Asylrecht:EU-Staaten einigen sich bei Asylreform

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In der Nähe der Insel Lampedusa transportiert ein Boot der italienischen Küstenwache Flüchtlinge, Touristen beobachten das Geschehen. (Foto: Cecilia Fabiano/AP)

Die sogenannte Krisenverordnung soll es ermöglichen, Flüchtlinge im Extremfall monatelang an den Außengrenzen der Europäischen Union zu internieren. Teile der Grünen reagieren empört.

Von Markus Balser und Josef Kelnberger, Brüssel/Berlin

Im Ringen um die Reform des Asylrechts in der Europäischen Union haben die Mitgliedstaaten den letzten großen Streitpunkt abgeräumt. Auf Ebene der EU-Diplomaten wurde am Mittwoch Einverständnis über die sogenannte Krisenverordnung erzielt. Diese setzt Regeln für den Fall, dass ein Land von außergewöhnlich hohen Flüchtlingszahlen betroffen ist. Geflüchtete Menschen können dann monatelang in Lagern festgehalten werden, ihre Rechte werden massiv eingeschränkt. Die deutsche Regierung hatte vergangene Woche nach einem "Machtwort" von Kanzler Olaf Scholz in Richtung der Grünen den Weg freigemacht. Nun konnten letzte Einwände der italienischen Regierung ausgeräumt werden.

In der Regierung von Giorgia Meloni war der Eindruck entstanden, die spanische Ratspräsidentschaft sei vergangene Woche mit ihrem Kompromisspapier den Deutschen zu weit entgegengekommen. Es ging vor allem um die Arbeit von privaten Seenotrettern. Letztlich einigte man sich auf kosmetische Korrekturen, worauf es der deutschen Regierung ankommt, blieb im Text, wenn auch weniger prominent: Einsätze von zivilen Seenotrettern können nicht genutzt werden, um die Krisenverordnung zu aktivieren. Nur die Regierungen von Polen und Ungarn stimmten gegen den Kompromiss, der Stimme enthielten sich Österreich, Tschechien und die Slowakei.

Was am Donnerstag beschlossen wurde, ist nicht automatisch Gesetz. Die Regierungen verständigten sich vielmehr auf ihre Position zu dem Gesetzentwurf, den die Kommission vorgelegt hat. Die Krisenverordnung ist letzter Baustein eines zehn Gesetzestexte umfassenden Asylpakets. Nun können die abschließenden Verhandlungen über das ganze Paket mit dem Europaparlament beginnen. Sie sollen vor der Europawahl abgeschlossen werden - als Zeichen dafür, dass die EU gemeinsam Mittel findet, die Zahl der in Europa ankommenden Flüchtlinge zu verringern.

Die Grünen hatten wochenlang ihr Veto eingelegt, nun bricht offener Streit aus

Die Reform soll sicherstellen, dass alle Flüchtlinge an den Außengrenzen registriert werden und eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen. Asylbewerber mit geringen Aussichten auf Erfolg können zwölf Wochen lang in Lagern festgehalten und von dort nach einem Schnellverfahren wieder abgeschoben werden. Den Fall einer "Migrationskrise" müssen die Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit (etwa zwei Drittel) feststellen. Dann könnten im Extremfall alle Geflüchteten monatelang interniert werden.

Wegen dieser harten Regeln hatten die Grünen wochenlang ihr Veto eingelegt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) erreichte keine grundlegenden Korrekturen mehr. Als Erfolg wertet sie, dass der Krisenfall nun als wirklich "außergewöhnlich" definiert werde, auch humanitäre Erleichterungen verhandelte sie in den Text. Faeser teilte am Mittwoch mit, sie sei froh, dass die Bundesregierung "ihre Vorstellungen von Menschlichkeit und Ordnung" habe durchsetzen können. Außenministerin Annalena Baerbock, grüne Wortführerin beim Thema Migration, äußerte sich ähnlich.

Bei den Grünen bricht jedoch deswegen nun offener Streit aus. Die parteiinterne Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht erklärte am Mittwoch, sie sei "entsetzt" über den Kurs der Parteispitze. Die Reform sehe eine "historisch beispiellose Verschärfung des in der EU geltenden Asylrechts vor". Entgegen den Behauptungen der Parteispitze könnten Schutzsuchende auch aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan in Lagern an den Außengrenzen eingesperrt und ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten außerhalb der EU abgeschoben werden. Das sei die "Aufgabe grüner Kernpositionen". Die Parteispitze ignoriere Parteibeschlüsse und versuche, die Basis mit "Falschbehauptung intern ruhigzustellen".

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Die Staats- und Regierungschefs der EU werden sich bei ihrem Gipfel am Freitag in Granada mit Migrationsfragen beschäftigen. Dabei dürfte auch das Abkommen mit Tunesien eine Rolle spielen. Die EU bietet dem Land insgesamt eine Milliarde Euro an Finanzhilfen an, gekoppelt an die Erwartung, dass Migranten an der Überfahrt Richtung Italien gehindert werden. Tunesiens Präsident Kais Saied scheint jedoch das Abkommen nun infrage zu stellen. Tunesien wolle keine "Almosen", sagte er zuletzt.

Die EU-Kommission teilte am Mittwoch mit, man stehe im Kontakt mit der tunesischen Regierung und werde das Abkommen weiter mit Leben füllen. Erst am Montag seien absprachegemäß 60 Millionen Euro als Wirtschaftshilfe an Tunis gezahlt worden, weitere 67 Millionen Euro, gedacht als Hilfe im Umgang mit den Migranten, sollen bald folgen. In Brüssel wird spekuliert, Saied pokere um mehr Geld, außerdem stehe er unter innenpolitischem Druck. Mitglieder der von ihm unterdrückten Opposition kritisieren, die EU zeige "kolonialistisches Verhalten". Für Ärger sorgte vor allem ein Interview des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er forderte, die EU solle neben Geld und Material auch eigene Experten nach Tunesien schicken, um die tunesische Küstenwache zu unterstützen.

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