TU München:Wissenschaft im Dienst der Nazis

TU München: 17 Hochschullehrer verloren aus rassistischen oder politischen Gründen ihre Arbeit. Eine Ausstellung stellt sie und ihre Schicksale vor.

17 Hochschullehrer verloren aus rassistischen oder politischen Gründen ihre Arbeit. Eine Ausstellung stellt sie und ihre Schicksale vor.

(Foto: Jens Weber)

Eine Sonderausstellung im NS-Dokumentationszentrum zeigt, wie tief Forscher an der Technischen Hochschule in die Verbrechen verstrickt waren - und wie sehr der Zweite Weltkrieg zum Teil von Professoren verherrlicht wurde.

Von Jakob Wetzel

Was Heinz Henseler erforscht hat, klingt erst einmal wenig verdächtig. Der Mann war Professor für Tierzucht an der Technischen Hochschule (TH) München, der heutigen Technischen Universität (TU), und was kann an Milchkühen schon problematisch sein, an Schweinen, Schafen, Hunden und Hühnern? Und doch zeigt sich gerade an Heinz Henseler beispielhaft, wie sehr die TH vom Ungeist der Nazis erfasst und wie tief sie in deren Verbrechen verstrickt gewesen ist.

Henseler leitete von 1940 an ein neues "Kolonialwissenschaftliches Seminar". Das hatte freilich nichts zu tun mit kulturhistorischen Studien etwa über die Viehzucht in Namibia oder einer anderen früheren deutschen Kolonie. Es ging um die Kolonien von morgen, um den Krieg und die Eroberung von sogenanntem Lebensraum im Osten. Kolonialwissenschaftler sollten erforschen, wie sich Landschaften in Polen und Russland zum deutschen Siedlungsgebiet "germanisieren" ließen.

Die ganze Fakultät für Landwirtschaft stand im Zeichen der Ideologie von Blut und Boden. Und die Agrarwissenschaftler hatten keinerlei Berührungsängste. Auf Versuchsgütern der TH ließen sie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene schuften. Henseler wandte sich wiederholt an seinen früheren Schüler, den SS-Chef Heinrich Himmler, und bat ihn um weitere Flächen. Exkursionen führten ihn und seine Studenten mehrmals in den Kräutergarten der SS auf dem Gelände des KZ Dachau.

Wie sehr sich Henseler und seine Kollegen den Nazis angedient haben, beleuchtet das NS-Dokumentationszentrum in einer Sonderausstellung; sie ist von diesem Freitag an bis zum 26. August zu sehen. Angeregt hat sie TU-Präsident Wolfgang Herrmann. Die Ausstellung ist Teil des Jubiläumsprogramms, mit dem die Universität ihr 150-jähriges Bestehen feiert, erarbeitet und finanziert von TU und NS-Dokumentationszentrum gemeinsam.

Wer den Raum betritt, der blickt zuerst in einen Hörsaal und sieht die Studenten der TH dort stehen, auf einer großformatigen Fotografie: manche in SA-Uniform, andere im Wichs ihres Korps, alle die rechte Hand erhoben zum Hitlergruß. Es waren die Studenten, über die der Nationalsozialismus schon vor 1933 in die Hochschulen drängte.

Zwei Studenten waren beim Hitler-Putschversuch dabei

Zwei der 16 bei Hitlers Putschversuch 1923 erschossenen Nazis waren Studenten der TH. Im Allgemeinen Studierendenausschuss stellte schon 1930 der Nationalsozialistische deutsche Studentenbund die stärkste Fraktion. Die jungen Leute terrorisierten jüdische und politisch missliebige Professoren, und nach Hitlers Regierungsantritt dauerte es nicht mehr lange, bis die Hochschule gleichgeschaltet war.

An die Spitze der TH rückte ein "Führerrektor", dem die Dekane direkt verantwortlich waren. Doktoren jüdischen Glaubens wurden die Titel entzogen. 17 Hochschullehrer verloren aus rassistischen oder politischen Gründen ihre Arbeit, manch einer floh in den Suizid. Die Ausstellung stellt sie und ihre Schicksale auf Wandtafeln vor.

Von den übrigen Professoren hieß es bisher, sie hätten zwar keinen Widerstand geleistet, sich aber auch nur zaghaft oder gar nicht vor den Karren der Nazis spannen lassen. Forschungskooperationen und Vorlesungsverzeichnisse hätten sich nicht wesentlich von der Zeit vor 1933 unterschieden, erklärte TU-Präsident Herrmann 2010 in einer Ansprache. Dieses Bild wird in der Ausstellung nun korrigiert.

"Etliche Professoren haben sich selbst mobilisiert, ganz ohne Zwang", sagt Winfried Nerdinger, der die Ausstellung konzipiert hat. Es ist die letzte Ausstellung, die der vor wenigen Wochen in den Ruhestand verabschiedete Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums für dieses Haus verantwortet hat.

Für die Recherchen habe Herrmann die Personalakten geöffnet, viel früher, als es den gängigen Archiv-Sperrfristen entsprochen hätte, sagt er. Und so stießen die Historiker auf vieles, was vergessen war, von dem nach dem Krieg die einen nichts wussten und die anderen nichts mehr wissen wollten.

