Sanierung der Residenz:Wunden heilen im "Saal der Rache"

Seit 2008 wird der Königsbau Ludwigs I. mit großem Aufwand restauriert, im nächsten Jahr soll der Komplex wiedereröffnet werden

Von Wolfgang Görl

Etzels Klage" lautet der Titel des Freskos, und tatsächlich hat Hunnenkönig Etzel allen Grund, ganz entsetzlich zu jammern, und zwar nicht nur wegen der vielen Toten nach dem Gemetzel an seinem Hof. Feuchtigkeit hat dem Herrscher aus dem Nibelungenlied stark zugesetzt, aber mehr noch dem Kämpfer neben ihm; bei ihm ist die Putzschicht, auf der einst sein Waffenrock abgebildet war, komplett abgeplatzt. Statt des satten Blaus ist nur noch eine weiße Fläche zu sehen. Auf dieser aber sind schon die Konturen gezeichnet, die den Recken wieder zu einem ordnungsgemäßen Gewand samt Schwert verhelfen werden - so wie es der Maler Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872) gestaltet hat. Der Mann, der Schnorrs Werk wieder aufpoliert, heißt Peter Siebert. Er ist Restaurator, und die Münchner Residenz ist praktisch sein zweites Zuhause.

Derzeit arbeitet Siebert im "Saal der Rache", der zu den Nibelungensälen des Königsbaus gehört. "Etzels Klage" ist vor allem deshalb so ramponiert, weil nahe dem Fresko ein Kupferrohr in der Mauer steckt, durch welches das Regenwasser vom Dach zu Boden sickert. Das Rohr ist offenkundig undicht, weshalb Wasser in die Wände dringt, das den Putz angreift oder Salzausblühungen verursacht. Siebert sitzt zur Arbeit auf einem Stahlgerüst, vor sich hat er ein Foto aus den 1940er Jahren, welches das Fresko noch unversehrt zeigt. Er malt mit den gleichen Pigmenten wie zu Zeiten Schnorrs, nur die Bindemittel sind andere. Mit dem Pinsel trägt er kleine farbige Striche auf die schadhaften Stellen auf, keineswegs geht es ihm darum, das Original so exakt wiederherzustellen, als wäre es nie beschädigt gewesen. "Wir sind nicht der Künstler, wir retuschieren nur", sagt Siebert. Für einen Experten, der das Fresko aus der Nähe betrachtet, soll sichtbar bleiben, wo ausgebessert wurde. Wer aber das Bild mit dem üblichen Abstand betrachtet, wird die Strichretuschen nicht bemerken.

Was Siebert und seine Kollegen im "Saal der Rache" treiben, ist Teil eines gewaltigen Sanierungsprojekts, das sich über Jahrzehnte hinzieht. Im Grunde ist die Residenz, das gewaltige Stadtschloss der Wittelsbacher und von 1508 bis 1918 Wohn- und Regierungssitz der bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige, eine ewige Baustelle. Ist man in der einen Ecke fertig, kann man in der anderen wieder von vorne anfangen. Die Ursprünge der Residenz liegen im ausgehenden 14. Jahrhundert, als die bayerischen Herzöge in der Nordostecke des Münchner Befestigungsrings eine Fluchtburg errichteten, die von Mauern und Wassergraben umgebene Neuveste. Stufenweise erfolgte der Ausbau zu einer weitläufigen, um mehrere Höfe gruppierten Palastanlage.

Zu den eindrucksvollsten Räumen der Residenz gehört das Antiquarium, ein 66 Meter langer Renaissancesaal, den Herzog Albrecht V. zwischen 1568 und 1571 für seine Sammlung antiker Skulpturen bauen ließ. Das Antiquarium ist der älteste erhaltene Raum der Schlossanlage. Unter Herzog Wilhelm V. wurde das Innere des Antiquariums noch prachtvoller ausgestaltet, es entstand der märchenhafte Grottenhof mit seinem muschelbestückten Brunnen.

