Russland und Ukraine:Moskau erhöht Druck auf Wehrpflichtige

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In Kapustin Jar hat Russland am Mittwoch den Start einer Interkontinentalrakete getestet. (Foto: Russian Defence Ministry Press Office/Imago/Itar-Tass)

Angesichts der stockenden Frühjahrsoffensive ändert Russland das Gesetz zur Einberufung von Rekruten. Für sie wird es noch schwerer, sich dem Militärdienst zu entziehen.

Von Nicolas Freund, München

Die gefürchtete russische Frühjahrsoffensive in der Ukraine hat kaum militärische Erfolge gebracht, jetzt scheint die Führung in Moskau weitere Schritte zur Fortsetzung des Krieges einzuleiten. So verabschiedete die Staatsduma am Dienstag in einer "Blitzabstimmung" eine Änderung des Gesetzes, das die Einberufung zum Militärdienst regelt. Das Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten, die weiteren Schritte gelten aber als Formsache. Einige Abgeordnete beklagten sich, sie hätten den Entwurf nicht vorab lesen können.

Die Änderungen sehen vor, dass Einberufungen fortan online verschickt werden und bei Eingang im digitalen Postfach als zugestellt gelten. Bisher musste die Zustellung persönlich geschehen und mit einer Unterschrift bestätigt werden. Viele Russen versuchten, der Teilmobilmachung im vergangenen Jahr zu entgehen, indem sie sich einfach nicht mehr an ihrer Meldeadresse aufhielten oder gleich ganz das Land verließen. Für Wehrpflichtige und Einberufene wird es so nun noch schwieriger, dem Militärdienst zu entgehen: Wer sich nicht innerhalb der gesetzten Frist von 20 Tagen meldet, darf nicht mehr Auto fahren, keine Immobilien kaufen oder Kredite aufnehmen und nicht freiberuflich arbeiten. Auch die Ausreise ist verboten. Ob mit der Gesetzesänderung eine weitere Welle von Rekrutierungen vorbereitet und erleichtert werden soll, ist unklar. Kremlsprecher Dmitri Peskow dementierte und sprach von einer "allgemeinen Digitalisierung des Lebens".

Russland kündigt erneut an, das Getreideabkommen nicht verlängern zu wollen

Das russische Verteidigungsministerium meldete am Mittwoch außerdem den erfolgreichen Test einer Interkontinentalrakete. Waffen dieser Art können strategische Atomwaffen, also solche mit sehr großer Zerstörungskraft, über Tausende Kilometer transportieren. Moskau hat seit Beginn des Krieges in der Ukraine immer wieder auch einen möglichen Einsatz von Atomwaffen angedeutet und zuletzt angekündigt, kleinere Waffen dieser Art nach Belarus verlegen zu wollen. Es gibt derzeit allerdings keine Anzeichen für einen tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen durch Russland. Experten gehen davon aus, dass mit solchen Ankündigungen eine Drohkulisse aufrechterhalten werden soll, um die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.

Als ähnliche Drohung muss auch die Ankündigung Moskaus verstanden werden, ebenfalls vom Mittwoch, das Abkommen, das den sicheren Getreideexport aus der Ukraine sicherstellt, nicht erneut zu verlängern. Russland hatte diesen Schritt bereits mehrfach angekündigt und die Vereinbarung dann doch immer wieder verlängert, zuletzt allerdings nur um 60 Tage, nicht um 120 wie vorgesehen. Das aktuelle Abkommen läuft Mitte Mai aus.

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Für Aufregung sorgten außerdem zwei weitere Meldungen aus Russland: Der Gesundheitszustand des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny soll sich erneut verschlechtert haben. Am Montag sei der 46-Jährige erneut in Isolationshaft gebracht worden, nachdem er erst am Freitag aus dieser entlassen worden war. In den vergangenen Wochen soll er zudem noch einmal acht Kilo an Gewicht verloren haben. Am Wochenende sei Nawalny laut seinem Anwalt Wadim Kobsew wegen starker Magenschmerzen medizinisch untersucht worden. An welcher Krankheit der Politiker leidet, sei aber nicht bekannt, er werde auch nicht weiter behandelt. Medikamente, die Nawalnys Mutter ins Gefängnis geschickt hatte, seien wieder zurückgeschickt worden. 2020 war auf den Politiker ein Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok verübt worden. Sein Anwalt hält nach den erneuten Beschwerden "toxikologische und radiologische Untersuchungen" für nötig.

Überschattet wurde die Diskussion über den Zustand Nawalnys am Mittwoch von einem Video, das auf prorussischen Telegram-Kanälen erschienen ist und vor allem in sozialen Medien für Entsetzen sorgte: Es soll zeigen, wie einem ukrainischen Kriegsgefangenen von russischen Soldaten oder Söldnern mit einem Messer der Kopf abgeschnitten wird. Womöglich ist das Video bereits im vergangenen Jahr aufgenommen worden, die genauen Umstände sind nicht bekannt. Kremlsprecher Peskow sprach von "schrecklichen Aufnahmen", deren Authentizität aber erst noch geprüft werden müsse. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sagte in einem Video mit sichtlich unterdrückter Wut, dass niemand dieses Verbrechen ignorieren könne und es sich auch nicht um einen Einzelfall handele. "So war es auch in Butscha. Tausende Male." Man werden den Mördern nicht vergeben, es werde jemand juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Dmytro Lubinez, der Menschenrechtsbeauftrage des ukrainischen Parlaments, kündigte an, man werde unter anderem den UN-Menschenrechtsausschuss um eine Untersuchung des Falls bitten. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte, Russland sei schlimmer als die Terrorgruppe Islamischer Staat, und forderte den Ausschluss aus den Vereinten Nationen.

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