Anschlagsversuch am Times Square:Der Feind im eigenen Haus

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Lange hatten die USA geglaubt, die Terrorgefahr komme aus dem Ausland - das erweist sich jetzt als Irrtum: "Homegrown Terrorists" sind zwar weniger schlagkräftig als Al-Qaida-Schergen, aber schwer aufzuspüren.

C. Wernicke

Faisal Shahzad wähnte sich in Sicherheit. Vielleicht hat der 30-jährige Mann mit den tiefbraunen Augen und dem sanften Lächeln sogar einen Stoßseufzer ausgestoßen, als er im Rücken diesen leisen Ruck verspürte: Endlich, die Boeing 777 bewegte sich; eine Zugmaschine am John F. Kennedy-Airport von New York City schubste den Langstrecken-Jet langsam rückwärts. Es schien, als habe Emirates-Flug EK 202 mit Ziel Dubai endlich begonnen.

Eine Überwachungskamera zeigt den mutmaßlichen Attentäter Faisal Shahzad vor dem Geländewagen. (Foto: Foto: AFP)

Doch das Glück des Faisal Shahzad währte nur einen Augenblick: Plötzlich stoppte die Maschine, und über Lautsprecher kündigte der Pilot die Rückkehr zum Gate an. Träge robbte sich die Passagierbrücke wieder ans Flugzeug, dann ging alles sehr schnell: FBI-Beamte überrumpelten Shahzad, legten ihm Handschellen an und führten den mutmaßlichen Terroristen ab.

"Eine Sache von Sekunden"

Es sei, so heißt es am Dienstagmorgen aus dem US-Justizministerium, "eine Sache von Sekunden" gewesen. Faisal Shahzad wäre also beinahe entkommen. Nach Islamabad wollte er, per Zwischenstopp in Dubai. Aber Flug EK 202, planmäßiger Abflug 23 Uhr Ortszeit, hatte dreißig Minuten Verspätung, und so gelang der Zugriff.

Kurz vor Mitternacht begann das erste Verhör, punkt 12.05 Uhr wurde in Washington dann Präsident Barack Obama informiert. Noch am Dienstag sollte Shahzad einem Richter vorgeführt und angeklagt werden - wegen Mordversuchs und Gebrauchs einer "Massenvernichtungswaffe". Gemeint ist damit sein Auto, eine Geländelimousine vom Typ Nissan Pathfinder. Den angerosteten SUV, so viel gestand er bereits, hatte Faisal Shahzad eigenhändig ins Herz Manhattans gesteuert und am frühen Samstagabend am Rand der 45. Straße nah der Ecke zum Times Square abgestellt. Während er davonrannte, kokelten im Wageninnern Kartons und Sitzpolster.

"Amateurhaft"

Zwei Straßenhändler, Vietnamveteranen und jetzt Amerikas jüngste Helden, entdeckten den Schwelbrand und alarmierten die Polizei. Bombenspezialisten entschärften den Brandsatz, der über allerlei Drähte und einen bunten Wecker drei Propangasflaschen und zwei große Benzinkanister hätte zur Explosion bringen sollen.

"Amateurhaft" lautete das frühe Urteil über die Arbeit des unbekannten Attentäters. Zwar bezichtigte sich schnell eine Gruppe pakistanischer Taliban der Tat - aber die hätten wohl kaum kiloweise einen Dünger ins Heck des Pathfinders gestopft, der völlig harmlos war.

Über die Tatwaffe, das Auto, sind die Behörden dann Shahzad auf die Spur gekommen. Im Nissan fanden sich zahllose Fingerabdrücke - und die passten exakt zu denen, die der geborene Pakistaner hatte abgeben müssen, als er im April 2009 eingebürgert wurde.

Autobombe in New York
:Der erste Verdächtige

Besitzer des "Bombenautos" gefasst: Nach dem missglückten Autobombenanschlag auf dem Times Square in New York hat die Polizei den ersten Verdächtigen festgenommen. In Bildern.