Wilhelms Sohn, Herzog Maximilian I., von 1623 an Kurfürst, veranlasste ebenfalls eine ganze Reihe von Um- und Neubauten, unter anderem ließ der fromme Fürst die Hofkapelle und die Reiche Kapelle errichten, auch die Westfassade an der heutigen Residenzstraße, die Kaiserhoftrakte und der Hofgarten gehen auf seine Regentschaft zurück. Unter Maximilian erreichte die Residenz in etwa die heutigen Dimensionen, gebaut wurde aber fleißig weiter. Maximilians Nachfolger setzten ihre Duftmarken in Gestalt neuer Pracht- und Repräsentationsräume, ein besonders attraktives Prunkstück war das höfische Opernhaus, das François Cuvilliés d. Ä. Mitte des 18. Jahrhunderts im Auftrag des Kurfürsten Max III. Joseph im feinsten Rokoko-Stil konzipierte.

Der Königsbau wiederum war eines der großen Architekturprojekte König Ludwigs I., der bereits kurz nach seinem Regierungsantritt im Jahr 1825 den Architekten Leo Klenze mit der Planung beauftragte. Klenze, ebenso wie Ludwig ein Bewunderer Italiens und der Renaissance, gestaltete den weitläufigen Wohnpalast im südlichen Teil des Residenzgevierts unter anderem nach dem Vorbild der Florentiner Palazzi Pitti und Rucellai.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs schien die Residenz für immer verloren zu sein. Die Bombenangriffe von März und April 1944 hatten den Schlosskomplex fast vollständig in Schutt und Asche gelegt. So gut wie alle Dächer waren zerstört, die hölzernen Dachstühle verbrannt, die Gewölbe durchschlagen, auch die beiden Theater lagen in Trümmern. Einen kleinen Lichtblick aber gab es: Nach den ersten, noch nicht so verheerenden Fliegerattacken war die Bayerische Schlösserverwaltung so schlau gewesen, einen Großteil des beweglichen Inventars in Sicherheit zu bringen und den Baubestand zu dokumentieren. Das war eine wichtige Voraussetzung für den mehrere Jahrzehnte dauernden Wiederaufbau, bei dem sich Rudolf Esterer, der damalige Präsident der Schlösserverwaltung, und Otto Meitinger als Bauleiter große Verdienste erwarben. Mit der Eröffnung der rekonstruierten Allerheiligen-Hofkirche im Jahr 2003 war diese Phase weitgehend abgeschlossen.

Damals war man schon seit geraumer Zeit dabei, einige der nach dem Krieg rekonstruierten Gebäudeteile zu sanieren. Den Anfang machten die Bauexperten im Antiquarium, der spektakulären Renaissance-Halle voller Büsten und Skulpturen aus der Antikensammlung Herzog Albrechts V., unter deren Tonnengewölbe sich groteske Mischwesen antiken Stils ebenso tummeln wie sittlich einwandfreie Damen, die als Allegorien der Tugenden auf die Wand gemalt sind. All diese Herrlichkeiten waren schwer gefährdet.

"Es gab dramatische Schäden", erzählt Hermann Neumann von der Bauabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung. Undichte Stellen und klimatische Einflüsse hatten den Wandmalereien zugesetzt, die Technik aus der Wiederaufbauzeit war veraltet und zum Teil marode, die Elektrik, die Heizung, die Lüftung, die Brandschutzeinrichtungen mussten modernisiert werden. Was Neumann für die nach fünfjähriger Werkelei abgeschlossene Sanierung des Antiquariums sagt, gilt auch für die Arbeiten im Königsbau: "Wir müssen immer zweigleisig fahren." Zum einen geht es darum, das, was Architekten, Maler und andere Künstler geschaffen haben, zu bewahren und gegebenenfalls wieder aufzumöbeln, und zum anderen muss die technische Ausstattung auf den neuesten Stand gebracht werden.

Dass der Königsbau am Max-Joseph-Platz runderneuert wird, merkten die Münchner spätestens Anfang 2008. Damals rüsteten Bauarbeiter die bis zu 30 Meter hohe Fassade des Klenze-Baus ein, um das Gemäuer aus Abbacher Grünsandstein zu sanieren. Wer rechtzeitig von der Generalsanierung erfuhr, war gut beraten, sich den Königsbau samt den Appartements Ludwigs I. und seiner Gattin, Königin Therese, dem Thronsaal, den Nibelungensälen sowie der Porzellansammlung noch einmal anzuschauen. Im Februar 2008 wurden die Tore geschlossen, seitdem bevölkern Baufachleute, Techniker, Stuckateure, Restaurateure und andere Fachleute Ludwigs Palazzo.

