Bauen in Bayern:Der Ärger mit den Ausgleichsflächen

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Blumenwiesen mit seltenen Pflanzen wie der Kuckuckslichtnelke und dem Roten Klee sind als Ausgleichsflächen sehr begehrt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für jeden Hektar neues Bauland muss laut Naturschutzgesetz ein ökologischer Ersatz geschaffen werden. So steht es geschrieben. Warum die Realität anders aussieht.

Von Christian Sebald

Aus der Sicht der Grünen-Politikerin Rosi Steinberger ist es ein doppelter Skandal. "Der eine ist, dass bei uns täglich um die zehn Hektar freie Landschaft zubetoniert werden und Schwarz-Orange nicht wirklich was dagegen unternimmt", sagt die Vorsitzende des Umweltausschusses im Landtag. "Der andere, eng damit verbundene ist, dass sie viel zu wenig dafür tut, dass die Bauträger und Kommunen zumindest den gesetzlich vorgeschriebenen ökologischen Ausgleich für all ihre Bauprojekte schaffen."

Auch der Chef des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), Norbert Schäffer, schimpft: "Mit den Ausgleichsflächen ist es nicht weit her, die Vorschriften werden vielfach ignoriert." Die Staatsregierung weiß ebenfalls um die Missstände. 2017 - vor sechs Jahren also - hat die damalige Umwelt- und heutige Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) eingestanden, dass "Umsetzung und Kontrolle von Ausgleichs- und Ersatzflächen effizienter werden müssen". Getan hat sich seither wenig. Das hat unlängst ein Bericht des Umweltministeriums im Landtag gezeigt.

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Es ist eine komplizierte Sache mit den Ausgleichsflächen oder Kompensationsmaßnahmen, wie sie auf Amtsdeutsch heißen. Dabei ist der Grundgedanke einfach. Nach dem deutschen und dem bayerischen Naturschutzgesetz wird für jeden Eingriff in die Natur und die Landschaft ein Ausgleich fällig. Wenn ein neues Wohn- oder Gewerbegebiet errichtet wird, eine Straße oder eine Stromleitung, aber auch ein Solarpark oder ein Windrad, muss für die Landschaft, die dafür geopfert wird, Ersatz geschaffen werden - indem anderswo ein Magerrasen angelegt, eine Hecke gepflanzt, ein Krötentümpel ausgehoben oder ein Moor renaturiert wird. Die Idee dahinter lautet: Trotz aller Bauprojekte im Land sollen Natur und Landschaft und damit die Tier- und Pflanzenwelt möglichst intakt bleiben. Juristen sprechen von einem Verschlechterungsverbot.

"Ein Naturschutzgesetz, das nur auf dem Papier steht, bringt der Natur rein gar nichts", sagt die Grünen-Politikerin Rosi Steinberger. (Foto: Matthias Balk/picture alliance)

Der Bedarf an Ausgleichsflächen ist gigantisch. Denn der Flächenverbrauch im Freistaat stagniert seit Jahren auf Rekordniveau. Aktuell werden in Bayern jeden Tag 10,3 Hektar freie Landschaft in Bauland umgewandelt. Pro Woche gehen so zwei Bauernhöfe mit je 36 Hektar Acker- und Weideland verloren. Natürlich soll und kann der Ausgleich längst nicht in der gleichen Größenordnung passieren. Früher sprachen Experten von einem Faktor von 0,3. Das bedeutete, dass für jeden Hektar freie Landschaft, der zugebaut wird, 0,3 Hektar Ausgleich geschaffen werden sollte. Inzwischen ist der Faktor von einem komplexen Punktesystem abgelöst worden. Es soll die Qualität eines jeden Ausgleichs bewerten. Das Problem ist nur: Es werden viel zu wenige Ausgleichsflächen geschaffen. Und selbst von denen, die eingerichtet werden, erfüllt nur ein Bruchteil ihren Zweck.

