CDU:Thüringer Zwickmühle

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Bei den Thüringern weniger beliebt als die Köpfe aller Konkurrenzparteien: CDU-Landeschef Mario Voigt. (Foto: Jacob Schröter/Imago)

Der Aufschrei über die gemeinsame Abstimmung von Christdemokraten und AfD in Thüringen war groß. Doch das persönliche und strategische Dilemma von CDU-Landeschef Mario Voigt ist noch größer.

Von Iris Mayer, Leipzig

Als Mario Voigt im Frühjahr 2020 Chef der CDU-Fraktion in Thüringen wurde, hatte er einen Plan. Darauf stand: befristete Zusammenarbeit mit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung mit dem Ziel einer raschen Neuwahl, die AfD abschütteln und schließlich Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ablösen. Der erste Punkt war schon ein Jahr später Makulatur, als abtrünnige CDU-Fraktionsmitglieder eine Auflösung und damit die Neuwahl des Landtags in Erfurt boykottierten. Ihnen war klar, dass nach der Desaster-Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD im Februar 2020 vor allem der CDU Stimmverluste gedroht hätten.

Wie fest die Thüringer CDU dreieinhalb Jahre später noch immer daran glaubt, die anderen beiden Ziele verwirklichen zu können, ist nur schwer zu ermessen. Voigt verweist gern darauf, dass man sich in Umfragen auf Augenhöhe mit der Partei des Ministerpräsidenten befinde. Was der 46-Jährige lieber nicht sagt: Dass dies der Schwäche der Linken und nicht der Stärke der CDU zuzurechnen ist. Ein knappes Jahr vor der Landtagswahl liegt Voigts CDU vor allem mehr als zehn Punkte hinter der AfD.

Voigt schwebt eine Deutschland-Koalition wie in Sachsen-Anhalt vor

Nichts deutet derzeit darauf hin, dass sich die Lage der Christdemokraten zum Besseren wenden könnte. Denn während ihre Kommunikationsabteilung die Senkung der Grunderwerbsteuer von 6,5 auf fünf Prozent mit den Stimmen von FDP und AfD noch am Freitagabend mit dem Slogan "Wir machen das Leben wieder einfacher!" feierte, dreht sich die politische Debatte in Thüringen und in der CDU einmal mehr um die Frage, ob und wo die Brandmauer zur AfD noch steht. Voigt begegnet der Kritik routiniert mit einem Dreiklang aus der Forderung nach Sachorientierung, der Versicherung, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, und dem dringenden Wunsch nach einem Themenwechsel.

"Die Leute haben die Schnauze voll von diesen politik-taktischen Spielen. Sondern, was sie wollen, ist: Dass man sich tatsächlich um ihre Sorgen kümmert", sagte Voigt am Abend der Landtagsabstimmung in der ARD. Und auch nach tagelangem Sturm in der Öffentlichkeit sieht er sich bestätigt. "Wir fragen weder die linke Minderheitsregierung um Erlaubnis, noch lassen wir die AfD entscheiden, welche Anträge wir einbringen oder nicht", sagt er der Süddeutschen Zeitung am Telefon. Die moralische Empörung insbesondere der Linkspartei ärgert ihn merklich, denn auch Rot-Rot-Grün hat im Erfurter Landtag schon von den Stimmen der AfD profitiert, als es um die Ausweitung eines Untersuchungsausschusses ging.

Dass Rot-Rot-Grün nun versuche, der CDU mit der AfD-Karte eine Zustimmung zum Haushalt abzupressen, will Voigt nicht auf sich sitzen lassen. "Bis heute haben Herr Ramelow und seine Leute nicht verstanden, dass sie keine Mehrheit haben." Ginge es nach Voigt, dann würde Thüringen von Herbst 2024 an von einer Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP regiert, wie sie in Sachsen-Anhalt vergleichsweise geräuschlos von Reiner Haseloff (CDU) geführt wird. Das Problem: In Thüringen sind die drei Parteien zusammen deutlich weiter von einer Mehrheit entfernt als die aktuelle Minderheitsregierung.

AfD-Debatten nützen nur der AfD

Sein großes Ziel sei es noch immer, die AfD klein zu kriegen, sagt Voigt, doch die ständige Brandmauer-Debatte mache sie nur stärker. Wie stark, das hat zuletzt vor allem die CDU schmerzlich erfahren, als ihr Kandidat bei der Landratswahl in Sonneberg gegen den AfD-Herausforderer verlor. Ein bundesweites Novum. In Nordhausen schaffte es der parteilose Kandidat der CDU nicht einmal in die Stichwahl für das Oberbürgermeisteramt, dort geht an diesem Sonntag der AfD-Bewerber als Favorit gegen den Amtsinhaber ins Rennen. Für die CDU sind das keine guten Vorzeichen für die Kommunalwahlen im kommenden Jahr, die sie noch vor der Landtagswahl am 1. September bestehen muss.

Dazu kommt: Voigts persönliche Beliebtheitswerte fallen noch bescheidener aus. Zuletzt rangierte Voigt bei Infratest dimap hinter Ramelow, FDP-Landeschef und Kurzzeitministerpräsident Thomas Kemmerich, AfD-Landeschef Björn Höcke und SPD-Chef Georg Maier nur auf dem fünften Platz. Dabei kennt sich der promovierte Politikwissenschaftler mit Wahlkämpfen aus, hat Bücher über politische Kommunikation geschrieben und hält an der privaten Quadriga-Hochschule eine Professur für Digitale Transformation und Politik. Im Bundestagswahlkampf 2017 beriet er die CDU zur Mobilisierungsstrategie, zwei Jahre später verantwortete er den Digitalwahlkampf der EVP.

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Dafür interessiert sich auch die Staatsanwaltschaft Erfurt. Sie ermittelt seit 2022 wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gegen den zweifachen Familienvater und prüft, ob Voigt in unzulässiger Weise Einfluss darauf genommen hat, dass ein Unternehmen aus seiner Heimatstadt Jena einen EVP-Auftrag erhielt. Voigt hat mehrfach beteuert, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen und kooperiere mit den Ermittlern. Die Staatsanwaltschaft Erfurt teilte auf SZ-Anfrage mit, man führe die Ermittlungen mit Hochdruck. Bis zur Entscheidung über eine Anklage könnten allerdings noch einige Wochen vergehen.

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