Krieg in Israel:Israel verstärkt Druck auf Nord-Gaza

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Palästinensische Frauen gehen am Montag im Flüchtlingslager Nuseirat im zentralen Gazastreifen an Gebäuden vorbei, die bei israelischen Luftangriffen zerstört wurden. (Foto: Hatem Moussa/dpa)

Die Regierung setzt die Angriffe auf den Küstenstreifen fort und stellt nur im Süden die Wasserversorgung wieder her. US-Präsident Biden wirbt für Zwei-Staaten-Lösung. Kanzler Scholz plant Israelbesuch.

Von Sina-Maria Schweikle, Berlin

Aus Angst vor dem erwarteten Einmarsch israelischer Truppen in den Gazastreifen suchen Hunderttausende Palästinenser Schutz im Süden des abgeriegelten Küstengebiets. Etwa eine Million Menschen waren bis Montagmittag laut UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths vom nördlichen Gazastreifen in den Süden geflohen.

Die Binnenvertriebenen harren nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) unter katastrophalen Bedingungen in den Aufnahmegebieten aus. In einer am späten Sonntag veröffentlichten Erklärung heißt es, dass die Treibstoffreserven der Krankenhäuser im Gazastreifen voraussichtlich noch für etwa 24 Stunden reichen würden. Israel hatte vergangene Woche die komplette Abriegelung des nur 40 Kilometer langen und sechs bis zwölf Kilometer breiten Gazastreifens angeordnet. Israels Energieminister Israel Katz kündigte am Sonntag auf der Plattform X jedoch an, dass die Menschen im Süden des Gazastreifens wieder Wasser erhalten sollen. Die Wiederherstellung der Wasserversorgung werde dazu beitragen, dass die Zivilbevölkerung - wie von Israels Armee gewünscht - den Norden des schmalen Küstenstreifens räume und sich in den Süden bewege, schreibt Katz. Israels Militär werde die Infrastruktur der Hamas im Norden weiter zerstören. Am Montagmorgen hatte Israel angekündigt, zeitweise einen neuen "sicheren Fluchtkorridor" im Gazastreifen einzurichten.

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Während die Unstimmigkeiten über die Vorgehensweise im Gaza-Krieg immer offener zutage treten, sollen Verhandlungen über eine längere Kampfpause fortgesetzt werden. Russland und China blockieren im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zu einer Waffenruhe.

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Die Hamas und der Islamische Dschihad halten etwa 199 Geiseln fest

Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober fliegt die israelische Luftwaffe Gegenangriffe auf den Gazastreifen. Dabei wurden nach Angaben der israelischen Streitkräfte zahlreiche Einrichtungen der Hamas im Gazastreifen zerstört. Die Zahl der Toten in dem beschossenen Gebiet stieg nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza, das auch der Hamas untersteht, bis Montagmittag auf 2770. Etwa 9700 weitere Menschen seien verletzt worden.

Nach israelischen Angaben halten die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad etwa 199 Soldaten und Zivilisten, darunter auch ausländische Staatsangehörige, als Geiseln fest.

In einem Fernsehinterview mit dem amerikanischen Sender CBS sprach sich US-Präsident Joe Biden dafür aus, das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung nicht aufzugeben. Es wäre ein Fehler, wenn Israel den Gazastreifen besetzen würde, sagte Biden. Er sei zwar der Meinung, dass die Hamas vollständig eliminiert werden müsse, aber es müsse auch einen Weg zur Bildung eines palästinensischen Staates geben. Medienberichten zufolge erwägt Biden eine Reise nach Israel, um die diplomatischen Bemühungen der USA zu verstärken.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird an diesem Dienstag ebenfalls nach Israel reisen. "Das ist jetzt gerade in dieser ganz besonderen Situation für die israelische Bevölkerung und für das Land von großer Bedeutung, dass die Solidarität auch versichert wird", sagte Scholz nach der Westbalkan-Konferenz in Tirana. Es gebe aber auch konkrete praktische Fragen zu besprechen, etwa zur Sicherheitssituation und wie man eine Eskalation des Krieges etwa auf den Libanon verhindern könne. Das setze gute Gespräche auch mit vielen anderen Staaten der Region voraus, weshalb er dann nach Ägypten weiterreisen werde. "Es geht eben darum, konstant mit allen im Gespräch zu sein und eine Perspektive zu entwickeln, die solche Eskalation verhindert", betonte Scholz.

