Unruhe in der Koalition:So viele Fragen an den Vize

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Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger und Regierungschef Markus Söder. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Hubert Aiwangers Erklärungen, was er als 17-jähriger Schüler mit dem antisemitischen Flugblatt zu tun hatte, stellen die CSU nicht zufrieden. Markus Söder beruft den Koalitionsausschuss zu einer Sondersitzung ein.

Von Roman Deininger, Andreas Glas und Johann Osel

Die Michaelismesse im unterfränkischen Miltenberg ist kein großes Volksfest, aber offenbar doch so groß, dass sich zwei Männer aus dem Weg gehen können. Am Montag um die Mittagszeit besuchten sowohl Markus Söder (CSU) als auch Hubert Aiwanger (Freie Wähler) den Festplatz am Ufer des Untermains. Der bayerische Ministerpräsident und sein Stellvertreter begegneten sich nicht. Augenzeugen berichten, dass Aiwanger seine Visite sehr kurz hielt; immerhin dirigierte er im Zelt bei einem Stück die Kapelle.

Am Dienstagvormittag werden sich Söder und Aiwanger in München sehen, die Gemütlichkeit der Michaelismesse wird dem Treffen indes fehlen. Söder hat eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses seiner Staatsregierung einberufen. Die Einladung, die öffentlich Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) überbrachte, fiel für Aiwanger nicht gerade herzlich aus.

Aiwangers bisherige Erklärungen, was er als 17-jähriger Schüler mit der Produktion und Verteilung eines antisemitischen Flugblattes zu tun hatte, stellen die CSU nicht zufrieden. Dass Aiwangers Bruder Helmut die Hetzschrift verfasst haben soll, habe man zur Kenntnis genommen, teilte Herrmann mit. "Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten." Und das müsse "zeitnah" und "umfassend" geschehen. "Es geht um das Ansehen Bayerns."

Aiwanger dürfte der Ernst der Situation durchaus bewusst sein, auch wenn er in Miltenberg in die Reportermikrofone sagte, das Flugblatt sei "jetzt nicht die aktuellste Thematik". In den Führungskreisen der CSU erachtet man die Vorwürfe gegen Aiwanger jedenfalls als hochaktuell, das Fortbestehen der gemeinsamen Regierung steht infrage, und das sechs Wochen vor der Landtagswahl. Die Christsozialen hadern damit, dass die FW sich hinter Aiwangers Version der Ereignisse versammelt haben, obwohl diese doch offenkundig "fadenscheinig" sei. Dass Hubert Aiwanger die Flugblätter einst eingesammelt haben könnte, um zu "deeskalieren", wie sein Bruder Helmut am Montagnachmittag der Mediengruppe Bayern sagte, sei "auf lächerliche Art unglaubwürdig".

Söder bringt all das in eine höchst unbequeme Lage. Die bayerische Opposition und viele andere fordern vehement, er müsse Aiwanger entlassen - manchen genügt dafür sogar schon, dass der 17-jährige Aiwanger das Flugblatt bei sich hatte, was er zugegeben hat. Im Umfeld der CSU-Spitze empfindet man diesen Druck als "unangemessen": "Was man jetzt weiß, reicht nicht für eine Entlassung. Es steht der Beweis aus, dass er der Urheber des Flugblatts ist."

Eine Entlassung wäre ein so schwerwiegender Vorgang, dass "die Beweislage hieb- und stichfest" sein müsse. In der CSU fürchtet man, dass ein solcher Schritt bei mangelhafter Beweislage von wesentlichen Teilen der Bevölkerung nicht verstanden würde. Man liefe dann Gefahr, "die politische Kultur im Land zu beschädigen" und "die Systemskeptiker noch zu stärken".

Söder, heißt es in der CSU, müsse nun "mit Vorsicht und Bedacht agieren", nötigenfalls aber auch "entschlossen handeln". Wenn neue Beweise ans Licht kämen oder ein Beleg, dass Aiwanger gelogen habe, würde dies die Entscheidungsgrundlage verändern. Söder habe das Schutzversprechen für das jüdische Leben in Bayern immer sehr ernst genommen: "Nach dieser Maßgabe wird er handeln, wenn die Beweislage sich klären sollte."

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Bei den Freien Wählern blieb es am Montag still, jedenfalls in Bayern. Die Geräusche kamen aus einer anderen Richtung. In Rheinland-Pfalz, wo die Partei ebenfalls im Landtag vertreten ist, nahm FW-Landeschef Stephan Wefelscheid den Bundesvorsitzenden Aiwanger in die Pflicht. Es gelte die Unschuldsvermutung, sagte Wefelscheid laut SWR. Aber auch: Sollte Aiwanger an der Erstellung oder Verbreitung des antisemitischen Flugblatts mitgewirkt haben, könne er weder FW-Spitzenkandidat für die bayerische Landtagswahl bleiben noch Vizeministerpräsident. Den Zeitpunkt, zu dem die Vorwürfe gegen Aiwanger veröffentlicht wurden, nannte Wefelscheid "auffällig", eine "Schmutzkampagne" sieht er jedoch nicht.

Anders die Freien Wähler in Bayern. Parlamentsgeschäftsführer Fabian Mehring sprach am Samstag, wie Aiwanger, von "schmutzigen Kampagnen". In der oberen Etage der Partei und der Landtagsfraktion hat sich bislang niemand gegen Aiwanger gestellt. Hinter den Kulissen wird viel geredet, aber offen? Eher nicht. Die Panik ist spürbar, die Partei ist auf Aiwanger zugeschnitten. Er ist derjenige, der die Stimmen zieht. Die FW ohne Aiwanger, was bliebe da übrig von den Umfragewerten, die zuletzt zwischen zwölf und 14 Prozent lagen? Es ist gerade unvorstellbar, dass sie ihren Anführer fallen lassen.

Und die Opposition? Während der Ministerpräsident den Druck auf seinen Vize erhöht, versuchen Grüne, SPD und FDP Druck auf Söder zu machen. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn möchte eine Sondersitzung des Landtags beantragen - und über Aiwangers Entlassung abstimmen. Bei Grünen und FDP ist zu hören, dass sie sich wohl anschließen, sollte Aiwanger die Zweifel am Dienstag im Koalitionsausschuss nicht ausräumen und Söder ihn dann nicht selbst entlassen. Die Stimmen von Grünen, SPD und FDP würden reichen. Dass Aiwanger von sich aus hinwirft, glaubt im politischen München so gut wie niemand. Und natürlich ist da jetzt die Hoffnung bei den Oppositionsparteien, plötzlich selbst den Platz als Partner neben der CSU zu ergattern. Auf Twitter schrieb SPD-Fraktionschef von Brunn am Montag, nachdem Söder seinen Vize in den Koalitionsausschuss zitiert hatte: "Ich danke dem Ministerpräsidenten." So freundlich. Das kannte man bisher gar nicht aus der SPD.

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