Asylbeschlüsse:Willkommen im Niedrigleistungsland

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Das Urteil zum Nachtragshaushalt ist durchaus richtungsweisend. (Foto: Stockhoff/imago)

Bund und Länder wollen die Zahlungen an Asylbewerber künftig drei Jahre lang unter dem Existenzminimum deckeln. Warum das Bundesverfassungsgericht das für keine gute Idee halten dürfte.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Migrationspolitik ist ein Feld, in dem es auf Zahlen ankommt. Eine Zahl, nämlich die Höhe der Leistungen für Asylbewerber, soll nun gesenkt werden, damit eine andere Zahl ebenfalls kleiner ausfällt, diejenige der Schutzsuchenden in Deutschland. Das ist, kurz gesagt, ein Kernstück der Migrationsbeschlüsse, auf die Bund und Länder sich geeinigt haben: Die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber sollen künftig auf 36 statt bisher 18 Monate ausgedehnt werden, erst danach greift der Anspruch auf Bürgergeld oder Sozialhilfe. Weil aber in Flüchtlingsfragen nicht nur die Zahl, sondern auch das Recht eine relevante Größe ist, tut sich nach der langen Nacht im Kanzleramt ein Problem auf: Ist der Plan mit dem Grundgesetz vereinbar?

Dazu muss man kurz auf ein weiteres Element der Beschlüsse eingehen, auf den verstärkten Einsatz sogenannter Sachleistungen. Auch hier geht es darum, Anreize für Migration nach Deutschland zu senken, einfach dadurch, dass man für Migranten die Möglichkeit reduziert, das Geld an die lieben Verwandten zu Hause zu überweisen. Ob diese ein wenig simple Prämisse wirklich zutrifft, wird vielfach bezweifelt; nennenswerte Überweisungen fänden erst statt, wenn die Leute einen Job hätten, sagte der Migrationsexperte Maximilian Pichl dem Spiegel. Aber rechtlich dürfte hier der Spielraum groß sein. Das Existenzminimum muss gewährleistet sein, hat das Bundesverfassungsgericht 2012 entschieden. Aber ob es "durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen" gesichert werde, bleibe dem Gesetzgeber überlassen.

Zahlungen für Asylbewerber dürfen nicht als migrationspolitische Waffe eingesetzt werden

Trotzdem können Sachleistungen zum Problem werden, und zwar deshalb, weil die Berechnung der Leistungen in den einzelnen Bedarfsgruppen - Haushalt, Kommunikation, Kleidung und so weiter - schon jetzt auf Kante genäht ist, falls sie den jeweiligen Bedarf überhaupt decken. Darauf weist Sarah Lincoln hin, Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Werden die Leistungen in Geld gewährt, ist der Spielraum zum internen Ausgleich größer: Man spart bei Küchengeräten und hat mehr Geld fürs Handy. Doch je mehr Sachleistungen gewährt werden, desto weniger lassen sich Lücken stopfen.

Vor diesem Hintergrund ist die Sache mit den 36 Monaten besonders heikel. Denn das wäre eine Verdopplung der schon bisher ziemlich langen Niedrigleistungsphase von 18 Monaten. Der unverrückbare Maßstab, an dem das Gericht solche Leistungen misst, ist das menschenwürdige Existenzminimum. Das ist zwar kein für alle Zeiten festgeschriebener asylrechtlicher Urmeter. Aber es ist doch ein Mix aus verfassungsrechtlichen Wertungen (garantiert sein müssen physische Existenz und soziale Teilhabe) und statistischen Berechnungen, der es am Ende zu einer rational bestimmbaren Größe macht.

In seinem damaligen Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht es geradezu untersagt, ein Existenzminimum unterhalb des Existenzminimums zur Abschreckungswaffe zu machen. Leistungen dürfen nicht allein deshalb gesenkt werden, um "Anreize für Wanderungsbewegungen" zu vermeiden. "Die in Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren", lautet der berühmt gewordene Satz. Mehr Nein geht eigentlich nicht.

Dennoch ließ das Urteil damals Spielraum für einen migrantischen Niedrigleistungssektor, wenn auch nur streng nach dem ermittelten Bedarf. Möglich sei eine Differenzierung für Personen, "sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht".