Die schiere Masse an Nazi-Ideologie ist bedrückend

Die Bandbreite ist groß, die Ausstellung präsentiert sie Fachgebiet für Fachgebiet, und die schiere Masse wirkt bereits bedrückend. Manche Forscher und Institute der TH arbeiteten direkt für die deutsche Rüstungsindustrie, entwarfen etwa Tarnkappen-U-Boote, die für das gegnerische Sonar unsichtbar sein sollten. Andere entwickelten neue Antriebe für Torpedos, forschten an Störsendern für den Funk, an günstigen Straßenbelägen für den besetzten Osten oder auch an der Herstellung oder der Abwehr von Giftgas. Selbst Professoren, die dem Nationalsozialismus eigentlich distanziert gegenüberstanden, forschten aus bloßem Patriotismus für das Militär.

Andere orientierten ihre Forschung offensichtlich an der Nazi-Ideologie, selbst in vermeintlich sachlichen Disziplinen wie Physik oder Mathematik. Renommierte Forscher wie der Heidelberger Nobelpreisträger Philipp Lenard propagierten eine rassistische "Deutsche Physik", die sich von der bisherigen dadurch unterschied, dass sie die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie als jüdische Machwerke ablehnte. In München fanden diese Ideen zumindest vereinzelt Zuspruch. Die TH berief 1936 Rudolf Tomaschek, einen Schüler Lenards, auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik.

Die Gedankenwelt der Nazis fand sich auch an vielen anderen Orten wieder. Angehenden Kunstlehrern etwa wurde eingeimpft, zeichnerisch Technik und Krieg zu verherrlichen. Geografen warben für die Eroberung von Siedlungsland.

Der 1934 berufene Professor für Bauforschung, Alexander von Senger, publizierte Schriften mit Titeln wie "Rasse und Baukunst" und hetzte gegen den "Baubolschewismus" modern denkender Kollegen. Und Studenten an der Fakultät für Architektur zeichneten Hunderte alter Bauernhäuser, um Kontinuitäten aus urgermanischen Zeiten zu finden, den Rassenkult der Nazis zu unterfüttern und auch die Neubesiedelung des Ostens mit ideologiegemäß konstruierten Dörfern vorzubereiten. Nach Kriegsbeginn erklärte ein Führererlass die "Bauernhausforschung" für kriegswichtig. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Der Ungeist der damaligen Zeit kulminiert in einem schmalen Band, der gegen Ende der Ausstellung in einer Vitrine liegt: die "Gesetze des Deutschen Studenten", die ab dem Wintersemester 1937/38 jeder Student zur Immatrikulation vom "Führerrektor" der TH überreicht bekam. Zehn Gebote gab es damals, das erste soll hier genügen: "Deutscher Student, es ist nicht nötig, daß Du lebst, wohl aber, daß Du Deine Pflicht gegenüber Deinem Volk erfüllst! Was Du wirst, werde als Deutscher!"

Die TH München sei kein Sonderfall gewesen, sagt Winfried Nerdinger. "Die Ausstellung ist eine Fallstudie." Eine ähnliche könne man wohl zu jeder deutschen technischen Hochschule gestalten. Weil sie von Anfang an zum Krieg rüsten wollten, seien die Nazis schlicht auf die Techniker angewiesen gewesen.

Bis sich die Uni mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzte, dauerte es viele Jahre - auch hier war die TH oder die TU kein Sonderfall. Nach dem Krieg konnten zunächst mehrere belastete Wissenschaftler unbehelligt als Rektoren der Hochschule amtieren. Und auch für die Vergabe von Ehrendoktorwürden und Ehrensenatorwürden war eine Verstrickung in Nazi-Verbrechen offenbar kein großes Hindernis. Man wollte es womöglich einfach nicht so genau wissen. Und so hat auch Nerdinger bei der Recherche Überraschungen erlebt.

Winfried Nerdinger selbst war von 1965 bis 2012 Mitglied der TH, später der TU: Erst als Student der Architektur, später als Professor für Architekturgeschichte. Und nun sei er immer wieder auf Namen von Professoren gestoßen, die er als Student noch gehört hatte oder die damals als große Wissenschaftler galten, sagt er. Dass sie in Rüstungsprojekten der Nazis geforscht oder anderweitig in das Regime verstrickt gewesen waren, das habe keiner gewusst.

Hans Döllgast etwa: Den habe er selbst nicht mehr erlebt. Was er über ihn in den Akten fand, habe ihn dann doch erstaunt. So war es unter anderem Döllgast gewesen, der 1937 den Festzug zur Eröffnung des "Hauses der Deutschen Kunst" gestaltete. Später war er der Vordenker bei der Umplanung der annektierten polnischen Stadt Thorn zur deutschen Gauhauptstadt und zeichnete Skizzen für den nationalsozialistischen Umbau Augsburgs. Nach dem Krieg war davon keine Rede mehr. Döllgast wurde kommissarischer Rektor der TH. Und er machte sich einen Namen als Architekt des Wiederaufbaus von München.

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