Zeit der knappen Kassen:Welche Steuer Spitze ist

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So hoch könnte der Spitzensteuersatz liegen, wenn die Belastungskurve abflacht: CDU-Chef Merz bei einem Wahlkampfauftritt in Bayern. (Foto: Chris Emil Janssen/Imago)

CDU-Chef Merz hat einen höheren Spitzensteuersatz ins Spiel gebracht und findet Zustimmung bei SPD-Generalsekretär Kühnert. Deutet sich eine neue Allianz an? Ganz so einfach ist es nicht.

Von Claus Hulverscheidt, Georg Ismar und Robert Roßmann, Berlin

Saskia Esken bringt das Dilemma ihrer SPD so auf den Punkt: "Das ist das Schicksal derer, die regieren." In einer Koalition gelte es auch, Kompromisse zu machen. Ausgerechnet der frühere Koalitionspartner, die CDU, hat in Person von Friedrich Merz einen höheren Spitzensteuersatz ins Spiel gebracht. Etwas, das SPD-Chefin Esken gerne umsetzen würde, aber am Veto des aktuellen Partners FDP scheitert. Dabei brauche es eine Steuerreform, höhere Einkommen müssten mehr leisten, sagt Esken.

In Zeiten knapper Kassen und hoher Belastungen der Mittelschicht ist die Steuerdebatte mit Wucht ausgebrochen. Die CDU verwahrt sich dabei jedoch gegen einen falschen Eindruck. Die SPD versuche gerade, "uns zu einer Steuererhöhungspartei umzuframen", heißt es am Montag in der CDU-Zentrale. Um das zu erreichen, würde die SPD unzulässigerweise einen Punkt aus dem Vorschlag von Parteichef Merz herausgreifen und alle anderen Punkte unterschlagen.

Merz hatte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter anderem gesagt: "Schon Leute, die nur ein bisschen mehr verdienen als der Durchschnitt, erfahren eine enorme Belastung durch Abgaben und Steuern. Wir müssen die Belastungskurve abflachen, denn Leistung muss sich lohnen. Ob der Spitzensteuersatz dann bei 42 oder 45 Prozent liegt, ist nicht entscheidend."

Merz setzt sich vom Kurs der Merkel-CDU ab

Merz setzt sich mit seiner Äußerung tatsächlich vom Kurs der Union in den letzten Regierungsjahren von Angela Merkel ab. Damals galt in der CDU: Über Steuererhöhungen denken wir nicht einmal nach. Das war auch ein Akt der Selbstvergewisserung. In der großen Koalition hatte sich an der Parteibasis das Gefühl breit gemacht, die CDU verrate viele ihrer Positionen - etwa in Migrationsfragen, bei der Wehrpflicht oder beim Atomausstieg. Da war die kategorische Absage an jede noch so kleine Steuererhöhung oder das Abweichen von der schwarzen Null eine identitätsstiftende Klammer.

Der Verzicht auf Steuererhöhungen reduzierte jedoch auch den Gestaltungsspielraum der CDU. Deshalb hatte bereits im April die dafür zuständige Grundsatzprogramm-Fachkommission einen Kurswechsel empfohlen. Und bereits diese Kommission - sie wird von Jens Spahn geleitet - hatte eine mögliche Erhöhung des Spitzensteuersatzes an strikte Bedingungen gekoppelt. So müsse gleichzeitig der Solidaritätszuschlag komplett abgeschafft werden und der Spitzensteuersatz erst bei höheren Einkommen als bisher greifen. Diese Überlegungen hatte Merz am Sonntag aufgegriffen.

Der Finanzminister sieht "die Steuergerechtigkeit in Schieflage"

Auch die SPD-Führung hat eine Kommission ("Steuern und Finanzen") eingesetzt, die bis zum Bundesparteitag im Dezember Vorschläge präsentieren soll. Dabei steht auch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer zur Debatte. Die Jungsozialisten pochen zudem auf ein Aussetzen der Schuldenbremse, um angesichts einer drohenden Abwanderung von Industrieunternehmen aus Deutschland mehr in Bereiche wie Bildung, sozialer Wohnungsbau und Digitalisierung investieren zu können. Aber auch das scheitert an der FDP.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nahm die Merz-Aussagen daher dankbar auf. Die SPD wolle den Großteil der Beschäftigten entlasten, aber im Gegenzug den Spitzensteuersatz für die obersten fünf Prozent "moderat erhöhen", so Kühnert. In der SPD ist angesichts des AfD-Höhenflugs der Druck groß, nach dem Abarbeiten von Koalitionsvorhaben wie dem Bürgergeld oder der Erhöhung des Mindestlohns auch bei der Verteilungsgerechtigkeit voranzukommen. Erste Genossen räumen ein, dass in einer großen Koalition solche Reformschritte leichter durchzusetzen wären.

Die FDP lehnt eine Spitzensteuersatz-Erhöhung jedenfalls vehement ab. "Die Rechnung einer aufkommensneutralen Abflachung des Mittelstandsbauchs geht nicht auf. Die Belastung beim Spitzensteuersatz läge dafür nicht bei 42 oder 45 Prozent, wie Herr Merz glaubt, sondern bei 57 Prozent ab 80 000 Euro. Wenn er in Kenntnis der realen Zahlen weiter an der Seite von Herrn Kühnert bleibt, wäre ich überrascht", sagt der FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner der Süddeutschen Zeitung. Er wirft der Union vor, eine zunehmend wirtschaftsfeindliche Politik zu verfolgen.

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"Die CDU will die steuerlichen Entlastungen des Wachstumschancengesetzes blockieren, aber zugleich will Friedrich Merz den Spitzensteuersatz erhöhen", sagt Lindner. Der CDU-Chef positioniere "sich damit links der SPD - das ist für den Mittelstand keine gute Nachricht".

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann weist diese Kritik vehement zurück. "Mittlerweile zahlt die Mittelschicht den Spitzensteuersatz, das ist schlicht nicht fair", sagt Linnemann. Befeuert durch die hohen Inflationsraten gerate "in Deutschland die Steuergerechtigkeit in Schieflage". Zentrales Element einer Steuerreform müsse deshalb "eine breite Entlastung für die Mitte dieses Landes" sein. Dafür müsse zuerst der Mittelstandsbauch abgeflacht werden. Der Spitzensteuersatz sollte deshalb deutlich später greifen als bei etwa 63 000 Euro. Wenn er erst bei 80 000, 90 000 oder 100 000 Euro erhoben würde, "käme es zu einer Entlastung für die breite Mitte dieses Landes". Bei einer derartigen Reform würden nur "wenige Spitzenverdiener im Millionenbereich" geringfügig mehrbelastet.

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