterhaching von den Entwicklungen betroffen ist, wird dort ebenfalls über das Gutachten diskutiert. "Gerade das Kapellenfeld ist sowohl Kaltluftentstehungs- als auch -transportgebiet", sagt die Grünen-Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete Claudia Köhler. Eine Bebauung in Neubiberg, die die Vorgaben des Gutachtens berücksichtigt, fände Köhler trotzdem nicht akzeptabel. Aus ihrer Sicht blicke das Gutachten nur auf den Status Quo und nicht darauf, dass es immer heißer werde.

Hoffnungen macht ihr eine Entscheidung des Regionalen Planungsverbands (RPV) vor ein paar Wochen, als dieser einen Eingriff der Gemeinde Taufkirchen in den Grünzug, konkret die Ansiedlung von Gewerbe auf einem 55 Hektar großen Areal östlich der Autobahn A 8, ablehnte. "Wenn das für Taufkirchen gilt, müsste das ja auch für Neubiberg gelten", sagt sie.

Im Unterhachinger Rathaus hofft man auf die Dialogbereitschaft der Nachbarn. Bürokratisch ausgedrückt: das " interkommunale Abstimmungsgebot". "Wir erwarten, dass die Planungen nicht nur mit der Landeshauptstadt München, die eine gänzlich andere Interessenlage hat, abgesprochen werden", sagt Rathaussprecher Simon Hötzl. Unterhaching sei noch nicht offiziell mit der Thematik befasst worden. Für das eigene Bauvorhaben, also das geplante Gewerbegebiet im Unterhachinger Norden östlich der Straße am Sportpark, sieht Hötzl kein Hindernis durch das Gutachten. Danach sei "eine Bebauung im Norden Unterhachings für die Entstehung des Kaltluftvolumenstroms zwar relevant, aber kompensierbar".

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