In Liverpool wäre Wolodimir Selenskij auch gerne gewesen, zumindest per Videoübertragung, aber dort ging es eher nicht um Waffen und Panzer am Wochenende. In Liverpool fand am Samstag der Eurovision Song Contest (ESC) statt, Selenskij wollte dort eine Videobotschaft ans europäische Fernsehvolk loswerden, doch die European Broadcasting Union lehnte die Bitte des ukrainischen Präsidenten um einen Auftritt ab. Der ESC sei eine unpolitische Veranstaltung und müsse das unbedingt bleiben, hieß es in der Begründung. Seine Botschaft, die Forderung nach weiterer Unterstützung im Krieg gegen Russland, wird Selenskij in diesen Tagen allerdings auch ohne die schrille Glitzerbühne des ESC los: Er ist gerade auf Europatour.
Nach den Stationen Rom, Berlin und Aachen war er am Sonntag in Paris, am Montag ist er in London angekommen. In Paris und London traf Selenskij Emmanuel Macron und Rishi Sunak, beide schon aus politischen Gründen begeisterte Umarmer, entsprechende Fotos entstanden nach Selenskijs Ankunft in Paris und dann in London. "Welcome back", schrieb Sunak auf Twitter über das Foto, das aussieht, als hätten sich alte Freunde nach langer Zeit wiedergesehen. Die angeblich enge Beziehung zwischen den beiden Ländern war schon zu Boris Johnsons Zeiten als Premierminister ein wichtiger Bestandteil der wöchentlichen Kommunikation in Downing Street, das hat sich mit Sunak nicht geändert. Sunak und Selenskij telefonieren regelmäßig miteinander.
Liveblog zum Krieg in der Ukraine:Selenskij lobt Kampfjet-Entscheidung der USA
Der ukrainische Präsident begrüßt die Unterstützung der USA für die sogenannte Kampfjet-Koalition als "historische Entscheidung". Die Ausbildung der Piloten soll außerhalb der Ukraine an Standorten in Europa stattfinden und Monate dauern.
Das letzte und bisher einzige Mal seit Ausbruch des Krieges war Selenskij im Februar in London; auch in Paris war er nun zum zweiten Mal. Bei den Gesprächen ging es, natürlich, um die konkrete Unterstützung, die aus Europa in die Ukraine geschickt werden soll, welche Waffen, welche Raketen, und vor allem: wie viele.
Über Kampfjets zu sprechen, hält man in Paris und London für verfrüht
Nach dem dreistündigen Treffen Macrons und Selenskijs am Sonntagabend im Élysée-Palast teilten beide in einer gemeinsamen Erklärung mit, dass Frankreich dabei sei, neue Waffenlieferungen vorzubereiten, um dem dringenden Bedarf der Ukraine nachzukommen. Neben leichten Panzern des Typs AMX-10RC hat Frankreich bisher unter anderem Caesar-Haubitzen, Panzerabwehrraketen vom Typ Milan und Luftabwehrraketen vom Typ Crotale in die Ukraine geschickt. Zusammen mit Italien hat es auch versprochen, das Raketenabwehrsystem Mamba zu liefern, das bisher allerdings noch nicht angekommen ist.
In den kommenden Wochen will Frankreich, wie es in der Erklärung hieß, nun weitere gepanzerte Fahrzeuge und leichte Panzer zur Verfügung stellen, unter anderem jene des Typs AMX-10RC. Außerdem wolle man sich darauf konzentrieren, die ukrainische Luftabwehr gegen russische Angriffe zu unterstützen. Konkrete Zahlen wurden nicht genannt, die französische Regierung hält sich dazu gerne bedeckt.
Beim Thema Kampfjets dagegen zögert man in Paris bislang, wie auch in Berlin. Natürlich spreche man über alle Möglichkeiten, russische Angriffe abzuwehren, hieß es aus dem Élysée-Palast. Die Debatte um Kampfjets aber sei "verfrüht". Bevor man solche Flugzeuge liefere, brauche man entsprechend ausgebildete Piloten. Am Montagabend erklärte Emmanuel Macron in einem Fernsehinterview, dass er "die Tür geöffnet" habe, um ukrainische Piloten auszubilden. Konkreter wurde er dabei nicht.
Auch Rishi Sunak betonte am Montag, als er mit Selenskij nach einem zweistündigen Gespräch im Garten des Landsitzes des Premiers in Chequers mit Fernsehreportern sprach, die Pilotenfrage: Das UK werde "schon bald" damit beginnen, ukrainische Piloten auszubilden. Selenskij sagte dabei erneut, wie wichtig es für die Ukraine sei, moderne Kampfflugzeuge geliefert zu bekommen, "wir können den Himmel nicht kontrollieren", er hoffe auf eine "Jet-Koalition". Konkrete Zusagen bekam er dazu allerdings auch am Montag nicht. Es sei schließlich "kein einfacher Prozess, Kapazitäten für eine Luftwaffe aufzubauen", sagte Sunak.
Man könne nicht weiter "die Regale leer machen", kritisiert ein Tory
Schon vergangene Woche hatte Downing Street dafür mitgeteilt, Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow zu liefern. Am Montag gab Sunak zudem bekannt, noch einmal "mehrere Hundert" Flugabwehrraketen zur Verfügung zu stellen, wie auch Hunderte Kampfdrohnen, die eine Strecke von mehr als 200 Kilometern zurücklegen können.
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Wer welche Raketen und Waffen liefert und wie viele, das ist in mehreren europäischen Ländern inzwischen ein größeres Thema. Das Kiel-Institut für Weltwirtschaft rechnete kürzlich aus, dass Frankreich deutlich weniger Militärhilfe an die Ukraine liefert als die USA, das Vereinigte Königreich und Deutschland. Gerade in London wird die Rolle der Briten im Krieg der Ukraine gegen Russland gerne betont, inzwischen aber gibt es daran auch Kritik.
Tobias Ellwood, Tory-Abgeordneter und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, sagte am Montag der BBC, man könne nicht weiterhin "die Regale leer machen", um der Ukraine zu helfen. Stattdessen sei die Nato mehr gefragt: "Das sollte die Mission der Nato sein, ist es aber nicht." Es habe sich doch längst eine Art "Wettbieten" entwickelt, die verschiedenen Nationen konkurrierten regelrecht in der Frage, wer wie viel liefert. "Wir brauchen aber eine gemeinsame Agenda", sagte Ellwood.