Einer von ihnen ist der Diplom-Restaurator Stefan Lochner, der gemeinsam mit seiner Kollegin Eva Höfle an Schnorrs Gemälde "Kampf an der Stiege" im "Saal der Rache" arbeitet. Auch diesem Fresko aus dem Nibelungenzyklus haben Feuchtigkeit, Nikotin, Ausdünstungen und der Staub der Jahrzehnte erheblich zugesetzt. Um den Farben wieder den ursprünglichen Ton zurückzugeben, sind mehrere Reinigungsschritte erforderlich. Zunächst haben Höfle und Lochner das Gemälde mit einem Trockenschwamm bearbeitet, der ungefähr wie ein Radiergummi wirkt. Im zweiten Gang kommt ein leicht feuchter Mikroporenschwamm zum Einsatz, der die verbliebenen Verschmutzungen entfernt. Schließlich werden an heiklen Stellen Ammoniumkarbonat und mineralische Kompressen aufgetragen, um die Feuchtigkeit herauszuziehen. Es ist eine Arbeit, die Geduld, Fingerspitzengefühl und jede Menge Erfahrung erfordert, eine Arbeit für Spezialisten.

Ein solcher ist auch der Kirchenmaler Ferdinand Hausinger, der seit rund zwei Jahren in den Nibelungensälen des Königsbaus seine Kunst ausübt. Im Augenblick ist er dabei, den gemalten Rahmen eines Freskos aufzufrischen. Die Farbe ist verblasst, Hausinger zieht die schmale Linie mit einem dunklen Violett nach. Das ist keine Aufgabe, die einen Künstler zu kreativen Höhenflügen inspirieren würde. Die wären auch fehl am Platz. Hausinger muss akribisch den Linien folgen, welche die Maler vor rund 150 Jahren gezogen haben.

"Die Restaurierung der Nibelungensäle geht gerade in die letzte Phase", sagt Hermann Neumann. Die Raumflucht, in der Julius Schnorr von Carolsfeld die tragische Geschichte von Siegfried, Gunther, Kriemhild, Etzel et alii malerisch erzählt, ist auch jetzt, da einige Säle noch mit Gerüsten und Baukram vollgestellt sind, höchst beeindruckend. Allerdings müssen sich die Münchner und alle anderen Kunstinteressierten noch gedulden, bis sie den famosen Freskenzyklus wieder bewundern können. Voraussichtlich im ersten Halbjahr 2018 wird der Königsbau wieder geöffnet, in dessen Sanierung der Freistaat rund 38 Millionen Euro gesteckt hat. Dann wird auch der Umbau der einstigen Werkstatträume fertig sein, die künftig als Ausstellungsflächen dienen. Erlesene Dinge werden da auf vier Ebenen zu sehen sein: festlich gedeckte Tafeln beispielsweise, mit allem Pomp und Zierlichkeiten, wie sie fürstliche Gesellschaften vergangener Epochen liebten; dazu die Porzellansammlung und die Miniaturenkollektion der Residenz.

Noch etwas länger, vermutlich bis 2019, wird es dauern, bis das "Missing link zwischen der Residenz der Spätrenaissance und der des 19. Jahrhunderts" (Neumann) fertig ist. Es ist die ebenfalls im Krieg zerstörte "Gelbe Treppe", ein spektakulärer Aufgang unter einer steilen Halbkuppel. Die Treppe war zu Zeiten König Ludwigs I. Kulisse einer Herrschaftsinszenierung, an der jeder teilzunehmen hatte, dem eine Audienz beim Monarchen gewährt worden war. Der Weg zum König begann im Brunnenhof, von wo aus der Besucher zunächst in den Schwarzen Saal aus dem frühen 17. Jahrhundert gelangte. Von dort betrat er die Gelbe Treppe, die zu einem von Karyatiden, weiblichen Trägerskulpturen, flankierten Portal führte, über dem Ludwigs Wahlspruch "Gerecht und beharrlich" prangte. Beim Wiederaufbau hatte man auf die Prunktreppe verzichtet, jetzt aber ist genug Geld vorhanden - drei Millionen Euro von der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung, drei Millionen vom Freistaat -, um das Versäumnis nachzuholen. Hermann Neumann verspricht: "Das wird eines der Glanzlichter der Residenz."

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