Drohnen über Moskau:Darf die Ukraine russisches Territorium angreifen?

Drohnen über Moskau: Drohnen über Moskau: Ein Präsidentenberater in Kiew weist jede Verwicklung der Ukraine weit von sich.

Drohnen über Moskau: Ein Präsidentenberater in Kiew weist jede Verwicklung der Ukraine weit von sich.

(Foto: ITAR-TASS/Imago)

Russland wird immer häufiger auf seinem eigenen Staatsgebiet getroffen. Die Ukraine streitet eine Verantwortung meist ab. Ein Blick ins Völkerrecht.

Von Leopold Zaak

An beinahe jede Waffenlieferung, die die Ukraine aus dem Westen erhalten hat, war eine Bedingung verknüpft: Die Waffen sollen nur auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden, russisches Staatsgebiet ist tabu. Nicht Kriegspartei zu werden, hat für den Westen höchste Priorität. In den vergangenen Wochen häufen sich jedoch Vorfälle, in denen Russland weit hinter den eigenen Linien getroffen wird: Drohnen über Moskau am Dienstag, Artilleriebeschuss auf russisches Staatsgebiet vergangene Woche, explodierte Tankdepots in Südrussland und Feuer auf dem Dach des Kreml Anfang Mai.

Fast immer stritt Kiew eine Beteiligung ab, so auch am Dienstag. Mychajlo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, sagte, er freue sich selbstverständlich über die Angriffe. "Aber natürlich haben wir damit nichts direkt zu tun." Und auch wenn sich nicht nachweisen lässt, ob die Ukraine tatsächlich hinter den Attacken auf russisches Gebiet steckt: Je mehr sie sich häufen, umso dringlicher stellt sich die Frage, ob solche Angriffe vom Völkerrecht gedeckt sind.

Antwort darauf findet man in der Charta der Vereinten Nationen, genauer im Kapitel sieben zu "Maßnahmen im Hinblick auf Friedensbedrohungen, Friedensbrüche und Aggressionshandlungen". In Artikel 51 heißt es dort, das Recht eines Staates auf seine Selbstverteidigung wird durch nichts eingeschränkt, solange der UN-Sicherheitsrat keine anderslautenden Maßnahmen erlässt. In diesem Gremium sitzt mit Russland der Aggressor und mit China ein Staat, der die Aggression bisher nicht verurteilt. Da es also keine Maßnahmen aus dem Sicherheitsrat gibt, ist die Ukraine frei in der Wahl ihrer Mittel, sich selbst zu verteidigen. Angriffe auf russisches Staatsgebiet wären demnach erlaubt seit Beginn der russischen Attacken vor mehr als einem Jahr.

"Im Prinzip sind Angriffe der Ukraine auf russischem Gebiet legal."

Das sagt auch Barry de Vries. Er forscht am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) zum Völkerrecht. "Im Prinzip sind Angriffe der Ukraine auf russischem Gebiet legal", sagt er. Mit dem Kriegsbeginn durch Russland habe die Ukraine das Recht, Gewalt anzuwenden, um sich zu verteidigen, und sei dabei nicht an die eigenen Landesgrenzen gebunden. Allein zwei Einschränkungen gibt es: Verteidigungsangriffe der Ukraine dürften nicht unverhältnismäßig sein und müssten das humanitäre Völkerrecht achten - zivile Einrichtungen dürfen nicht das Ziel sein.

Grundsätzlich also ist die Ukraine in ihrer Verteidigung tatsächlich nicht auf ihr Territorium beschränkt. Dass der Westen Zurückhaltung fordert, hat damit zu tun, dass er Putin keinen Anlass geben will, ihn als Kriegspartei zu bezeichnen. Das ließ am Mittwoch auch Steffen Hebestreit durchblicken, der Sprecher der Bundesregierung: Die Ukraine, sagte er in einem Interview mit der Deutschen Welle, habe das Recht, russisches Gebiet anzugreifen, Berlin aber lehne es ab, dass dabei Waffen verwendet werden, die Deutschland geliefert hat.

Grundsätzlich ist die Frage also wohl klar, der mutmaßliche Angriff vom Dienstag wirft aber dennoch Fragen auf: Trümmer der abgeschossenen Drohnen trafen auf Wohnhäuser. Bisher zielte Kiew stets auf militärische und strategische Ziele. "Bei den jüngsten Angriffen auf Moskau ist das Ziel noch nicht klar", sagt de Vries.

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