SZ am Gardasee:Lago di Monaco

Riva del Garda: Gardasee / Lago di Garda

Hier beginnt der Urlaub: der Aussichtspunkt oberhalb von Riva, Pflichthalt für alle Münchner, die über Rovereto kommen

(Foto: Johannes Simon)

Die Münchner lieben ihre Badegewässer. Besonders aber den südlichsten aller Seen, der weit über den Landesgrenzen liegt: Eine Reise zum Gardasee. Eine Woche lang wird die SZ von dort berichten.

Von Dominik Hutter

Treffpunkt am alten Hafen von Malcesine. Wo auch sonst? Der See plätschert sanft an die Mole, auf der kleinen Piazza vor der Trattoria werden Pasta und Wein serviert - da lässt es sich gut warten, bis auch die anderen aus München angerauscht sind. Das dauert ziemlich lange an diesem Abend. Auf der Brennerautobahn hat es einen Unfall gegeben, die Bekannten haben Verletzte betreuen müssen. Als alle da sind, mit ihren vielen Surfbrettern, Schlauchbooten und Katamaranen, gibt es erst einmal viel zu erzählen - un altro mezzo di vino, per favore. Die Gruppe ist wieder beisammen. Morgen geht es raus auf den See. Den allmorgendlichen Nordwind ausnutzen.

Die Szene spielt in den späten Siebzigerjahren. Da kostete die Käsesemmel in der Bretterbude am Strand tausend Lire, die Nummern auf den Windsurf-Segeln waren dreistellig und in den Gassen von Verona wurden noch Autos geknackt. Der Gardasee aber war auch damals schon das, was viele Münchner bis heute in ihm sehen: das südlichste Erholungsgebiet ihrer Stadt. Der Lago di Monaco. Viereinhalb Stunden Fahrt, über den Nago-Pass und dann steil hinunter gen Torbole, das tiefdunkle Blau der Wasserfläche schon im Blick - Italien beginnt hinterm Irschenberg. Ein Berliner wäre jetzt erst auf Höhe Nürnberg.

Schon Thomas Mann und der FC Bayern nächtigten am See

Und die Münchner nutzen ihren geografischen Vorsprung schamlos aus, seit Langem schon: Thomas Mann nächtigte im noblen Hotel Lido in Riva, Jahrzehnte später folgten ihm die Spieler des FC Bayern an dieselbe Adresse. Der Schriftsteller Paul Heyse ließ oft monatelang sein Haus in der Maxvorstadt im Stich, um den Winter in seiner Villa in Gardone zu verbringen. Dort schrieb er die "Novellen vom Gardasee".

Inzwischen sind auch Kurztrips an den Gardasee möglich, dessen Nordende zu den Alpen, der breite Süden hingegen schon zur Po-Ebene gehört. Die Brennerautobahn, die mancher Lago-Fan besser kennt als die Straße zum Feringasee, macht's möglich. Wem die pastellfarbenen Häuschen mit ihren vielen Fensterläden nicht vertraut genug erscheinen, der kann sich in bayerisch dekorierten Kneipen oder Fleischparadiesen wie der "Speckstube" in Malcesine trösten. Dort gibt es Schweinshaxe und Würstl, die Gäste holen sich ihr Bier selbst an der Schänke und sitzen auf rustikalen Holzbänken. Man spricht deutsch - nicht überall, aber doch immer wieder. Die gut 130 000 Einwohner sind es gewohnt, seit sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Deutschen erstmals in Massen und mit kochenden Motoren über den Brenner quälten. Damals noch auf der Landstraße, über Matrei, Gries und Gossensass.

Im Winter hat der See einen besonderen Zauber - ohne Touristenmassen

Längst wohnen viele Münchner dauerhaft am See, der abseits der Saison seinen ganz besonderen Zauber hat. Wenn die Hotels dicht und die Dörfer wieder Dörfer sind, wirkt die tief verschneite Brenta-Gruppe hinter der Scaligerburg von Malcesine wie ein Gemälde aus der Kitschabteilung. Dann kann es passieren, dass einem ein gut gelaunter Wirt eine Flasche Wein in die Hand drückt, einfach so als Geschenk. Die Parkautomaten sind eingemottet, und in den menschenleeren Gassen wird plötzlich nur noch italienisch gesprochen.

