Neue Heimat:Die seltsame Faszination der Münchner für die Nachspeise

Bezirksausschuß Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt in München, 2014

Unsere Autorin kann dem süßen Dessert in Bayern nichts abgewinnen.

(Foto: Robert Haas)

In Uganda ist das Dessert ein Luxus-Schmaus für Reiche. Doch in Bayern scheint jeder das herzhafte Essen noch mit einer üppigen Süßigkeit abrunden zu wollen.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Der Schweinsbraten hat in Bayern eine seltsame Umrahmung. Vorneweg wird er von einer Leberknödelsuppe flankiert, zwischendrin begleitet ihn eine Schale Krautsalat und hinten raus schließt der Apfelstrudel das Mahl. Die Nachspeise. Wo man auch hinschaut: Überall haben es die Münchner auf einen Nachtisch abgesehen. Da ist der Strudel gar noch die harmloseste Form. Man schaue sich nur die Eisberge an, die manche Lokale servieren. Oder die teiggewordene Krönung der österreichischen und damit irgendwie auch der bayerischen Nachspeise: der Kaiserschmarrn.

Es ist schon eine besonders auffällige Eigenschaft der Einheimischen: Wenn sie mit dem sauren Essen fertig sind, lassen sie die halbvollen Teller abräumen, und bestellen dann noch einmal einen Gang Süßes. Und der wird dann restlos vertilgt. Ein erstaunliches Ritual. Wo ich herkomme, mögen die meisten Menschen keine Desserts, oder halten das schlichtweg für überflüssig.

Einen Nachtisch zu essen ist in Uganda ein Luxus-Schmaus, der den Reichen nachgesagt wird. Für die Mehrheit der Menschen besteht der Nachtisch aus einem Glas Trinkwasser. Während die Kinder in München mit Schokolade und Gummibärchen sozialisiert sind, haben sie uns in Uganda mit wilden Früchten großgezogen. Als Nachspeise gab es keine Windbeutel, sondern Wasser.

Die Münchner scheint das nicht zu stören. Hier ist das Dessert fast wie Teil einer Religion, es gehört zum Alltag wie das Amen zur Kirche. Alle paar Meter sieht man Menschen mit Waffeln und Eiskugeln durch die Stadt rennen, manche haben gar einen Vorrat an Himbeer- Joghurts oder Schokoriegel in ihren Taschen deponiert - nur für den Fall, dass sie unterwegs der Snackhunger packt. Kaum sitzen sie im Restaurant, haben sie prompt einen Griesbrei vor sich stehen, eine Schwarzwälder Kirschtorte oder einen Erdbeerkuchen, kaum mehr zu erkennen, weil alles unter einer monströsen Ladung Schlagsahne begraben liegt.

Freundinnen von mir haben sich ernsthaft Mühe gegeben, mich von dem Prinzip der Nachspeise zu überzeugen. Doch wenn mich der Kellner danach fragt, lehne ich bis heute dankend ab. An diesem Punkt muss ich oft tief durchatmen. Erst neulich wieder musste ich mich zum gefühlt tausendsten Mal verteidigen, dass ich keine Nachspeise mag. Es ist ja gar nicht so kompliziert: Ich bin weder diabetisch, allergisch, noch geht es mir um Pfunde. Ich kann dem pappsüßen Zeug einfach nichts abgewinnen, es verrenkt einem den Magen und verklebt einem das Hirn. Süßigkeiten, Gebäck, Kekse, Kuchen - und jegliche Kombination mit Sahne: Man möge mich damit verschonen.

Natürlich sei jedem Münchner seine Nachspeise vergönnt. Prinzipiell spricht ja nichts dagegen, ein kühles cremiges Eis im Sommer kann schon auch was Feines sein. Als Nachspeise schwöre ich jedoch weiterhin auf mein gewohntes Ritual: ein Glas Wasser zum Abgang. So gut wie mir Braten, Sauerkraut und Knödel hier schmecken, hätte nach dem Hauptgang ohnehin nichts anderes mehr Platz.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Die Autorin: Lillian Ikulumet, 36, stammt aus Uganda. Bis 2010 arbeitete sie dort für mehrere Zeitungen, ehe sie flüchtete. Seit fünf Jahren lebt Ikulumet in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Ikulumet für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite...

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