US-Außenminister Antony Blinken ist am Montag in Tel Aviv gelandet, nachdem er mit führenden arabischen Politikern über den Konflikt und die Bemühungen um humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza gesprochen hatte. Laut Blinkens Ministeriums sprach er auch bei einem Treffen mit Israels Premier Benjamin Netanjahu über humanitäre Hilfe.

Die Situation am Grenzübergang Rafah ist unübersichtlich

Wie jedoch Hilfsgüter nach und Menschen aus dem Gazastreifen gelangen können, ist bisher nicht klar. Die Situation an dem einzigen Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist unübersichtlich. Dort stehen nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur rund 2000 Tonnen Hilfsgüter, und die UN erklären sich bereit, Hilfe über Rafah in den Gazastreifen zu bringen. Der ägyptische Außenminister Samih Schukri erklärte, dass Kairo zwar Hilfslieferungen nach Gaza zulassen wolle, Israel die Öffnung des Grenzübergangs Rafah aber verhindere. Offenbar können sich die beiden Länder nicht über die Bedingungen einigen. Ägypten scheint bereit, den Übergang zu öffnen, damit Inhaber ausländischer Pässe ausreisen können, erwartet aber, dass Israel vorher Hilfslieferungen für Gaza zustimmt.

Hilfe seitens der EU hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt. Die EU richte eine humanitäre Luftbrücke nach Ägypten ein, um Hilfsgüter für den Gazastreifen bereitzustellen. Die ersten Flüge würden diese Woche stattfinden, sagt sie in Tirana. "Die Zivilbevölkerung darf nicht den Preis für die Hamas-Barbarei zahlen", fügt sie hinzu. Die EU-Kommission stelle 75 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe zur Verfügung.

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Nach Angaben eines Militärsprechers plant unterdessen die israelische Streitkraft in der Grenzregion zum Gazastreifen die nächste Phase der Verteidigungsmaßnahmen. "Natürlich ist es schwer für die Menschen im Gazastreifen, dass sie ihre Heimat verlassen müssen", sagt der Sprecher. Jedoch seien auch Hunderttausende Zivilisten in Israel auf der Flucht. Mehr als 95 Prozent seien aus dem Süden des Landes und der Nähe des Gazastreifens in Sicherheit gebracht worden. Aktuell sei man dabei, die Menschen aus der Stadt Sderot in das Zentrum des Landes in Sicherheit zu bringen. "Es fliegen weiterhin Raketen auf das Land. Zwar nicht mehr in dem Umfang wie noch zu Beginn des Angriffs, aber sie fliegen - und treffen Häuser", sagt der Sprecher.

Auch am zehnten Tag des Krieges heulte vielerorts in Israel der Raketenalarm. Dabei wurde nach Angaben der israelischen Zeitung Haaretz eine Person im Kibbuz Be'eri verletzt. In Jerusalem war die israelische Knesset mehrere Male gezwungen, ihre erste Parlamentssitzung seit der Rückkehr aus der Sommerpause zu unterbrechen.

Auch im Norden Israels müssen einige Bewohner ihre Heimat verlassen. In Israel wächst die Sorge vor einem Zweifrontenkrieg. Nach wiederholten Angriffen der pro-iranischen Hisbollah aus Südlibanon sollen Ortschaften in bis zu zwei Kilometer Entfernung zum Grenzgebiet evakuiert werden. Betroffen seien 28 Ortschaften. Am Sonntag hatte die Armee bereits einen vier Kilometer breiten Streifen im Grenzgebiet zu einer Sperrzone erklärt.

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