40-jähriges Jubiläum:Gehirnjogging auf Amerikanisch

Lesezeit: 4 min

Die Tölzer Twirlers in der Turnhalle Ascholding, wo der wöchentliche Clubabend stattfindet. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Sie wirbeln in Petticoats und Westernhemden im Viervierteltakt über bayerische Tanzflächen: Der Square Dance Club "Tölzer Twirlers" bringt seit mehr als vier Jahrzehnten Welten und Menschen zusammen.

Von Anja Brandstäter, Bad Tölz / Dietramszell

Gerhard Kafka trägt ein dunkelgraues langärmeliges Westernhemd. Neben dem Kragen sind rote Rosen aufgestickt. Kurze Ärmel wären ein Sakrileg. Am Gürtel hängt ein kleines Handtuch. "Man kommt beim Tanzen ganz schön ins Schwitzen", erzählt Kafka. Die Cowboystiefel, die er früher anhatte, passen ihm nicht mehr. Daher trägt er jetzt Halbschuhe mit Ledersohle. Gleich beginnt der wöchentliche Clubabend und die aktiv tanzenden Mitglieder üben die verschiedenen Figuren des Square Dance.

Nie würde man ahnen, dass Gerhard Kafka 80 Jahre alt ist. Das Tanzen hält ihn fit, "körperlich und geistig", wie er sagt. Er war zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern Gründungsmitglied des Tölzer Twirlers Square Dance Clubs vor mehr als 40 Jahren. "Die Amerikaner, die damals in der Flint-Kaserne stationiert waren, wollten tanzen. Square Dance war damals in Amerika ein Kulturgut", erklärt Kafka. Da hierzulande aber niemand Square Dance kannte und konnte, haben die in Bad Tölz stationierten Soldaten 1979 den ersten Kurs organisiert. Schon bald mischten sich auch Einheimische darunter und lernten die Schritte, die standardisiert sind. Die Begeisterung war übergesprungen.

Die Vereinsvorsitzende Renate Detter und der 80-jährige Schriftführer des Vereins Gerhard Kafka. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Anfangs tanzten wir noch in verschiedenen Räumen in der Kaserne, später wurde in Gasthäusern wie der Alten Schießstätte trainiert", erinnert sich Gerhard Kafka. Als der Club keinen geeigneten Tanzplatz mehr in Bad Tölz fand, zog er nach Egling in den Gasthof zur Post. Dort übten die Tölzer Twirlers bis 2021. Noch einmal mussten sie umziehen: "Seit 2022 finden die wöchentlichen Clubabende in der Turnhalle des SV Ascholding statt", sagt Kafka.

Aus der Turnhalle klingt jetzt Countrymusik. Michael Braithwaite hat bereits Lautsprecher, Mikrofon und Laptop aufgebaut. Seit 25 Jahren ist er "Caller" bei den Tölzer Twirlers. Der Caller hat eine zentrale Funktion. "Seine Aufgabe ist es, die Figuren auf Englisch anzusagen", erklärt Gerhard Kafka. Etwa zwanzig Tänzerinnen und Tänzer haben sich an diesem Mittwoch in der Turnhalle eingefunden. Die Damen in bunten Petticoats, die Herren in Westernhemden und Jeans. "Jeweils vier Paare bilden einen Square, ein Quadrat. Der Caller hat die Aufgabe, die Positionen dieser vier Paare durch Zurufen von Figuren zu verändern und sie schließlich wieder zum ursprünglichen Quadrat zusammenzufügen", erklärt Gerhard Kafka. Keiner der Tänzer weiß, was der Caller als nächstes ansagen wird. Das ist die Herausforderung und die Abfolge der Figuren geht schnell.

Caller Mickey, dessen bürgerlicher Name Michael Braithwaite lautet. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Und schon geht es los, Michael Braithwaite gibt den Tänzern die gesungenen Kommandos: "Girls in the middle", "Circle to a line" oder "Now pass the ocean". Beim Zusehen glaubt man sich schnell mitten in den Vereinigten Staaten. Die Paare wechseln im schnellen Tempo die Figuren. Alle sind gespannt, was der Caller gleich als nächstes ansagen wird. "Das ist Gehirnjogging", sagt Gerhard Kafka. Die Petticoats wirbeln in die Luft, die Paare wechseln einander, gehen auseinander, treffen wieder aufeinander, bilden Linien, Kreise oder Sterne. Es macht allen Tänzern sichtlich viel Spaß.