An dieser Stelle kommt der Zeitfaktor ins Spiel. Wer nur einen kurzen Aufenthalt in Deutschland vor sich hat, muss keine Wohnung einrichten, Bedarfe dieser Art lassen sich also ausklammern. Was auch getan wird. Auf verfassungsrechtlich heikles Terrain gerät man dagegen, wenn man zum Beispiel den Bedarf für Computer und Fernseher nicht in die Bemessung der Leistung einstellt. Sie gehören zu den statistischen Abteilungen Bildung, Unterhaltung, Freizeit und Kultur, wo Asylbewerbern derzeit knapp 20 Euro gestrichen werden. Braucht diese Dinge wirklich nicht, wer vermutlich nur kurz in Deutschland bleiben wird? Oder braucht er sie umso mehr?

Menschen, die sich auf humanitäre oder politische Bleibegründe beriefen, hätten anfangs sogar einen erhöhten Informationsbedarf, argumentierte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 2021 in einem Vorlagebeschluss ans Bundesverfassungsgericht. Und zwar deshalb, "weil sie sich über die Verhältnisse in ihrem Herkunftsland auf dem Laufenden halten, aber auch über die hiesige Sprache und Kultur sowie Lebensgewohnheiten informieren möchten". Mit Computern und Fernsehern zum Beispiel.

Und selbst wenn das Verfassungsgericht dereinst all die abgesenkten Leistungen akzeptieren sollte: Spätestens bei ihrer Ausdehnung auf drei Jahre dürfte ein klares Nein folgen. Jedenfalls sei der niedrige Leistungssatz "dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten hat". Damals erlaubte das Gesetz für vier Jahre abgesenkte Bezüge, also 48 Monate - das war verfassungswidrig. Dass die nun geplanten 36 Monate noch als "Kurzaufenthalt" durchgehen, dürfte daher unwahrscheinlich sein.

Rechtsstaatlich einwandfreie Asylverfahren - lassen die sich auch im Ausland garantieren?

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat schon jetzt eine Klage angekündigt, falls dies Gesetz werden sollte. Besonders gravierend ist aus Sicht von Sarah Lincoln die reduzierte Gesundheitsversorgung. Chronische Erkrankungen würden in vielen Bundesländern während der Phase der Asylbewerberleistungen nicht behandelt. Künftig dann drei Jahre lang.

Nur in einem Satz streift das Bund-Länder-Papier eine andere Idee, von der die die Staaten derzeit europaweit angefixt sind: Lassen sich Asylverfahren in Drittstaaten auslagern? Italien hat sich gerade Albanien als Partner ausgeguckt. Ist das machbar, im Einklang mit den Menschenrechten? Jürgen Bast, Professor für Migrationsrecht in Gießen, hält dies für illusorisch. Zwar sei eine solche Auslagerung nicht von vornherein ausgeschlossen. Erste Voraussetzung sei aber die effektive Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens. "Der Zugang zum Gericht darf nicht nur auf dem Papier bestehen." Gar nicht zu reden von dem für Flüchtlinge unabdingbaren Netz an Asylanwälten und ehrenamtlichen Helfern, das in Ländern wie Albanien wohl nicht verfügbar sei. Für den europäischen Flüchtlingsschutz elementar sei nun mal der Gedanke, dass es keine Abweisung an der Grenze geben dürfe. Denn dies sei europarechtlich nun wirklich geklärt: "Pushbacks sind illegal."

Zu den guten Vorsätzen von Bund und Ländern gehören schließlich beschleunigte Asylverfahren. Drei Monate bei der Behörde, drei Monate bei Gericht. Ist auch dies illusorisch? Dazu gibt es gute Nachrichten aus Rheinland-Pfalz. Unter Führung von Lars Brocker, Präsident des dortigen Oberverwaltungsgerichts, wurden Asylklagen beim Verwaltungsgericht Trier konzentriert. Verfahrensdauer: 3,5 Monate - bei einem Bundesdurchschnitt von 17 Monaten. Erklärt wird das Wunder von Trier mit Spezialisierung und Motivation, vor allem aber mit der Möglichkeit, auf veränderte Flüchtlingszahlen aus verschiedenen Herkunftsländern rasch mit einer neuen internen Geschäftsverteilung zu reagieren. Was deutlich schwergängiger ist, wenn die Verfahren auf verschiedene Gerichte verteilt werden. Es geht also doch was in Asyl-Deutschland.

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