Der Täter lebte im Städtchen Bridgeport in Connecticut, wo er mit seiner Frau und zwei Kindern ein bescheidenes Apartment bewohnte. Mit einem Foto aus der Einbürgerungsakte ging ein Polizist auch zu der jungen Frau, die Shahzad vor drei Wochen den Nissan für 1800 Dollar in bar verkauft hatte: "Ja, der war's."

Autobombe in New York
:Der erste Verdächtige

Besitzer des "Bombenautos" gefasst: Nach dem missglückten Autobombenanschlag auf dem Times Square in New York hat die Polizei den ersten Verdächtigen festgenommen. In Bildern.

In New York aufgespürt haben die Behörden den Flüchtigen dann über seine Handynummer. Shahzad schwört, er habe allein gehandelt, als "einsamer Wolf".

Die Festnahme schürt die Angst der Amerikaner, dass der Feind nicht mehr nur fern am Hindukusch steht, sondern längst unter ihnen lebt, gleich nebenan. "Homegrown Terrorists", also daheim aufgewachsene und radikalisierte Gewalttäter, hatten die US-Behörden sehr lange für ein typisch europäisches Problem gehalten. Die Söhne pakistanischer Einwanderer in Großbritannien, die Enkel arabischer Immigranten in Frankreichs Vorstädten entsprachen diesem Täterprofil.

Intergrierte und patriotische Muslime

Am 11. September 2001 hatten schließlich Fremde zugeschlagen, während etwa die blutigen Bombenanschläge auf Londons U-Bahn im Juli 2005 das Werk von Mitbürgern waren. Die ungefähr sechs Millionen amerikanische Muslime, so bestätigten auch Sozialwissenschaftler, seien besser integriert und patriotischer als ihre Glaubensbrüder in der Alten Welt.

Doch dieses zart gemalte Selbstbild ist zerbrochen. Das Blutbad des Armee-Majors Nidal Hasan, der im November 2009 in Fort Hood 13 Kameraden erschoss, war nur schwer mit dieser Theorie zu erklären. Und zuvor waren schon andere aufgeflogen, die nicht aus der Fremde kamen. David Coleman Headley etwa, der unscheinbare Familienvater aus Chicago, der mehrmals nach Pakistan und Indien gereist war, um als Drahtzieher das islamistische Massaker von Mumbai 2008 zu planen.

Oder Najibullah Zazi, der 25-jährige Busfahrer aus Denver, den das FBI mit einer fast fertigen Bombe ertappte, die er - nach Schulung in einem Al-Qaida-Lager in Pakistan - für einen Anschlag auf die New Yorker Subway gebastelt hatte.

Misstrauen wächst

Insgesamt 30 solche "hausgemachte Terrorverschwörungen" hat Brian Jenkins, Experte im Think-Tank der Rand Corporation, nach dem 11. September 2001 gezählt - und zehn davon kamen allein 2009 ans Tageslicht. Ein Trend, den er bei einer Anhörung vor dem Senat im vergangenen Dezember offenlegte. Jetzt, am Dienstagmorgen, sieht sich Jenkins bestätigt: "Faisal Shahzad entspricht ziemlich genau dem typischen Profil."

Dazu würde auch passen, dass Shahzad offenbar nicht von al-Qaida und dem Terror-Paten Osama bin Laden ferngesteuert wurde. Solche Einzeltäter oder Kleingruppen seien zwar weniger schlagkräftig als Al-Qaida-Schergen, aber - so ein FBI-Experte - "es ist deshalb auch viel schwerer, sie aufzuspüren oder zu infiltrieren."

Das schürt Angst. Und Misstrauen. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg warnte deshalb am Dienstag vorsorglich vor Übergriffen "gegen muslimische Mitbürger oder Pakistaner". So etwas widerspreche dem Geist seiner Stadt.

© SZ vom 05.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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