Überall, wo bisher Ausgleichsflächen überprüft worden sind, waren die Ergebnisse ähnlich verheerend. Das gilt auch für die einzige offizielle Studie aus dem Jahr 2017. Damals erfasste und bewertete das Landesamt für Umwelt (LfU) hundert Ausgleichsflächen im oberbayerischen Landkreis Ebersberg. Nur 20 Prozent erfüllten alle Anforderungen. 29 Prozent wiesen geringere Mängel auf, 24 Prozent größere. Und auf 26 Prozent "war keine Umsetzung der Maßnahmen erkennbar", wie es in der Studie heißt. "Das kann es nicht sein, dass nur jede fünfte Ausgleichsfläche ihren Sinn und Zweck erfüllt", schimpfte damals der Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Magerl. "Da braucht sich keiner über den Artenschwund zu wundern."

"Es geht einzig und allein darum, dass wir nicht noch mehr Natur verlieren", sagt LBV-Chef Norbert Schäffer. (Foto: Manfred Neubauer)

Magerl ist vor fünf Jahren aus dem Landtag ausgeschieden. Doch alle Untersuchungen seither bestätigen die LfU-Studie. Der LBV versucht sich seit drei Jahren einen bayernweiten Überblick zu verschaffen. "Egal welchen Landkreis wir uns ansehen, es immer dasselbe", sagt Verbandschef Schäffer. "Etwa ein Viertel der Ausgleichsflächen existiert nicht, 50 Prozent hat mehr oder weniger Defizite, und nur das verbleibende Viertel ist so, dass wir sagen können: Ja, das passt und erfüllt die Vorgaben."

Die Gründe der Missstände sind immer die gleichen: Planern, Investoren, Behörden und Politikern ist der Aufwand für die Ausgleichsflächen viel zu hoch. Denn sie müssen ja nicht nur beschafft und hergerichtet werden. Sie müssen auch betreut werden. Sonst stellt sich der ökologische Effekt nicht ein, den sich die Naturschützer von ihnen erwarten. All das kostet Geld und Personal, das viele Gemeinden lieber anderswo investieren. Die Bauern stören sich daran, dass sie bisweilen wertvolles Acker- oder Weideland für den Naturschutz abgeben sollen. Vor allem, so kritisieren Steinberger und Schäffer, fehlen aber Kontrollen. Die Unteren Naturschutzbehörden an den Landratsämtern haben so viele andere Aufgaben, dass sie diese nicht auch noch erfüllen könnten - selbst wenn es gewollt wäre.

Best-Practice-Sammlungen und Handlungsleitfäden

Daran bestehen nämlich seit Jahren große Zweifel. Und der Bericht der Staatsregierung vor dem Landtag hat sie nicht zerstreuen können. Die Vertreter des Umwelt- und des Bauministeriums sprachen in ihrer Präsentation vor allem von Best-Practice-Sammlungen und Handlungsleitfäden. Außerdem habe man das digitale Ökoflächen-Kataster neu strukturiert und vereinfacht, so dass die Kommunen nun die Ausgleichsflächen auf ihren Fluren mit denkbar kleinem Aufwand einpflegen können. Bisher scheiterte ein bayernweiter Überblick über die Ausgleichsflächen nämlich schon daran, dass keiner genau sagen kann, wie viele es geben müsste und wie viele es tatsächlich gibt. Durch das neue Ökoflächen-Kataster soll das nun möglich werden.

Den Grünen und dem LBV sind diese Maßnahmen zu wenig. "Ein Naturschutzgesetz, das nur auf dem Papier steht, bringt der Natur rein gar nichts", sagt Steinberger. "Die Staatsregierung muss dafür sorgen, dass die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen so umgesetzt werden, wie vom Gesetz gefordert." Dazu gehören aus ihrer Sicht eben auch wirksame Kontrollen. LBV-Chef Schäffer argumentiert ähnlich. "Investoren, Planer und Politiker müssen sich klar machen, dass es bei den Ausgleichsflächen nicht darum geht, etwas Zusätzliches für den Naturschutz zu tun", sagt er. "Sondern einzig und allein darum, dass wir durch ihre Projekte nicht noch mehr Natur verlieren, als wir eh schon verloren haben."

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