Klimaschutz:Die Ampel verfehlt das Klimaziel

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Für Emissionen hat die EU Obergrenzen gesetzt. Reißt Deutschland hier seine Ziele, muss es Zertifikate von anderen EU-Staaten kaufen. (Foto: Rupert Oberhäuser/Imago)

Mit einem Paket aus gut 130 einzelnen Vorhaben will die Bundesregierung das Land auf Kurs Klimaneutralität trimmen. Doch nun attestiert ihr eigener Expertenrat: Das reicht nicht.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

An großen Worten hatte die Bundesregierung nicht gespart. "Der menschengemachte Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen dieser Zeit", schrieb sie im Juni gleich zu Beginn ihres "Klimaschutzprogramms 2023". Das Tempo im Klimaschutz müsse sich "in den kommenden Jahren insgesamt mehr als verdoppeln und dann bis 2030 nahezu verdreifachen". Seit diesem Dienstag ist klar: Das Tempo legt zwar unter der Ampelkoalition spürbar zu. Aber bei Weitem nicht so, wie es nötig wäre.

*Schätzung, **KSG-Ziel (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Umweltbundesamt 15.3.2023)

Zu diesem Ergebnis kommt der von der Regierung eingesetzte Expertenrat für Klimafragen - dessen Job es ist, die offiziell vorgelegten Zahlen und Abschätzungen gründlich zu prüfen. Demnach wird sich in den kommenden Jahren eine wachsende Lücke zwischen Ziel und Wirklichkeit im Klimaschutz auftun. Und diese werde auch größer sein, als von der Bundesregierung selbst angenommen. "Das Klimaschutzprogramm entspricht nicht den Anforderungen, wie sie im Klimaschutzgesetz formuliert sind", sagt der Freiburger Physiker Hans-Martin Henning, der dem fünfköpfigen Gremium vorsitzt, "nämlich, zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele zu führen." Es geht nicht weit genug.

Allein bis 2030 würde sich eine Klimaschuld von 200 Millionen Tonnen CO₂ anhäufen

Arbeitsgrundlage des Expertenrates war unter anderem ein "Projektionsbericht", in dem das Umweltbundesamt die Wirkungen des Klimaschutzprogramms hatte untersuchen lassen. Auch dieser Bericht kommt auf eine Lücke: So werde Jahr für Jahr jener Pfad überschritten, der Deutschland bis 2045 zur Klimaneutralität bringen soll. Allein bis 2030 würde sich so eine Klimaschuld von 200 Millionen Tonnen CO₂ anhäufen. Das ist knapp ein Viertel dessen, was hierzulande derzeit im Jahr emittiert wird.

Doch nach Auffassung der Regierungsexperten ist dieser Bericht noch zu optimistisch. So treffe er Annahmen, "die aus aktueller Sicht nicht mehr der erwartbaren Entwicklung entsprechen". Unter anderem geht er in seinem ehrgeizigsten Szenario davon aus, dass das umstrittene Heizungsgesetz weitaus schärfere Vorgaben macht - obwohl es vor der Sommerpause massiv entschärft wurde. Zudem gebe es bei etlichen Regierungsvorhaben noch "erhebliche Unsicherheiten", ob sie wirklich wie geplant umgesetzt werden, beklagt der Expertenrat. Wobei die Kunst, allen möglichen Gesetzesvorhaben immense Emissionsminderungen zuzuschreiben, auch frühere Bundesregierungen schon perfektioniert hatten. Selten traten die Annahmen später so ein.

In den Berechnungen für das Umweltbundesamt gibt es noch ein zweites, pessimistischeres Szenario. Es berücksichtigt nur die Wirkungen jener Gesetze und Vorgaben, die schon verabschiedet oder in Kraft sind. Die Lücke summiert sich hier bis 2030 auf 331 Millionen Tonnen CO₂ - der Weg zur Klimaneutralität wird noch weiter. "Der Projektionsbericht zeigt deutlich, dass es zusätzliche Maßnahmen braucht, um die gesteckten Klimaziele noch erreichen zu können", sagt Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamts.

Allerdings hatte die Koalition schon mit den letzten Gesetzen zum Klimaschutz schwer zu kämpfen, allen voran mit dem Heizungsgesetz. Und statt die Vorgaben zu verschärfen, hatte die Bundesregierung zuletzt das Klimaschutzgesetz abgeschwächt. Dieses sah Sofortprogramme von Ministerien vor, sofern die sogenannten Sektorziele in deren Geschäftsbereich verfehlt würden. Dies betraf in der Vergangenheit vor allem die Ministerien für Verkehr und Bau.

Deutschland könnten diese Versäumnisse teuer zu stehen kommen

Deren Entwicklung hat nun auch der Expertenrat noch einmal genauer angeschaut, mit verheerenden Erkenntnissen. So wird sich im Verkehr selbst unter den optimistischsten Annahmen - denen des Verkehrsministeriums - bis 2030 ein Emissionsüberschuss von 117 Millionen Tonnen Treibhausgasen anhäufen. Dazu kommen weitere 35 Millionen Tonnen aus dem Gebäudebereich, wo vor allem fossile Heizungen dem Klima schaden.

Für die Bundesrepublik könnten diese Versäumnisse in den nächsten Jahren teuer werden. Denn für Emissionen wie aus dem Verkehr und aus Gebäuden hat auch die EU Obergrenzen gesetzt, und das für jedes Mitgliedsland. Reißt Deutschland hier seine Ziele, muss es Zertifikate von anderen EU-Staaten kaufen - sofern die noch welche übrig haben. Je knapper sie werden, desto stärker belastet der Klimaschutz künftig den Haushalt. Nötig sei deshalb auch in Deutschland ein höherer CO₂-Preis für Gebäude und Verkehr, verlangt die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrates, Brigitte Knopf - nämlich einer, der sich an dem knappen Emissionsbudget orientiere. Insgesamt fehle "ein schlüssiges Gesamtkonzept", moniert Knopf.

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Das sieht der grüne Klimaschutzminister Robert Habeck naturgemäß anders. Gegenüber der vorigen Regierung habe man schon viel erreicht, sagt er, um "bis zu 80 Prozent" sei die Lücke schon geschlossen. "Aber natürlich ist noch viel zu tun." Dies sei eine Aufgabe für die gesamte Regierung. Umweltschützer dagegen verlangen nun rasch einen Plan, wie sich die Lücke schließen lässt. "Das Urteil des Expertenrats ist eindeutig", sagt Germanwatch-Chef Christoph Bals. "Die Klimapolitik der Bundesregierung verstößt gegen Recht und Gesetz."

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