Bundeswehr: Rekruten in Mittenwald:Bis zum Erbrechen

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Rohe Schweineleber und Rollmöpse mit Frischhefe: Die Bundeswehr will den Skandal um grausige Aufnahmerituale in der Mittenwalder Kaserne untersuchen.

P. Blechschmidt und H. Effern

Sie sind die fittesten Typen der Bundeswehr, die Spezialisten fürs Hochgebirge. Fünf Mal in der Woche raus ins Gelände, Klettern, Bergmärsche oder Skitouren mit 30 Kilo Ausrüstung auf dem Buckel. Wer das durchsteht, "der muss sich plagen wollen", sagt ein Bundeswehroffizier, der es wissen muss. Offenbar gilt der Wille zur mehr oder weniger freiwilliger Selbstquälerei im Mittenwalder Hochgebirgszug aber nicht nur für die Ausbildung, sondern auch für das Zusammenleben mit den Kameraden.

"Rollmöpse mit Hefe": Eingang der Edelweiß-Kaserne in Mittenwald (Foto: Foto: dpa)

Um als vollwertiges Mitglied des sogenannten Hochzugs zu gelten, mussten Soldaten ein grausiges Aufnahmeritual absolvieren. Die Anforderungen hat ein ehemaliger Soldat des Mittenwalder Hochzugs in einer Beschwerde an den Wehrbeauftragten Reinhold Robbe detailliert beschrieben: Er habe rohe Schweineleber und Rollmöpse mit Frischhefe essen und große Mengen Alkohol trinken müssen. Bis zum Erbrechen.

Verselbstständigtes Machtsystem

Die Beschwerde ist am vergangenen Freitag an die betroffene Edelweißkaserne in Mittenwald weitergegeben worden. "Seither ermitteln wir, auch über das ganze Wochenende hinweg", sagt Kommandeur Fred Siems. Der zuständige Kompaniechef und zwei weitere Offiziere vernehmen gerade alle 24 Soldaten des Hochzugs, drei als direkt Beschuldigte, den Rest als Zeugen. Das Zwischenergebnis: Die Vorwürfe entsprechen größtenteils der Wahrheit. Nur das kursierende Gerücht, dass die Prüflinge splitternackt vor ihren Kameraden klettern mussten sei "definitiv" falsch.

Oberstleutnant Siems ist "bestürzt", er könne nicht nachvollziehen, "wie junge Menschen so miteinander umgehen." Er habe sich bei dem Beschwerdeführer bereits entschuldigt und ihm gedankt, dass er die Vorfälle angezeigt hat. "So etwas darf nie wieder vorkommen." Siems räumt ein, dass sich bei seinen Alpinspezialisten ein eigenes Machtsystem verselbständigt habe. "Seit Ende der 80er Jahre hat sich ein sogenannter Hochzug-Kult herausgebildet", sagt Siems.

In einer strengen Hierarchie muss sich der unterste Dienstgrad, der einfache Jäger, langsam empor dienen. Anfangs heißt das für ihn, dass er die Stube und Gang oder Sanitärräume putzt, während die Kameraden mit mehr Dienstzeit auf ihren Betten herumliegen. Er bringt diesen morgens Frühstück aufs Zimmer, organisiert Weißwurstessen oder sorgt für Kaffee und Kuchen.

"Das gibt's doch schon seit 50 Jahren"

Um in diese Machtposition zu kommen, muss der Jäger den sogenannten Fux-Test durchlaufen, das Aufnahmeritual. Ältere Mannschaftsdienstgrade übernehmen die Organisation, denken sich die Prüfungsaufgaben aus und laden auch ehemalige Mitglieder des Hochgebirgszugs ein. Das war auch im konkreten Fall so. Er habe von solchen Bräuchen zum ersten Mal gehört, betont Siems. Sie hätten aber nach ersten Erkenntnissen in den vergangenen Jahren "an Heftigkeit zugenommen".

Der Kommandeur sieht keinen Interessenskonflikt darin, dass Offiziere aus der Kaserne die Vorfälle aufklären sollen. "Das sieht das Dienstrecht vor", sagt Siems. Er habe keine Hinweise darauf, dass die Ermittler befangen seien. Sollte sich herausstellen, dass auch Führungskräfte von den Ritualen wussten, sei dies nicht "akzeptabel". Mittlerweile habe es ein erstes Informationsgespräch mit der Staatsanwaltschaft gegeben. "Wir prüfen derzeit, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt", sagte ein Sprecher in München.

Die Mittenwalder überraschen solche Geschichten nicht. "Das gibt's doch schon seit 50 Jahren", sagt eine Bedienung im Café. "Das gibt es doch bei vielen Einheiten", sagt der Mann, der gerade in der Fußgängerzone die Touristen auf die wartenden Kutschen für die Dorfrundfahrt verteilt. Die Soldaten aus Mittenwald jedenfalls fallen nicht zum ersten Mal unangenehm auf. Im Herbst 2006 wurden Fotos aus Afghanistan veröffentlicht, auf denen deutsche Soldaten mit Skelettteilen posierten, darunter auch Gebirgsjäger aus Mittenwald. Die Verfahren gegen sie wurden allerdings eingestellt.

"Koordinaten im Kopf verschoben"

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, nannte die Vorfälle, wenn sie sich denn bestätigen sollten, unentschuldbar. Das Quälen von Menschen könne nicht toleriert werden, sagte Kirsch der SZ. Wer so etwas wie in Mittenwald tue, der habe nicht verstanden, dass die Würde des Menschen ganz oben stehe.

Allerdings sagte Kirsch auch: "Wenn sich bei einigen die Koordinaten im Kopf verschoben haben - was hier offenbar der Fall ist -, dann darf man das nicht auf die ganze Bundeswehr übertragen." Offenbar seien in der Gesellschaft insgesamt die Hemmschwellen gegenüber Gewaltanwendung verloren gegangen. Wenn man anschaue, welche Bilder heute auf Schulhöfen ausgetauscht würden, dann sei klar, dass dies nicht nur ein Problem der Streitkräfte sei.

Nackt und mit Schuhcreme beschmiert

Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat Anfang der 90er Jahre seinen Wehrdienst bei den Gebirgsjägern in Mittenwald absolviert. Er habe von den schikanösen Ritualen allerdings keine Kenntnis gehabt, sagte er der Sächsischen Zeitung.

Unterdessen berichtete ein ehemaliger Soldat der SZ von ähnlichen Vorkommnissen bei den Gebirgsjägern in Berchtesgaden. Als Aufnahmeritual für den "Hochzug" seien Neulinge mit einigen Kästen Bier und zwei Eimern so lange eingesperrt worden, bis die Flaschen leer oder die Eimer mit Urin oder Erbrochenem gefüllt gewesen seien.

Vermeintliches Fehlverhalten sei damit geahndet worden, dass die Delinquenten ausgezogen und mit fest haftender Schuhcreme eingeschmiert worden seien. Wenn am nächsten Tag noch Spuren der Creme festgestellt worden seien, seien die Soldaten von Vorgesetzten zusätzlich bestraft worden, weil sie sich nicht ordentlich gewaschen hätten. Susanne Kastner, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, SPD: "Die Vorgänge sind schlimm, noch schlimmer aber wäre es, wenn Vorgesetzte die Vorfälle geduldet und weggesehen hätten."

© SZ vom 11.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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