Marathon-Sitzung:Ampelkoalition einigt sich bei zentralen Streitfragen

Marathon-Sitzung: Die Parteichefs der Koalitionsparteien Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sprechen im Bundestag nach dem Koalitionsausschuss.

Die Parteichefs der Koalitionsparteien Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sprechen im Bundestag nach dem Koalitionsausschuss.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Schnellerer Autobahnbau, mehr Geld für die Schienen und kein striktes Gasheizungsverbot mehr: Nach fast 30-stündigen Beratungen verkünden die Spitzen von SPD, Grünen und FDP Kompromisse beim Klimaschutz und in der Verkehrspolitik.

Von Markus Balser, Georg Ismar, Paul-Anton Krüger und Kassian Stroh, Berlin

Nach bald 30-stündigen Verhandlungen hat sich die Ampelkoalition auf Kompromisse bei zentralen Konfliktthemen, etwa beim Klimaschutz, geeinigt. Das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geplante generelle Verbot des Einbaus neuer Gasheizungen wird aufgeweicht, wie SPD, Grüne und FDP am Dienstagabend mitteilten. Künftig wolle man hier einen "technologieoffenen Ansatz" verfolgen, es solle "ausreichende Übergangszeiträume" geben, heißt es im Beschlusspapier. Für neue Heizungen soll es staatliche Förderungen geben. "Niemand wird im Stich gelassen", steht im Beschluss.

Zugleich will die Koalition vom kommenden Jahr an die Lkw-Maut auf Autobahnen erhöhen und 80 Prozent der Mehreinnahmen in den Ausbau des Schienennetzes stecken. Gut 140 Ausbauprojekte von Autobahnen sollen künftig als im überragenden öffentlichen Interesse gelten, auch ihre Planung soll im Einvernehmen mit den Ländern beschleunigt werden. Dabei sollen neu gebaute Fernstraßen stets mit Solaranlagen flankiert werden.

In der umstrittenen Frage, ob es im Klimaschutzgesetz klare CO₂-Einsparvorgaben für einzelne Sektoren gibt, setzte sich die FDP durch. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sagte, die Vorgaben sollten künftig über mehrere Jahre hinweg gelten, die einzelnen Sektoren könnten sich auch gegenseitig "helfen". Wenn also im Verkehr weiter viel Kohlendioxid ausgestoßen wird, könnte das durch weniger Emissionen etwa in der Industrie ausgeglichen werden.

"Kein einfacher Aushandlungsprozess"

Die Vorsitzenden aller drei Parteien sprachen von sehr schwierigen Verhandlungen. In den vergangenen Jahren sei viel liegengeblieben, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang, man habe sich daran gemacht, das Land zu modernisieren. Das sei bei drei Parteien "kein einfacher Aushandlungsprozess". Lars Klingbeil (SPD) sagte, dass man mit dem Ergebnis "hochzufrieden" sei. Über das Klima in der Koalition sagte Lindner: "Man schweigt sich auseinander und man diskutiert sich zusammen."

Einige Stunden zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits das Ergebnis gelobt: Man werde "ein Gesamtwerk schaffen, das - das will ich ausdrücklich dazusagen - die viele Mühe gelohnt haben wird", sagte er bei einer Pressekonferenz am Nachmittag. Es gehe um die Modernisierung unseres Landes "angesichts unglaublicher Herausforderungen", das müsse man mühsam und "stellvertretend für die ganze Gesellschaft" ausdiskutieren.

Noch kurz vor dem Ende des Koalitionsausschusses sagte Oppositionsführer Friedrich Merz: "Wir haben ganz offensichtlich in Deutschland eine Regierungskrise." Die Bundesregierung habe sich in den vergangenen Wochen "permanent öffentlich gestritten", kritisierte Merz. Scholz habe "streckenweise wie ein Unbeteiligter am Spielfeldrand gestanden und so getan, als ob er mit der ganzen Sache nichts zu tun hat". Der CDU-Chef prophezeite, dass diese Streitereien weitergehen würden, eine "ausreichend sichere Grundlage für den Fortbestand dieser Koalition" sehe er nicht.

Zuletzt schien sich der Klimaschutz zunehmend zu einer möglichen Bruchstelle der Koalition zu entwickeln - vor allem die Frage, wie streng staatliche Vorgaben hierfür sein sollen. Seit Monaten steckte das geplante Klimaschutzgesetz fest. Die Grünen wehrten sich gegen das Ansinnen, die CO₂-Einsparziele einzelner Sektoren aufzuweichen. Auch rang die Koalition um die Frage, ob überhaupt noch Autobahnen neu gebaut werden und wie viel Geld in das Schienennetz investiert wird.

Beim umstrittenen Einbauverbot neuer Öl- und Gasheizungen warnte die SPD vor einer Überforderung der Bürger. Parteichef Klingbeil versicherte, man habe die Unsicherheit in der Bevölkerung wahrgenommen und werde sicherstellen, dass die soziale Gerechtigkeit gewahrt bleibe. Die FDP wiederum pochte in der Klimapolitik darauf, weniger mit Verboten zu arbeiten, und betonte die Technologieoffenheit. Zudem fürchten FDP und SPD den Verlust von Arbeitsplätzen, gerade in der Industrie, wenn Strom zu teuer würde und der klimagerechte Umbau zu einem Standortnachteil.

Das frustrierte die Grünen zunehmend, ihr Ärger richtete sich auch gegen Scholz. "Die Ampel könnte auch besser regieren, als sie es tut", sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er kritisierte die "Führungsschwäche des Kanzlers".

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte am Dienstag zum Auftakt einer internationalen Konferenz zur Energiewende, am Vortag sei es beim Klimaschutz zu einer "leidenschaftlichen Debatte" gekommen. Sie sprach von kontroversen Diskussionen. Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten ihre Verhandlungen am Montagnachmittag unterbrochen, nachdem sie zuvor mehr als 19 Stunden zusammengesessen hatten. Am Dienstagmorgen trafen sie sich erneut im Kanzleramt, am späten Abend waren die Verhandlungen beendet.

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