Steigende Flüchtlingszahlen:Ganz große Koalition zur Migration?

Lesezeit: 3 min

Friedrich Merz beim CSU-Parteitag mit Markus Söder - der CDU-Chef machte Kanzler Scholz ein Angebot. (Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)

CDU-Chef Merz bietet Kanzler Scholz Zusammenarbeit an und setzt die Grünen unter Druck. Habeck bereitet seine Partei auf "moralisch schwierige Entscheidungen" vor.

Von Michael Bauchmüller und Boris Herrmann, Berlin

Angesichts steigender Flüchtlingszahlen mehren sich die Stimmen für eine parteiübergreifende Zusammenarbeit beim Thema Migration. Ungefähr so dürfte Carsten Linnemann sich das gedacht haben mit seinem Vorschlag für einen Schulterschlusses, den er selbst als "historisch" bezeichnete. "Kommt, wir setzen uns an einen Tisch", hatte der CDU-Generalsekretär im Interview mit der S üddeutschen Zeitung gesagt. Es war eine Aufforderung an die Bundesregierung, gemeinsam mit der Opposition nach Lösungen zu suchen, um die irreguläre Migration zu begrenzen - etwa so wie beim Asylkompromiss im Jahre 1993. Und siehe da, plötzlich bewegt sich einiges in diese Richtung.

Linnemanns Parteichef Friedrich Merz griff die Idee umgehend auf - mit einem Angebot an Bundeskanzler Olaf Scholz. "Ich biete Ihnen an: Lassen Sie uns das zusammen machen", sagte der CDU-Vorsitzende beim Parteitag der Schwesterpartei CSU in München. "Und wenn Sie das mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen - aber wir müssen dieses Problem lösen."

Auch CSU-Chef Markus Söder erhöhte am Wochenende den Druck auf Scholz, indem er sich hinter den Schulterschluss-Vorschlag stellte. "Wir sagen 'Ja' zu einem Deutschland-Pakt gegen unkontrollierte Zuwanderung", sagte er in München - in Anspielung auf jenen Pakt, den der Kanzler unlängst im Bundestag zur Renovierung des Standorts Deutschland ausgerufen hatte.

Scholz versucht bei diesem Thema nun aus der Defensive zu kommen. Er bekannte sich am Wochenende zum Grundrecht auf Asyl. Allerdings müssten auch Flüchtende, die in Polen ankommen, dort registriert werden und ein Asylverfahren durchlaufen. "Ich möchte nicht, dass aus Polen einfach durchgewinkt wird und wir dann hinterher die Diskussion führen über unsere Asylpolitik", sagte er bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Nürnberg. Der Nachbar Polen war zuletzt in die Kritik geraten, weil polnische Konsulate angeblich gegen Schmiergeldzahlungen Visa für den Schengen-Raum erteilt hatten. Scholz sagte, die Unregelmäßigkeiten müssten aufgeklärt werden. Man wolle mit der Regierung in Warschau über diese Fragen sprechen. Je nach aktueller Lage werde man an den Grenzen "möglicherweise weitere Maßnahmen ergreifen müssen, zum Beispiel an dieser", sagt er.

Darauf bereitet sich offenbar auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor. Kurzfristige stationäre Grenzkontrollen könnten helfen, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen, sagte sie der Welt am Sonntag, vor allem in Verbindung mit Kontrollen im gesamten Grenzgebiet. "Man sollte aber nicht suggerieren, dass keine Asylbewerber mehr kommen, sobald es stationäre Grenzkontrollen gibt", fügte sie hinzu. Dafür bleibe der Schutz der EU-Außengrenzen entscheidend. Auch die Zusammenarbeit mit der Türkei in Migrationsfragen brauche ein "Update".

Viele gelangen illegal über Polen und Tschechien nach Deutschland

Hintergrund der Debatte ist - neben den Landtagswahlen in Bayern und Hessen in knapp zwei Wochen - eine stark steigende Zahl von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 204 000 Erstanträge registriert, 77 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Vor allem die Zahl Flüchtender aus Syrien, Afghanistan und der Türkei hat zugenommen. Weil sich die Fluchtrouten verändert haben, gelangen viele nun illegal über die Grenzen nach Polen und Tschechien ins Land, häufig mit der Hilfe von Schleusern. Allerdings liegt die Zahl der Flüchtenden nach Deutschland immer noch weit unter jenen mehr als 700 000 Menschen, die 2016 kamen. Der Beauftragte der Evangelischen Kirche für Flüchtlingsfragen, Bischof Christian Stäblein, beklagt einen "Abschottungsdiskurs" in Deutschland.

Dessen ungeachtet forderte auch Bijan Djir-Sarai, der Generalsekretär der FDP, eine "parteiübergreifende Lösung", er sieht dafür aber einen Problemfall in der eigenen Regierungskoalition. "Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln", sagte Djir-Sarai.

Dabei hatte für die Grünen Vizekanzler Robert Habeck seinerseits schon die Tür geöffnet. "Wenn wir nicht wollen, dass der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet, dann sind alle demokratischen Parteien verpflichtet, bei der Suche nach Lösungen zu helfen", hatte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. Dies könne auch bedeuten, "moralisch schwierige Entscheidungen" zu treffen, sagte Habeck. "Wir wissen, dass wir eine Verantwortung für den Zusammenhalt in diesem Land tragen." Und da klingt er dann schon fast wie Linnemann.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInterview
:"Kommt, wir setzen uns an einen Tisch!"

Wie CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann künftig die Rolle seiner Partei sieht, warum es noch keine Zusammenarbeit bedeutet, wenn die Union auch auf die Zustimmung der AfD setzt, und welch ungewöhnliches Angebot er der Regierungskoalition macht.

Interview von Boris Herrmann, Nicolas Richter, Robert Roßmann, Fotos: Friedrich Bungert

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: