Regierung schönt Bericht:Mit Botox gegen Armutsfalten

Armutsbericht weichgespült

Ein obdachloser Mann auf dem Raschplatz in Hannover. Die Bundesregierung hat den Armutsbericht geschönt.

(Foto: dpa)

Der Entwurf des vierten Armuts- und Reichtumsberichts kam noch bemerkenswert ungeschminkt daher. Dann bekam FDP-Chef Rösler das Papier in die Finger. Jetzt ist weggespritzt, was hässlich ist. Schöner hat das den Bericht nicht gemacht.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Männer machen es, Frauen auch - wenn die ersten Falten über die Stirn ziehen wie Furchen über den Acker, dann kommt oft die Botox-Spritze zum Einsatz. Ob das gut ist, muss jeder selber wissen. Blöd nur, wenn es auffällt. Wenn den Kollegen an einem Tag noch ein faltiges Lächeln entgegenfällt und ihnen am anderen Tag derselbe Mensch mit babyglatter Haut entgegenkommt - dem nur leider das Lächeln schwerfällt. Das ist dann: peinlich.

Genau so hat es die schwarz-gelbe Koalition jetzt gemacht. Mitte September gaben Beamte des Arbeitsministeriums ihren Entwurf für den vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung in die Ressortabstimmung.

Ein völlig normaler Vorgang zunächst. Alle "Berichte der Bundesregierung" müssen von allen Ministern und der Kanzlerin abgesegnet sein. Die Bundesregierung soll schließlich mit einer Stimme sprechen. Wenn es unterschiedliche Wahrnehmungen von derselben Sache gibt, muss eine Einigung her.

Dummerweise ist der Entwurf öffentlich geworden. Das passiert zwar auch regelmäßig. In diesem Fall aber überraschte eines: wie ungeschminkt die Verteilung von Vermögen und Einkommen von den Beamten der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) beschrieben wurde.

Die Autoren stellten etwa fest: "Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen." Dies verletze "das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung" und könne "den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden".

Den anderen Ressorts, vor allem dem von FDP-Chef Philipp Rösler geführten Wirtschaftsministerium, war das offenbar ein zu wahres, ein zu faltiges Bild von Deutschland. Es sollte glatter sein, schöner. Irgendwie gepflegter.

So wie in den Reiseprospekten. Das Hotel steht direkt neben der sechsspurigen Autobahn? Dann steht es halt verkehrsgünstig. Der Strand lässt sich nur vom Flurfenster aus vage erspähen? Immerhin Meerblick.

So wird schöngespritzt und schöngebotoxt, was es an hässlichen Falten nicht geben darf. Sinkende Reallöhne in den unteren Einkommensgruppen? Das ist jetzt ein "Ausdruck struktureller Verbesserungen" am Arbeitsmarkt.

Die Opposition geht dagegen auf die Barrikaden, spricht von Fälschung und Vertuschung.

Nein, eine Fälschung ist es nicht. Vertuschung aber schon. Und das sogar im Wortsinn. Als größter Vertuscher in dieser Sache muss jetzt Rösler gelten. Die Schönheitsoperation könnte ihm noch gefährlich werden. In seinem Heimatland Niedersachsen steht er mitten im Wahlkampf. Ende Januar wird dort gewählt. Die FDP liegt bei zwei bis drei Prozent in den Umfragen. Fliegt sie dort aus dem Landtag, fliegt Rösler aus seinem Amt. Da kann er es sich eigentlich nicht leisten, als kaltherziger Schönfärber dazustehen.

Dennoch bleibt der Bericht lesenswert. Auf weit mehr als 400 Seiten beschreibt er in Zahlen und Statistiken die ärmliche Lebenswirklichkeit zu vieler Menschen in diesem Land. Die Daten sind so eindeutig, dass auch trotz der geschönten Passagen klar wird: Arme werden immer ärmer, Reiche immer reicher.

Die Falten sind weg. Aber schöner ist das Gesicht dadurch nicht geworden.

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