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Bis 1919 war das Nordufer ein Teil Österreichs, auf "Google Earth" sind Riva und Torbole erstaunlicherweise unter ihren alten, kaum bekannten Namen aufgeführt: Reiff und Turbel, Badeparadiese der untergegangenen K-&-K-Monarchie. Heute teilen sich drei italienische Regionen den größten See Italiens. Der Nordteil gehört zum Trentino, das Westufer mit Salò zur Lombardei und der Osten mit Garda und Bardolino zum Veneto. Die administrative Dreiteilung erschwert die gemeinsame Vermarktung.

Auf dem See fanden sogar Schlachten statt

Im Vergleich zu den Problemen früherer Zeiten ist das freilich gar nichts. Im 15. Jahrhundert fand zwischen den damaligen Rivalen Mailand und Venedig eine veritable Seeschlacht auf dem Gardasee statt. Die Vorgeschichte erinnert an Fitzcarraldo im gleichnamigen Film des Münchner Regisseurs Werner Herzog. Denn die Venezianer, denen der südliche Zugang zum See versperrt war, navigierten damals Teile ihrer Flotte auf der Etsch nordwärts und schleppten sie über den Nago-Pass bis nach Torbole.

In etwa auf dieser Route transportieren heute auch die Münchner ihre beachtliche Flotte an Wasserfahrzeugen gen Lago. Zwar prangen am Gardasee überall Paulaner- oder Augustiner-Schilder, es gibt eine Brauerei in Manerba, die Weißbier mit deutschen Zutaten produziert. Einen Ballermann-Ruf aber hatten Garda und Co. noch nie. Die Münchner segeln, surfen, schwimmen, paddeln und klettern lieber. Wenn sie nicht gerade italienische Antipasti schlemmen, mit Sprizz den Abend einleiten, Tennis spielen oder Oliven ernten. Kinder wollen ins "Gardaland", Altphilologen zieht es zu den Grotten des Catull in Sirmione, die eigentlich eine römische Villa sind.

Die einzigen ihrer Art sind sie dabei nie: Die vielen M-Kennzeichen auf den Uferstraßen Gardesana Occidentale und Gardesana Orientale sind Legende, und wer auch im Urlaub über Staus am Luise-Kiesselbach-Platz informiert sein will, kann im Sommer am Gardasee Antenne Bayern im Autoradio empfangen. Seit 20 Jahren erscheint in Verona die deutschsprachige Gardasee-Zeitung mit Infos und Terminen aus den Orten zwischen Riva und Peschiera. Im März präsentierte sich das Redaktions-Team auf der Messe "Free" in Riem, für Lago-Aficionados (falls eine solche Wortschöpfung zulässig ist) liegen einige Exemplare in einem Feinkostladen in den Fünf Höfen aus.

Münchner Kulturfreunde fahren Busseweise nach Verona zu den Opernfestspielen

Auch Verona, ganz nah am Gardasee gelegen und aus nördlicher Perspektive "die erste echt italienische Stadt", pflegt ein spezielles Verhältnis zu München. Seit 1960 besteht eine offizielle Städtepartnerschaft. Die Veroneser Sparkasse hat deshalb eine Figur der Julia gestiftet, die etwas versteckt am Turm des Alten Rathauses am Marienplatz steht. Vor allem bei Münchner Opernfans hat die Stadt auf der anderen Seite der Alpen einen festen Termin im Kalender - auch wenn die Akustik in der antiken Arena viel angreifbarer ist als die in der Philharmonie am Gasteig. Zu den Opernfestspielen in Verona startet in München regelmäßig eine Bus-Armada, das Festival zählt aber auch zu den klassischen Ausflugszielen vom Gardasee aus.

Wenn es abends nach der Oper dann heimgeht zum Lago, ist das fast wie heimkommen. Die Reisegruppe aus den Siebzigerjahren musste sich damals allerdings erst auf die Suche nach der nächsten Polizeistation machen. Auf dem Beifahrersitz, wo am frühen Abend der Fotoapparat vergessen wurde, lag stattdessen ein Haufen Glassplitter aus der Seitenscheibe. Derlei ist heute fast so unwahrscheinlich wie daheim im sicheren München. Schon weil in den Altstadtgassen inzwischen Autofahren verboten ist.

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