Meinung am Mittag: Asylstreit:Sicherheit statt Recht und Freiheit

Der Asylkompromiss der Union verspricht viel, aber er wird wenig bringen. Am Ende könnte das Chaos größer sein als zuvor.

Kommentar von Stefan Ulrich

Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts möchte Europa für die Menschen sein. Freiheit, Sicherheit, Recht - drei Werte, die dicht beisammen stehen, um sich harmonisch zu ergänzen. So weit die Theorie. Doch spätestens seit die Flüchtlingsfrage die EU und ihre Mitgliedsländer spaltet, drängt sich die Sicherheit in den Vordergrund - auf Kosten von Recht und Freiheit. Der Asylkompromiss, den CDU und CSU am Montagabend erstritten haben, setzt Recht und Freiheit weiter zu. Und das in ganz Europa.

Im Schengenraum, wo bisher Menschen und Güter frei passieren konnten, werden wohl bald wieder die Schlagbäume an den Binnengrenzen herunterknallen. Das Drehbuch dafür ist schon geschrieben. Der Asylkompromiss sieht vor, dass Flüchtlinge, die von Österreich nach Deutschland einreisen, erst einmal in einer Art juristischen Schleuse in Grenznähe auf deutschem Boden festgehalten werden. Nach einer Kurzprüfung sollen dann solche Flüchtlinge, für deren Asylverfahren andere Staaten zuständig sind, dorthin gebracht werden. Weigern sich diese Länder, schickt Deutschland die Flüchtlinge einfach zurück nach Österreich.

Toller Plan. Nur: Die Regierung in Wien hat sofort klargestellt, nicht zum Opfer des Unionskompromisses werden zu wollen. Sie möchte daher mit Grenzkontrollen zu Slowenien und Italien reagieren, damit Flüchtlinge gar nicht mehr ins Land kommen. Die freie Fahrt über den Brenner, für viele Deutsche und Europäer ein Stück gelebtes Europa, wäre dann passé. Und andere Staaten dürften ebenfalls ihre Grenzen wieder dichtmachen.

Ganz zu schweigen von Italien, wo die rechtspopulistische Regierung niemals dulden würde, dass alle Migranten, die über die Mittelmeerroute kommen, fortan im Land hängenbleiben. Rom würde daher entweder keine Boote mehr an seinen Küsten anlanden lassen - und noch mehr Tod auf dem Mittelmeer provozieren; oder es würde, wie bereits früher, ankommende Flüchtlinge nicht registrieren, sondern nach Norden durchwinken. Viele Migranten würden sich dort nicht etwa brav in die deutschen Transitzonen sperren lassen, sondern ihr Glück an den grünen Grenzen versuchen. Die Folge wäre weniger Sicherheit - bei zugleich weniger Reisefreiheit für die Europäer und einem fragwürdigen Rechtsstaat light in den Transitzonen.

Sicherheit, Freiheit und Recht könnten so allesamt zu Verlierern werden - während die AfD weiter hinzugewinnt. So sieht sie aus, die "Asylwende", die die CSU jetzt feiert. Da kann man nur rufen: Chapeau!

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