Später erklärt Michael Braithwaite: "Für Square Dance eignet sich Musik im Viervierteltakt". Braithwaite ist Berufscaller und hat dies jahrelang gelernt. Schon als Kind tanzte er Square Dance, kennt also alle Figuren in- und auswendig. "Wenn ich eine Figur ansage, muss ich wissen, ob die geht", sagt er. Jeden Tag ist er als Caller an einem anderen Ort, tourt durch Europa und war bereits auf der ganzen Welt unterwegs. "Es können auch Senioren im hohen Alter noch mitmachen", erklärt er. In München betreut er zwei Seniorengruppen. Seine dunkle Stimme imitiert Elvis, Harry Belafonte oder die Beatles. Dazwischen ruft er das nächste Kommando "Pass thru".

Square-Dance unter Anleitung des Callers Mickey, der nicht nur zu den Liedern singt, sondern auch seine Anweisungen der gewünschten Formation an die Tanz-Truppe weiter gibt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Wenn man anfängt, Square Dance zu lernen, benötigt man etwa ein Jahr lang, um die Basics zu können", erklärte Renate Detter. Sie ist die Präsidentin des Clubs und hat gerade das 40-jährige Jubiläum in Bad Tölz organisiert. "Wir hatten Gäste aus den USA, aus Österreich, Lichtenstein, Tschechien und aus der Schweiz", erzählt Detter. Etwa 280 Personen haben daran teilgenommen. Endlich nach der Pandemie konnten sie ihr Jubiläum am 23. September ausgiebig in der Dreifachturnhalle an der Jahnstraße nachfeiern. "Drei Caller aus den USA sind extra angereist", sagt sie. "Hat man das Grundprogramm des Square Dance einmal erlernt, kann man weltweit in allen Clubs mittanzen. Das Programm und die Sprache sind standardisiert, so dass das gemeinsame Tanzen länderübergreifend funktioniert" erklärt sie.

Das Programm und die Sprache sind standardisiert, so dass das gemeinsame Tanzen länderübergreifend funktioniert. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Geschichte des Square Dance liegt weit zurück, denn die europäischen Auswanderer haben ihre Volkstänze in die neue Welt mitgebracht: zum Beispiel importierten die Schotten ihre Reels, während die Franzosen die Contredanse, oder besser gesagt den "Gegeneinander-Tanz" mitbrachten. Damit die Auswanderer verschiedener Nationen zusammen tanzen konnten, kombinierte man die unterschiedlichen Tänze zu Figuren. Das Besondere ist jedoch die Funktion des "Callers", der während des Tanzens, die Figuren ansagt, die vorher keiner weiß. Er muss aber auch das Niveau der Tänzerinnen und Tänzer kennen. Es gibt unterschiedliche Levels, die aufeinander aufbauen. Zunächst lernt man "Basic 1". Um die 47 Figuren zu lernen, benötigt man etwa neun Monate. Darauf folgt "Basic 2", mit weiteren 22 Figuren, im Anschluss "Mainstream" mit 25 Figuren, mit "Plus" kommen nochmals 30 Figuren hinzu, bis zu "Advanced" und "Challenge" mit über 300 Figuren. "Die Sportart wurde immer beliebter, so dass es heute etwa 400 Square Dance Clubs gibt, die im Dachverband EAASDC (European Association of American Square Dancing Clubs) zusammengefasst sind. Davon befinden sich allein 35 rund um München", sagt Gerhard Kafka und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Seit 19 Uhr ist er in der Ascholdinger Turnhalle und bis 22 Uhr wird mittwochs geübt.

Immer mittwochs wird geübt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Ich habe etwas gesucht, was ich allein machen kann", sagt Eva. Sie ist dem Tölzer Twirlers Square Dance Club 2006 beigetreten. Ihr gefällt neben der Bewegung die Gemeinschaft, die jährlichen Fahrten nach Tirol zum Wandern oder die Grillfeste. Der Tölzer Twirlers Square Dance Club freut sich schon auf nächstes Jahr, denn dann wird Ted Lizotte aus den USA als Caller nach Bayern kommen. Zusammen mit Michael Braithwaite gestaltet er ein "Fun-Dance" Abend im Gasthof Jägerwirt in Aufholen. "Und auch wegen der besonderen Veranstaltungen mit internationalen Gästen, ist das Clubleben bei den Tölzer Twirlers etwas Besonderes", sagt Gerhard Kafka.

Mehr Informationen unter www.toelzer-twirlers.de

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTradition in Bayern
:Zug um Zug

Das Fingerhakeln gibt es als Sportart nur im Alpenraum. Wer macht das und warum? Zu Besuch in einer ganz besonderen Welt.

Von Claudia Koestler und Manfred Neubauer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: