Nordrhein-Westfalen:"Kein Krümelchen Zweifel"

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Symbolischer Akt zu Köln: das Treffen zwischen Muslimen und Vertretern der Synagogen-Gemeinde. (Foto: Robin Teller/Land NRW)

Vertreter von vier muslimischen Verbänden besuchen die Synagoge in Köln - und beeindrucken deren Vorstand mit klaren Worten gegen den Hamas-Terror.

Von Christian Wernicke, Köln

Am Ende ist Abraham Lehrer gerührt. Der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln muss schlucken, bevor er spricht. Und er flüstert, wenn er von "der Überraschung" erzählt, die er an diesem Montagmittag erleben durfte.

Zwei Stunden währten der Rundgang durch das alte jüdische Gotteshaus und das Gespräch mit den vier wichtigsten Verbänden islamischer Religionsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen. Draußen vor dem Eingang an der Roonstraße streicht der Wind über Kerzen und Kübel voller Blumen, darüber hängen Bilder vieler israelischer Geiseln, die die Hamas seit dem 7. Oktober gefangen hält. Lehrer steht oben im ersten Stock in der Judaica, dem religiösen Lehrraum der Synagoge; seine muslimischen Gäste haben sich verabschiedet. Und Lehrer staunt: "Das ist das erste Mal, dass sich die Verbände so deutlich von der Hamas distanziert haben", sagt er. Der 69-Jährige, selbst ein Sohn von Verfolgten der Nazis, atmet durch: "Da ist kein Krümelchen Zweifel übrig geblieben - das ist für uns ein Quantensprung."

Einhellig hatten die Muslime Beileid bekundet. Und den Terror der Hamas verurteilt. "Das entspricht nicht den Muslimen, das war eine Terrorattacke", sagte etwa Durmuş Aksoy, der NRW-Chef der Ditib, die viele türkische Muslime organisiert. Alle Verbände versichern, diese Botschaft würden sie auch in den eigenen Reihen verbreiten - "nach unten" in ihre Moscheevereine, nach oben in ihre Bundesgremien. NRW wirkt momentan wie ein Leitbild des Dialogs in Kriegszeiten.

Nachhilfe in Staatsräson

Die Idee für den symbolischen Akt zu Köln war vor genau einer Woche entstanden. Da hatte die schwarz-grüne NRW-Landesregierung vier muslimische Religionsverbände zu einem Gespräch nach Düsseldorf geladen. Man könnte auch sagen: einbestellt zur Nachhilfe in deutscher Staatsräson - der Sicherheit Israels und aller Juden in Deutschland.

Bis dahin war der NRW-Staatskanzlei so manche Äußerung der Muslim-Verbände im Bundesland seit dem Beginn des Hamas-Überfalls auf Israel "zu uneindeutig" und zu lau ausgefallen. Also hatte Staatsminister Nathanael Liminski (CDU) in einem gestrengen Brief an die muslimischen Verbände klarere Kante gegen die Hamas verlangt: "Es ist für den Zusammenhalt in unserem Land von großer Bedeutung, dass auch von Ihrer Seite eine klare und unmissverständliche Distanzierung von den terroristischen Gräueltaten erfolgt", schrieb Liminski. Insbesondere die Ditib, die türkisch-islamische Religionsgemeinschaft mit enger Nähe zu Ankaras Religionsbehörde Diyanet, verwahrte sich zunächst gegen den Eindruck, "dass die islamischen Religionsgemeinschaften erst zur richtigen Positionierung ermahnt werden" müssten. Man sei doch "Teil der Lösung, nicht Teil des Problems".

Bald folgt der nächste Akt

Am Ende eines langen Gesprächs bekam Liminski Anfang voriger Woche, was er in seinem Anschreiben als "notwendige Schlussfolgerungen" verlangt hatte. Schwarz auf weiß und "uneingeschränkt" verurteilten die muslimischen Verbände die Gräuel der Hamas; gemeinsam forderten Landesregierung und organisierte Muslime, "dass die Geiseln von der Hamas unverzüglich freizulassen sind". Besonders wertvoll für die NRW-Regierung war die Absage der geladenen Muslime an antiisraelische Demonstrationen und propalästinensische Slogans: "Wir werden nicht zulassen, dass die terroristischen Angriffe der Hamas auf unseren Straßen bejubelt oder auch nur relativiert werden." Alle Teilnehmer verurteilten "aufs Schärfste den Aufruf der Hamas, jüdische Einrichtungen weltweit anzugreifen". Jegliche Form von Antisemitismus habe in NRW "keinen Platz".

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Das war die neue, eindeutige Basis für den Dialog an diesem Montag in der Kölner Synagoge. Schon am Freitag folgt der nächste symbolische Akt: Dann werden jüdische Vertreter - allen voran Abraham Lehrer - in Bochum eine Moschee besuchen. Das Gotteshaus entging vor Tagen offenbar einem Brandanschlag, an einer Tür fanden sich Davidsterne. Und ein Hakenkreuz.

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